Löcher


"Warum ist überhaupt etwas und nicht vielmehr nichts?“ Diese metaphysische Frage nach dem Urgrund beschäftigt die Weisen seit Jahrtausenden. Religionen und Wissenschaften haben unterschiedlichste Möglichkeiten ersonnen, ohne einer befriedigenden Antwort wirklich näherzukommen.

 

Dem Pétanquespieler – zumal dem Tireur – stellt sie sich, wenn das geschieht, was flapsig „lochen“ benannt ist – also sich einen Fehlschuss leisten. Der Schütze, gewillt und sicher, des Gegners Kugel verschwinden zu lassen, sie ganz und gar vom Spielfeld zu tilgen, hat, sofern er verfehlt, Anlass zu der Frage: „Warum zum Teufel ist da überhaupt noch etwas? “. Der Grund liegt in einem von ihm produzierten Nichts – eben dem Loch. Das Verschwinden seiner eigenen Kugel im Orkus, ihr Hinabfallen in jenen Schlund also, der die gescheiterten Kugeln frisst, bewirkt: rein gar nichts, und damit, dass alles so bleibt, wie es ist. Der verhinderte "Demiurg" darf dann sein Schicksal beklagen.

 

So liegt es nahe, sich eingehender mit dem Wesen des Loches zu beschäftigen, zumal in einem Universum, dessen schwerste Objekte – schwarz wie sie sind – eben dieser Spezies angehören.

Denn jeder Spieler steht ja vor der besonderen Herausforderung, nicht denken zu dürfen, will er das Nichts – sein Loch – nicht existent werden zu lassen. Wie aber denkt man nicht und wie das Nichts?

 

Es ist gut, dass Kurt Tucholsky unter seinem Pseudonym Peter Panther bereits 1931 einen Versuch unternommen hat, an den Rand dessen vorzudringen, wo das Seiende noch ist und das Nichtsein gerade eben beginnt. Diesen Text dem geneigten Leser zur Lektüre zu empfehlen, sei hiermit unternommen:

 

 

Thorsten

 

(Ich danke Günther N. aus Nürnberg,

der den Text entdeckte

und damit die Anregung zu diesem Artikel gab.)


Aus dem Inhalt aufgegriffen:

 

„Wo ein Ding ist, kann kein andres sein. Wo schon ein Loch ist: Kann da noch ein andres sein?“ Diese Frage lässt sich aus Sicht des Boulespielers leicht beantworten, wie jeder schon leidvoll erfahren haben dürfte: Denn wo ein Loch ist, da können noch viele sein. Oft ist´s gar so, dass ein Loch das andere erst erzeugt, indem nämlich jedes Loch auch seine Entsprechung in des Schützen Seele findet. So perforieren viele Löcher das Selbstvertrauen – das Loch als Abgrund, der, schaust Du erst einmal hinein, immer auch in dich hineinblickt.

„Löcher, die sich vermählen, werden ein Eines, einer der sonderbarsten Vorgänge unter denen, die sich nicht denken lassen.“ Wie weitblickend Tucholsky hier war, konnte jüngst über den Nachweis von Gravitationswellen belegt werden, die, von Einstein postuliert, aber aufgrund ihrer Schwachheit für nicht messbar gehalten, von der Verschmelzung schwarzer Löcher künden. Ein Echo aus (fast) nichts ist die Begleitmusik beim Tanz der Schwerkraftmonster. Siehe: https://de.wikipedia.org/wiki/Gravitationswelle#targetText=Eine%20Gravitationswelle%20ist%20eine%20Welle,schneller%20als%20mit%20Lichtgeschwindigkeit%20bewegen.

 

Ebenso auch hier: „Das Merkwürdigste an einem Loch ist der Rand. Er gehört noch zum Etwas, sieht aber beständig in das Nichts, eine Grenzwache der Materie.“ Merkwürdig in der Tat, denn nach einer Theorie des bekannten Physikers Stephen Hawking kommt es eben in jenem Grenzbereich eines schwarzen Loches zu einem Phänomen, bei dem Materie buchstäblich aus dem Nichts erschaffen wird. Sich spontan bildende Fluktuationen aus Materie und Antimaterieteilchen führen, indem eines der beiden „über den Rand des Loches fällt“ nicht zu deren gegenseitiger sofortiger Auslöschung, sondern zum dauerhaften Überleben eines der Antagonisten. https://www.youtube.com/watch?v=SVf23JVWf0w

Wenn ein Loch zugestopft wird: Wo bleibt es dann?“ Es fällt dem Vergessen anheim, so wünscht es sich zumindest sein Erzeuger und dankt den Schöpfern der Pétanqueregeln, die, ein Akt wahrer Humanität, es gnädig gestatten, dass besagtes Loch beseitigt werde – aber eben nur eines.

 

„Und warum gibt es keine halben Löcher –?“ Ja, warum nur? Was dem Leger als vage Hoffnung bleibt, dass nämlich eine mäßige Kugel doch noch im weiteren Verlauf Gutes bewirken könne, das bleibt dem Schützen versagt. Loch bleibt Loch, da gibt es keine Halbheiten. Um Haaresbreite verfehlt oder ellenlang daneben, das bleibt sich gleich und sägt an den Nerven der armen Tireure („Den hab ich doch drauf gesehen“).


Bild von Alexander Antropov auf Pixabay