Drei Phasen des Tireurtrainings


Es heißt, zehntausend Schüsse seien nötig, ein Tireur zu werden. Das ist wohl eher eine Untertreibung, um Anfänger nicht zu entmutigen. Andererseits, wer zählt schon seine Schüsse?

 

Die Rede von den 10000 Schüssen geht freilich in die richtige Richtung. "Übe", will sie dir sagen, "sei geduldig", lautet ihr Rat. So beginnt denn der Anfänger seinen Weg, der meist wie folgt aussieht: In einem definierten Abstand werden 3 Kugeln aufgereiht, zunächst nebeneinander, später auch hintereinander. Diese versucht dann der Schütze in spe, eine nach der anderen zu entfernen, immer und immer wieder. Dabei ist er gut beraten, sich zunächst auf den Nahbereich zu konzentrieren und Fernschüsse auszuklammern. Ziel der ersten Phase ist es, überhaupt ein Gefühl für die Bewegung zu bekommen und sich einen Bereich zu schaffen, innerhalb dessen aussichtsreich angegriffen werden kann. Ist eine gute Bewegung gefunden, können Fernschüsse leichter daraus entwickelt werden.

 

Haben sich im Nahbereich Fortschritte eingestellt, ist es an der Zeit, die längeren Distanzen in den Fokus zu nehmen. Dabei ist es wichtig, entgegen der Intuition, mit so wenig Krafteinsatz wie möglich zu arbeiten und den schon erarbeiteten Bewegungsablauf im Grundsatz beizubehalten. Diese Phase 2 erfordert, gemeinsam mit Phase 1, einen Übenden, der viel Fleiß zeigt, der regelmäßig eine Trainingsstunde einlegt und dann monoton die jeweiligen Distanzen abarbeitet, der sich dabei selbst beobachtet und korrigiert. Der Ratschlag, hier Biss zu zeigen, ist nicht der schlechteste, der gegeben werden kann.

 

Nach einiger Zeit stellen sich dann Erfolge ein. Wir reden jedoch immer noch ausschließlich über das Training. Bis hierher wird es vermutlich den meisten so ergehen, dass sie trainierend gute Leistungen erbringen, die jedoch im Spiel eher selten bestätigt werden. Damit kommen wir zum eigentlichen Punkt: Wer nun glaubt, das Manko durch stures Festhalten am bisherigen Trainingsmodus beheben zu können, begeht einen Irrtum, der ihn viel Zeit kosten kann.

 

Ein Spiel verlangt von einem Schützen etwas, das eigens geübt werden muss: Variabilität. Natürlich schaffen es die meisten Spieler, nachdem sie "warmgeschossen" sind und "in den Fluss" kommen, Treffer zu setzen und ganze Serien zu landen. Wann aber herrschen im Spiel einmal Bedingungen wie im Training? Da liegen selten serienweise Ziele herum, die in kurzer Frequenz anvisiert werden und das auch noch in einheitlicher Entfernung und vielfach wiederholt. Vielmehr wird im Spiel viel Zeit zwischen den Schüssen vergehen, die Distanz wird wechseln und der Schütze wird gezwungen sein, zu legen. Ob er überhaupt aktiv werden soll, wird zudem von seinen Mitspielern erwogen und hängt von seiner gezeigten Leistung ab. Die Folge: Der Schütze wird nie "warmgeschossen" sein, nie "in den Fluss" kommen, sich nicht auf eine bestimmte Distanz einstellen können, viele Pausen und Druck erleben. 

 

Ei, Raupe, Falter - Metamorphosen prägen das Dasein des Schmetterlings
Ei, Raupe, Falter - Metamorphosen prägen das Dasein des Schmetterlings

Darauf sollte er sich nun in einer dritten Phase eigens vorbereiten. Hier gilt es, einen "Treffer aus dem Nichts" zu produzieren, ohne lange Vorbereitung, ohne Einschießen auf eine bestimmte Distanz, nur aus dem "Kugelgefühl" heraus. Um das zu erreichen, muss im Training die Schussfrequenz stark herabgesetzt werden. Konsequenterweise wird nur mit einer Kugel auf ein Ziel geschossen. Im Falle eines Treffers muss erst die ganze Situation neu aufgebaut werden, bei einem Fehlschuss gilt es zumindest, die Kugel zu holen. Das dauert seine Zeit und ist auch so gewollt, zwingt es doch den Schützen, dem einen Schuss ein Maximum an Konzentration zu widmen und sich das Procedere einzuprägen. In einer Steigerung kann dann das Ziel auf beliebige und wechselnde Distanz gelegt werden, um es wiederum mit nur einer Kugel anzugreifen. Ein gutes Training besteht auch darin, ein Cochonnet auszulegen, aus wechselnden Entfernungen die erste Kugel so gut wie möglich zu legen, um dann mit der zweiten auf sie zu schießen. Beobachter können und sollen die Situation noch zusätzlich erschweren, indem sie Druck durch schiere Anwesenheit ausüben oder gar kommentieren.

 

Auf diese Weise kommt man der Spielsituation schon recht nahe. Es liegt auf der Hand, dass nach Phase 1 und 2 das Spiel selbst ein wirklich gutes Training darstellt. Freilich kann es dann geschehen, dass die Fähigkeit zu treffen dabei vollkommen abhanden kommen kann. Das geschieht dann, wenn sich der Schütze seiner Bewegungsmuster noch nicht wirklich sicher ist. Unwillkürlich schleichen sich dann durch den Erfolgsdruck kleine Ungenauigkeiten ein. Kompensationsversuche führen zu noch größeren Ungenauigkeiten und schließlich ist mit der ganzen Bewegung nichts mehr anzufangen. Erfolge sind so nicht mehr zu erwarten. Hier ist es dann richtig, zu Phase 1 und 2 zurückzukehren, um sich neu zu "kalibrieren". Eine Stunde Schüsse in schneller Frequenz lassen die Erinnerung an die richtigen Bewegungsmuster schnell wieder aufleben und geben Sicherheit.

 

Dann geht es zurück zu Phase 3 und der Kreislauf beginnt von vorn...

 

Wie schon in anderen Bereichen, so gilt es auch hier, zwei Gegensätze miteinander auszusöhnen: Das Schießen in schneller Folge gibt Sicherheit und enthüllt, dass man grundsätzlich über die nötige Technik verfügt. Leider ist es praxisfern. Das Schießen mit Pausen und unter Druck zwingt zur mentalen Vorbereitung einer jeden Aktion, führt aber leicht zum Verlust der richtigen Bewegungsmuster.

 

Und die Sache mit den 10000 Kugeln? Ein Tireur ist jemand, der seiner Mannschaft hilft, indem er versucht, Herausforderungen durch Schüsse zu meistern. Er ist jemand, der von der grundsätzlichen Notwendigkeit dieses Tuns überzeugt ist und daher wachen Sinnes versucht, die dazu erforderlichen Fähigkeiten zu erwerben. Hierzu unterzieht er sich Exerzitien, wie sie oben beschrieben wurden - immer und immer wieder. Ob das im Einzellfall zum Sieg führt, hängt auch von der Güte des Gegners ab. Es ist also weder die Zahl der Übungswürfe, noch die Zahl der Treffer, die den Tireur ausmachen.

 Das Bewusstsein bestimmt das Sein!

 

Thorsten


Dieser Artikel wird ergänzt durch: "Der Mythos vom Zielen"

 

Bild: Raupe des Wolfsmilchschwärmers; gesehen bei Lauingen nahe Königslutter