Fließen


Goethes autobiografische Schrift "Dichtung und Wahrheit" enthält eine Passage, in der die Bedingungen für eine nicht unternommene literarische Behandlung der geliebten Schwester reflektiert werden[1]. Dort findet sich ein Satz, der aufhorchen lässt, weil er, offensichtlich Tiefgründiges und Universelles mit Leichtigkeit fassend, auch in gänzlich anderem Kontext nichts an Richtigkeit einbüßt. Der Satz lautet:  


"Die Quelle kann nur gedacht werden, insofern sie fließt."


Wie genau wir auch hinsehen, wie emsig wir auch Einzelheiten isolieren, bis hin zum winzigen Atom, das Wesen der Quelle, das unausgesetzte Fließen und Sprudeln, das ewige sich Erneuern und Spenden, offenbart sich nur in der Bewegung.


"Die Quelle kann nur gedacht werden, insofern sie fließt."


Dieser Prämisse ist alles Nachdenken über Pétanque Untertan. Mag man noch so viele Details ansammeln, mag man Taktiken anhäufen und Techniken auflisten, mag man innere Zustände erfassen und Strategien sich aneignen; alles bleibt Stückwerk, so es nicht gelingt, das Fließen mitzudenken. Jene harmonische Bewegung, die, zunächst nur vorgestellt, dann aus dem Armschwung geboren, sich im Flug der Kugel und weiter in ihrem Rollen fortsetzt, sodann, vielfach wiederholt und vereint, wie kleinere Flüsse sich zum Strom vereinen, in immer neuen Strudeln untrennbar sich mischend, als "Fluss" das ganze Spiel durchzieht und ihm sein wahres Wesen aufprägt.  


"Die Quelle kann nur gedacht werden, insofern sie fließt."


Hat es auch nicht Methode, so ist es ebenso kein Zufall, dass viele der hier erschienenen Texte Gleichnisse verwenden, die sich des fließenden Wassers als Bild bedienen. Unwillkürlich gelangt, wer das Spiel in Teile zergliedert, an eine Barriere, die zu durchbrechen dem rationalen Verstand nicht gelingt. Um auf die andere Seite zu wechseln und das Mysterium zu schauen, muss er hindurchsickern.


"Die Quelle kann nur gedacht werden, insofern sie fließt."


 

 

Thorsten