Donnée I


- Eigenschaften -


Boule - Petanque / Tipps & Tricks
Gesucht: Ein freundlicher Flecken auf unfreundlichem Grund

Die Stelle an der eine Kugel ihren Flug endet, wo sie Grundberührung erfährt, um dann am Boden ihrem Ziel zuzustreben, wird im Pétanque "Donnée" [1] genannt - sie ist der wichtigste Ort des Spiels. Ins Deutsche übertragen spräche man von der "Grundlage". Diese Bezeichnung kann in zweierlei Weise gedeutet werden: Zum einen ist ein Donnée die Grundlage eines jeden Wurfes, mit dem eine konkrete Kugel an eine bestimmte Stelle des Spielfeldes gelegt werden soll. Gelingen oder Verspringen? - hier fällt die Entscheidung. Zum anderen ist die bewusste Ausrichtung des Denkens auf das "Donnée" hin, entscheidend für die Entwicklung der gesamten Spielweise eines Spielers.

 

Wir sollten daher in der Behandlung des "Donnéethemas" zweigleisig fahren. Die rein technischen, den konkreten Wurf prägenden Aspekte, werden in diesem Artikel abgehandelt. Dabei geht es um die Entfernung des Données vom Kreis, seine materielle Beschaffenheit, die relative Lage und natürlich seine Größe. Die Entwicklungsaspekte werden in dem Artikel Donnée II – Entwicklung –diskutiert. Hier geht es darum, wie die Planung eines Données, die Beobachtung fremder Données, sowie das Streben nach Wiederholbarkeit des Wurfes durch mehrmaliges Anspielen desselben Données, die gesamte Spielweise prägt. Zunächst aber der Versuch einer Definition:

 


Ein Donnée ist ein Bereich auf dem Spielfeld, der von einem Spieler mit dem Ziel angespielt werden kann, seine Kugel an bestimmter Stelle zu platzieren; der aufgrund seiner Beschaffenheit geeignet erscheint, dieses Ziel zu erreichen; und dessen Lage und Größe es dem Spieler erlaubt, es mit den ihm gegebenen technischen Möglichkeiten erfolgreich zu nutzen.


Was macht ein Donnée aus?

 

Die Entfernung vom Kreis:

Je entfernter sich ein Donnée vom Kreis befindet, je größer also die Strecke ist, die eine Kugel zunächst in der Luft zurücklegt, desto weniger Bodenhindernisse können ihren Lauf hemmen. Obwohl im Pétanque nicht gebräuchlich, möchte ich für die Flugphase den prägnanten Begriff "Airtime" einführen, womit nicht nur die Zeitspanne des Fluges gemeint ist, sondern implizit auch die Leichtigkeit mitschwingt, die ein Körper beim Parabelflug erfährt [2] – genau diese gilt es anzustreben. Je mehr Airtime also eine Kugel hat, desto weniger Störungen ist sie ausgesetzt. Dieser Vorteil wird mit einem härteren Aufprall, den es zu überstehen gilt, und einer größeren Geschwindigkeit, die gebremst werden muss, erkauft.

 

Beim Aufprall geht es darum, eine Flug- in eine Rollbewegung zu wandeln, die in Zielrichtung verläuft. Pétanquekugeln befinden sich jedoch häufig in Rotation, woraus sich vielfältige Effekte ergeben, die eingehend in den Artikeln "Drall I – IV" behandelt werden.

 

Die Verringerung der Geschwindigkeit erfolgt zu einem geringeren Teil durch besagten Drall (siehe dort), zu einem größeren jedoch durch die Wahl des Auftreffwinkels. Je steiler die Flugbahn gewählt wird, desto mehr Energie kann beim Aufprall an den Boden abgegeben werden – desto höher ist allerdings auch der technische Anspruch des Wurfes einzuschätzen.

 

Mit zunehmender Entfernung vom Kreis verringert sich die Anzahl der zur Verfügung stehenden Wurfarten: Stehen im ersten Drittel noch alle Wurfweisen zur Verfügung (Rollen, Portée, Hochportée), lassen sich Würfe ab der Mitte nur noch als Portée und Hochportée ausführen. Für das letzte Drittel erscheint dann nur noch das Hochportée erfolgreich umsetzbar, das in immer extremerer Form gespielt, bis weit über 90 % Airtime erlaubt, dann jedoch ein enormes technisches Können voraussetzt. Zunehmende technische Fähigkeiten ermöglichen es den Spielern somit, die Vorteile der Airtime stärker zu nutzen, ohne die damit verbundenen Nachteile wirksam werden zu lassen.

 

 

Die materielle Beschaffenheit:

Ein Donnée sollte aus möglichst homogenem Material bestehen, dessen Bestandteile zudem möglichst klein sein sollten. Mit zunehmender Korngröße steigt die Wahrscheinlichkeit des unkontrollierten "Verspringens" der Kugel. Ein gern unterschätzter Faktor ist die Veränderung des Données durch den Aufprall selbst [3]. Bei lockeren und nassen Böden entstehen kleine Krater. Je nach Beschaffenheit des Untergrundes kann es geschehen, dass die Kugel dabei nicht gleichmäßig einsinkt – sei es, weil im Untergrund verborgene Kiesel dieses verhindern, oder weil der Boden unterschiedlich stark verdichtet ist. Tiefe Böden können also die Illusion einwandfreier Données erwecken.

 

Die relative Lage:

Denkt man sich eine Linie, die von der Kreismitte zum Cochonnet verläuft, so ist die Abweichung von dieser Achse ein bei der Donnéewahl bedenkenswerter Faktor. Wenn seitliches Gefälle oder die Spieltechnik es erlaubt, können auch exzentrische Données angepeilt werden. Der Spieler steht oft vor der Wahl, ob er "mit" dem- oder "gegen" den Boden legen soll. Ein von der Zentralachse abweichendes Donnée erlaubt bei seitlicher Bodenneigung das erfolgreiche Spielen von Kurven, die andernfalls nur mittels Effet bewirkt werden könnten. In solchen Bereichen dennoch gerade zu spielen, gelingt nur mit Drall oder Effet. Die Frage, ob ein Donnée es erfordert, die Kugel Richtung Ziel zu "zwingen", oder es erlaubt, sie einfach in dessen Richtung laufen zu lassen, stellt sich bei jedem Wurf neu.

 

Teilt man gedanklich das Spielfeld in einen vorderen und einen hinteren Bereich, bildet sich entlang dieser Grenze durch "Dauerbespielung" leicht eine Zone, die zum "Minenfeld" werden kann: Auf abgesteckten Bahnen wird deren Mitte im Laufe der Zeit häufiger angespielt als die übrigen Bereiche. Durch die Vielzahl der Einschläge kann so eine "zerpflügte" Zone entstehen, die kaum einen Fleck enthält, der mit kalkulierbarem Ergebnis angespielt werden könnte, und die mit der Zeit immer größer wird. Das nötigt Spieler, die anfangs keinerlei Schwierigkeit mit dem Spielfeld hatten, ihr Spiel während der Partie umzustellen, also Données zu suchen, die relativ nahe am Kreis liegen oder sich in recht weiter Entfernung von diesem befinden. Sich exzentrischen Données gewachsen zu zeigen, ist häufig eine Versicherung gegen vorzeitiges Ausscheiden bei Turnieren.

 

Die Größe:

Um überhaupt als Donnée fungieren zu können, muss ein Bereich vom Spieler mit Aussicht auf Erfolg angespielt werden können. Je kleiner und je weiter entfernt die entsprechende Zone ist, desto schwieriger ist sie zu treffen. Daraus ergibt sich, dass ein und derselbe Bereich für den Laien praktisch donnéefrei sein kann, während er für den Profi eine Vielzahl von Anspielmöglichkeiten bereithält. Wirklich gute Spieler können in beliebiger Entfernung ein Donnée von der Größe einer Münze kontrolliert anspielen – mit dem Fortschreiten dieser Präzision vervielfachen sich nicht nur die anspielbaren Bereiche auf schwierigen Böden, es wächst damit auch die Zahl jener Données, die dem Könner exklusiv zur Verfügung stehen.

 

Wie das Legen die Grundlage des Pétanque, so ist wirkliche Donnéesicherheit die Grundlage guten Legens. Das Amt des Pointeurs birgt mindestens den technischen Anspruch, den auch die Tireurtätigkeit verlangt. Durch Herausforderungen des Bodens ist sogar ein Mehr an Aufmerksamkeit und Kenntnissen erforderlich. Das Ziel, die Airtime weitestmöglich zu steigern, verbindet Leger und Schützen. In ihrer höchsten Vollendung gleichen beider Würfe sich in erstaunlichem Maße an: Wo der Tireur seine Kugel im Parabelflug mit ihrem Ziel den Platz tauschen lässt – Carreau –, da senkt sich auf ähnlicher aber extremerer Bahn, das "Plombée" des Pointeurs herab, um genau am Ort des Bodenkontaktes – dem Donnée –, seine Ruheposition zu finden.

 

Thorsten


[1] Anmerkung: "Donnée" ist im Französischen weiblich. Man könnte also auch den Artikel "die" verwenden. Ich habe darauf verzichtet, weil sich der verwendete Sprachgebrauch bereits durchgesetzt hat. 

[2] Airtime (dt. etwa: „Zeit in der Luft“) ist ein englischsprachiger Begriff für das Gefühl der Schwerelosigkeit – beziehungsweise des Abhebens. Er wird u. a. in Zusammenhang mit Achterbahnen verwendet. Das Gefühl der Schwerelosigkeit tritt auf, während die Bewegung des Passagiers eine Wurfparabel beschreibt. Die Wurfparabel ist das Idealbild der Flugbahn, die eine geworfene Pétanquekugel beschreibt. Siehe hierzu: https://de.wikipedia.org/wiki/Airtime und https://de.wikipedia.org/wiki/Wurfparabel

 

Anmerkung: An dem Begriff "Airtime" wird sich stoßen, wer – zu Recht – das Wuchern der Anglizismen bedauert und zudem mit des Wortes hauptsächlicher Bedeutung (Sendezeit) vertraut ist. Allerdings fasst der Begriff beispielsweise auch die Flugzeit eines Flugzeuges; die Zeit, die ein Snowboarder während des Sprunges in der Luft verbringt; und wird – wie erwähnt – zur Beschreibung der bei Achterbahnen auftretenden Effekte verwendet. Der Vorschlag, diesen Begriff zusätzlich in das "Boulesprech" aufzunehmen, zielt darauf ab, in einer Wettkampfsituation in äußerst knapper Form all das ansprechen zu können, was einen guten Wurf ausmacht. Ebenso kann ein Spieler, unzufrieden mit den bisherigen Würfen, im Selbstgespräch durch Nennung des Wortes, das Idealbild eines Parabelwurfes in sich heraufbeschwören (vergl.: Innerer Monolog...). Freilich muss in beiden Fällen zuvor vollkommen geklärt sein, was eigentlich mit "Airtime" gemeint ist.

[3] Ein Donnée darf von den Spielern untersucht und bedingt präpariert werden. Das erläutert folgender Film:

https://www.youtube.com/watch?v=hSh9F48fLYA&list=PL3dBHaaK78Qj2fcIpTsIOW9QaTZCJahM_&index=5

Ergänzung: Dieser Artikel wir fortgesetzt mit: Donnée II – Entwicklung –


Bild von Bruno auf Pixabay