Gelassenheit


Es gibt keinen größeren Beweis für Geistesgröße, als wenn man sich durch nichts,

was einem begegnen kann, in Aufruhr bringen lässt.  

Seneca


Den Lorbeer festhalten - Gelassenheit hilft.
Den Lorbeer festhalten - Gelassenheit hilft.

In vorangegangenen Artikeln war bereits von der Gelassenheit die Rede, die eine Voraussetzung für gutes Spielen ist. Das mag manchem wie eine leere Floskel erscheinen. In der Tat wird der Ratschlag, man möge doch einfach gelassen bleiben, fast inflationär erteilt. Meist denkt sich der Ratgeber wenig dabei und es ist dann auch leichter gesagt als getan. 

 

Die Tatsache, dass sich antike Philosophen intensiv mit der Gelassenheit befasst haben und in ihr ein zentrales Element für ein gelungenes Leben (Eudaimonie) erblickten, deutet darauf hin, dass der Begriff alles andere als inhaltsleer ist. Ein Grund mehr, sich die Sache einmal genauer anzusehen:

 

Die möglichst weitgehende Unempfindlichkeit gegenüber äußeren Einflüssen erachteten sowohl die Stoiker als auch die Epikuräer als Grundlage eines glücklichen Lebens. Beide - ansonsten recht konträre - Philosophenschulen glaubten, dass erst die Beherrschung von Affekten (im Sinne von Trieben und Leidenschaften, wie etwa Begierde und Furcht) zur inneren Freiheit des Menschen und somit zum Glück führt. Den so gewonnenen Zustand der Seelenruhe und emotionalen Gelassenheit bezeichneten die Epikuräer als "Ataraxie", die Stoiker verwendeten in ähnlichem Zusammenhang die Bezeichnung "Apatheia". Beide Begriffe beinhalten das Ideal der Leidenschaftslosigkeit. Einfach gesagt:

 

Der Weg zum Glück führt nicht über die maximale Befriedigung der Ansprüche, sondern über deren Kontrolle. Die Befreiung von den Affekten ermöglicht es erst, weise zu handeln. Dann erst fließt dem Menschen die innere Souveränität zu, die ihn zum Herrscher seiner Handlungen macht. Nichtmehr von den Affekten getrieben, kann er aus Einsicht das Richtige tun, wodurch er als Vernunftwesen seine Bestimmung findet.

 

Was hat das nun mit dem Pétanque zu tun? In dem Kapitel: "Donnée" wurde herausgearbeitet, dass bei unserer Sportart alles nur auf indirektem Wege erreicht werden kann. Das indirekte Vorgehen ist geradezu ein Charakteristikum des Pétanque. Wenn wir nun im Kreis stehen und eine Kugel legen oder schießen, unterliegen wir stets der Begierde, den Punkt machen zu wollen und das möglichst schnell und direkt. Genau an dieser Stelle geschieht es, dass wir von unserem richtigen Handlungsmuster abweichen. Unsere Würfe degenerieren dann, wenn wir dem nachgeben. Wir verlassen den indirekten aber richtigen Weg und begeben uns auf den direkten Pfad, der ein Holzweg ist. Wir sind nicht mehr gelassen, weil wir etwas wollen. Das Begehren, den Punkt zu machen, lässt uns innerlich nicht frei sein. Wer seine Mitspieler beobachtet, wird diesen Moment - wenn sie beginnen, ihre Würfe zu verreißen - klar erkennen. Man kann es natürlich auch an sich selbst studieren.

 

Neben der Gier nach dem Punkt hat auch die Angst vor dem Versagen einen ähnlichen Effekt; oder der Zorn auf einen Mitspieler. Auch zwischenzeitlicher Triumph kann das Gleichgewicht stören.

"Was werden die anderen denken, wenn ich jetzt nicht treffe? Dem XY, den ich nicht leiden kann, will ich es jetzt aber mal so richtig zeigen! Wenn wir beim Turnier ganz vorn landen wollen, müssen wir möglichst 13:0 gewinnen und dürfen keinen Fehler machen."

Wenn wir so denken, lassen wir die Affekte an uns heran. Wir sind nicht mehr frei, sondern Getriebene. Die selbstbestimmte Gelassenheit kommt uns abhanden. Nicht ohne Grund wird im Strafrecht eine Handlung im Affekt mit mildernden Umständen bedacht, denn man nimmt an, dass der Täter dann zeitweise nicht vollständig Herr seiner Sinne war.

 

Was wir wirklich brauchen liegt nicht außerhalb, es liegt in uns selbst. Es ist das rechte Handeln. Nur wir selbst können das bewirken und auch nur wir sind es letztlich, die uns selbst immer wieder daran hindern. Das Wollen muss sich darauf richten, es richtig zu machen und nicht auf den Lohn der dann winkt. Vorausgesetzt man kennt den richtigen Weg, verhilft das Zurückdrängen äußerer Einflüsse zur inneren Gelassenheit. Wenn wir mit uns selbst zufrieden sind - das Kapitel über den Flow hat das gezeigt - spielen wir auch erfolgreich und sind dadurch glücklich.

 

Wie oft gehen wir in den Kreis, genau wissend was zu tun ist und verlassen ihn zerknirscht, weil wir es nicht getan haben? Wir hatten dann nicht die innere Ruhe, das Gewollte auch zu tun. Im Kreis stehend, müssen wir die Affekte abwehren, die uns belästigen. Wir müssen lernen, die Ruhe zu bewahren und die richtigen Bewegungsmuster geduldig abspulen. Solcherart gefestigt, kommen die Erfolge von ganz allein. Wenn sie aber kommen, haben wir sie nicht gewollt. Wir nehmen sie nur billigend in Kauf. Was wir wollen, ist das rechte Handeln und das können wir jederzeit reproduzieren. Wenn wir an diesem Gedanken festhalten, können wir in der Bedrängnis oder wenn das Glück uns verlässt dennoch vollkommen gelassen weiterspielen.

 

Tu was du kannst, mit dem was du hast, und dort wo du bist! 

 

 Theodore Roosevelt

 

Muss sich nicht jeder Spieler rückblickend eingestehen, dass er viele seiner besten Spiele verloren hat? Ist es nicht so, dass es auch viele Spiele gab, die trotz dürftiger Leistungen gewonnen wurden? Was sagt das Ergebnis darüber aus, ob wir zufrieden sein können? Nichts! Es gibt Spiele die man einfach nicht gewinnen kann. Was aber immer möglich ist, ist spielen, so gut man es vermag und nur das zählt.

 

 

 

 

Zum Raube lächeln, heißt den Dieb bestehlen.

Doch selbst beraubst du dich durch unnütz Quälen. 

William Shakespeare, Othello

 

 

Thorsten


 

Nachwort: Der Philosoph Epikur steht bis heute in dem Ruf, eine Lehre des verantwortungslosen Prassens; der hedonistischen Genusssucht geschaffen zu haben - vollkommen zu Unrecht. Tatsächlich empfahl er dem Menschen, sein Glück beim Rückzug ins Private zu finden. Dort aber sollte er nicht der maßlosen Völlerei frönen, sondern das Leben eines Weisen führen, der sich im Sinne der Ataraxie selbst beschränkt, wobei er dann die Abwesenheit von Kummer, Leid und Schmerzen genießt.

 

Die Stoiker hingegen, deren prominentester Anhänger der römische Kaiser Mark Aurel war, der letzte der Adoptivkaiser des "goldenen Zeitalters", gingen mit dem, was Epikur über die Ataraxi sagte, durchaus konform. Der Rückzug ins Private lag ihnen aber fern. Sie schufen in ihrer Lehre nicht nur den revolutionären Gedanken einer gleichberechtigten Menschheit - unabhängig von Rasse und Nation - sondern sahen den Menschen in eine soziale Gemeinschaft eingebunden, woraus ihm Pflichten erwachsen. Der Mensch, so lehrten es die Stoiker, ist Vernunftwesen und kann als solches nur sein Glück finden, indem er vernünftig handelt. Der ist weise, der das Notwendige erkennt und es aus innerer Überzeugung tut, ohne Zwänge und ungeachtet der damit verbundenen Mühen und Kosten.

 

Die Gleichheit aller Menschen, das Streben nach vernünftigem und verantwortlichem Handeln in der Gemeinschaft, das sind Gedanken, die sehr gut zu unserem Sport passen und es kann, in Zeiten, in denen die Religionen wüten, nicht schaden, sich zu vergegenwärtigen, wie weit die Menschheit in ihrem Denken vor langer Zeit schon einmal gewesen ist.


Aphorismus: "Die Ruhe in der That. — Wie ein Wasserfall im Sturz langsamer und schwebender wird, so pflegt der grosse Mensch der That mit mehr Ruhe zu handeln, als seine stürmische Begierde vor der That es erwarten liess."

Nietzsche,

aus: Menschliches, Allzumenschliches


Bild: Skulptur bei Bad Helmstedt