Quellen der Gelassenheit


"Man hat beobachet, daß der Mensch in dringender Gefahr selten auf seinem gewöhnlichen Niveau stehenbleibt; er wächst entweder darüber hinaus oder sinkt darunter."

                                             Alexis de Tocqueville

                                                                               (Aus: "Über die Demokratie in Amerika") 


Platz am Meer - nicht jede Situation lädt solcherweise zur Gelassenheit ein
Platz am Meer - nicht jede Situation lädt solcherweise zur Gelassenheit ein

Ein ruhig strömender Fluss bietet einen harmonischen Anblick. Immer drängt genau die abfließende Menge Wassers nach. Die Welt ist im Gleichgewicht. Solange die Fluten nicht versiegen oder anschwellen besteht zur Beunruhigung kein Anlass. So erlebt es auch der Pétanquespieler, dessen Tun dann am erfolgreichsten ist, wenn er sein inneres Gleichgewicht findet. Ihm wird daher geraten, dieses Äquilibrium anzustreben und durch allerlei Maßnahmen - wie etwa Atemtechniken oder Entspannungsübungen - zu fördern. Ist aber Gelassenheit nicht zuallererst die Folge einer inneren Haltung, einer Philosophie, die in einem langen Prozess gewachsen ist und daher nicht leicht umgestoßen werden kann? Betrachten wir drei Haltungen und gewinnen wir Erkenntnisse für das Boulespiel:

  

1. Gleichgültigkeit:

Dem Gleichgültigen fällt das Gelassensein leicht. Wer nichts erstrebt kann schließlich nichts verlieren. Boulespielern begegnet immer wieder die Eigentümlichkeit, dass Anfänger oder Gelegenheitsspieler erstaunlich schwer zu besiegen sind. Da sie sich nichts erhoffen und auch nichts erstreben, sind sie einfach nicht aus der Ruhe zu bringen. Ebenso geschieht es, dass Spieler dann erstaunlich gut spielen, wenn sie mit ihren Gedanken nicht bei der Sache sind. Durch gravierende Ereignisse abgelenkt, gelingt ihnen plötzlich "en passant" das, was sie durch Bemühen nicht erreichen konnten. Ebenfalls ist immer wieder zu beobachten, dass Boulespieler, die sich innerlich bereits auf- und das Spiel verlorengegeben haben, plötzlich auf höherem Niveau spielen. All dieses lehrt uns den Wert der Gelassenheit und ist dennoch von geringem Nutzen. Ein grundsätzlich gleichgültiger Spieler wird sich niemals entwickeln. Mag er auch psychisch stabil spielen, es wird immer auf einem niedrigen technischen Niveau geschehen. Ebenso ist das zeitweilige Abgelenktsein, so hilfreich es ist, nicht als Instrument einzusetzen, da es sich rein zufällig ereignet.

 

2. Überlegenheit:

Im Bewusstsein einer manifesten Überlegenheit lässt es sich wahrlich gelassen spielen. Was dem Gegner auch einfallen mag, das Arsenal ist voll, eine Antwort wird gefunden werden. So sind denn im Pétanque Gegner, die über einen erheblichen technischen Vorsprung verfügen, nicht nur aufgrund dieser Versiertheit schwer zu schlagen, sondern auch aufgrund des Selbstbewusstseins, das sie aus diesem Umstand schöpfen. Auch die Überlegenheit hat jedoch ihre Haken. Durch sie werden die Spiele gewonnen, die wenig bedeuten. Bei denen jedoch, die zu gewinnen man erstrebt, die also gegen starke Gegner geführt werden, da schwindet die Überlegenheit und die Quelle der Gelassenheit trocknet aus. Ein Spieler kann im Ringen mit unterlegenen Kontrahenten ein noch so großes Können zeigen, die Prüfung kommt erst, wenn er auf gleichwertige Widersacher stößt. Ist das der Grund, warum Endspiele häufig nicht die Erwartungen erfüllen, die in sie gesetzt werden?

 

3. Kampfgeist:

Ein Spieler, der von Kampfgeist durchdrungen ist, hat Freude daran, sich mit anderen zu messen. Der Wettbewerb ist ihm kein Mittel, etwas Bestimmtes zu erreichen. Ebensowenig ist er eine Bewährungsprobe, bei dem seine Qualität auf dem Prüfstand steht. Vielmehr ist der Wettstreit der eigentliche Zweck seines Handelns selbst. Ist einem Fisch überhaupt bewusst, dass er sich im Wasser befindet? Es ist sein Element und erst dessen Fehlen wird er wahrnehmen. Der Wettbewerb ist also das eigentliche Element eines solchen Spielers. So motiviert, wird er auf ganz natürliche Weise seine Fähigkeiten stetig verbessern, indem er prinzipiell seine Grenzen austestet. Unter Druck wird er nicht zusammenbrechen, sondern aufblühen, denn es ist die Überwindung einer Herausforderung, die erst sein Interesse weckt. Da er durch den Kampf bereits bekommt was er erstrebt, muss er Verlust nicht fürchten. So schöpft er eine natürliche Gelassenheit aus einer Quelle, die nicht versiegt wenn man sie braucht, sondern gerade dann reichlich spendet.

 

 

Uferbewohner, die sorglos an den Gestaden eines Flusses siedeln, ohne sich in dessen Natur hineinzudenken, haben eine sorglose Zeit bis die nächste Flut sie vertreibt. Andere, die ihren Besitz mit Deichen absichern, leben im Vertrauen auf diese sorglos, bis ein unvorhergesehenes Hochwasser ihre Vorkehrungen als nicht ausreichend entlarvt. Wieder andere leben nicht nur an einem ungezähmten Fluss, sondern mit diesem. Sie wissen um dessen Janusköpfigkeit, die im Nehmen und Geben besteht. Indem sie weder versuchen, diese fundamentale Tatsache zu ignorieren, noch sie zu beseitigen, vielmehr sich ganz darauf einlassen, gewinnen sie die Gelassenheit dessen, der sich in das Unabänderliche fügt. Diese ist die Einzige, die in einem Spiel wirklich trägt.

 

 

Der "sorglose Hasardeur", der "akribische Ingenieur" und der "furiose Kämpfer" sind Archetypen, in die wir unsere Gegner einteilen können, die wir aber auch - mehr oder minder ausgeprägt - in uns tragen. Sich in Richtung des Kämpfers zu entwickeln mag Überwindung kosten - es ist der Mühe wert.

 

 

 

Thorsten


Anmerkung: Dieser Artikel wurd von Darts1.de - Deutschlands größter Dartsseite - für eine Kolumnenreihe übernommen:  https://www.darts1.de/kolumnen/darts-und-petanque.php

 

Foto: Nördlicher Strandabschnitt auf der Insel Fehmarn.