Meisterschaft


Wohl jeder Pétanquespieler hat sich einmal diese Frage gestellt: „Wie lange dauert es, bis ich ein guter oder auch nur ein passabler Spieler bin?" Erfahrene Akteure nennen dann Zeiträume von 10 bis 20 Jahren, je nach Trainingsintensität und Talent. Tatsächlich beginnen die Besten unserer Sportart bereits in sehr jungen Jahren und sind dann in ihren 20ern und 30ern in der Lage, ein fabelhaftes Können zu präsentieren.

 

Ist es aber wirklich sinnvoll, nach einem solchen Zeitraum zu suchen? Nach welchen Kriterien will man das Erreichen des angestrebten Zieles messen?

 

In der japanischen Tradition[1] begegnet uns bei der Benennung bestimmter Künste häufig die Silbe „“, so etwa in der bekannten Kampfkunst“ Judo“, der Teezeremonie „Chado“, dem traditionellen Bogenschießen „Kyudo“ oder gar im Kriegswesen „Bushido“. Dieses „do“ bedeutet Weg. So ist beispielsweise „Kyodo“ der Weg des Bogens, Bushido ist der Kriegerweg usw. 

In diesen Benennungen zeigt sich eine Einstellung zu den Dingen, die es Wert ist, näher betrachtet zu werden:

 

Im Hagakure [2] findet sich hierzu folgendes Zitat:

"In keiner Übung kann es eine Stufe geben, auf der jemand denkt, er habe alles erreicht. Solch ein Gefühl der Vervollkommnung steht in sich selbst schon dem Üben des Weges entgegen. Ein Mann, der mit seinen Ergebnissen das ganze Leben lang unzufrieden war, obwohl er von ganzem Herzen bis zu seinem letzten Atemzug übte, hat rückblickend sein Ziel erreicht."

 

Ist ein Spiel hinreichend komplex, so ist eine vollkommene Beherrschung desselben ausgeschlossen. Alleine die Bemühungen der Kontrahenten, die Evolution der Strategien, die sich beständig wandelnden Umstände, winzige Zufälle etc. verhindern absolute Perfektion und sicheren Erfolg. 

Es ist daher weise, das Erreichen von Meisterschaft nicht zu einem bestimmten Zeitpunkt zu erwarten, noch sie am Erfolg in Wettbewerben zu bemessen. Gleichwohl soll man sich beharrlich darum bemühen, denn in diesem Bemühen selbst liegt der Schlüssel: So „... erkennt man im immerwährenden Wissen des eigenen, niemals vollendeten Könnens, dass für das Ausüben einer Kunst kein Ende existiert. So lebt der Meister sein Leben, sich seiner Unvollkommenheit bewusst, niemals mit seinen Fähigkeiten zufrieden, selbst an seinem allerletzten Tag nicht, weder eingebildet noch herablassend.

... „Ich weiß nicht, wie ich andere besiegen kann, ich weiß nur, wie ich mich selbst bezwingen kann.“ Lebenslange Übung kennt kein Ende; man muss sich nach jedem Tag des Trainings verbessert finden und Vollkommenheit auf seinem gesamten Lebensweg anstreben."                                                                                                                       (Hagakure)

 

Der Autor Franz Werfel hat diesen Zusammenhang in seinem Werk: „Die vierzig Tage des Musa Dagh“ in prägnanter Weise beschrieben:

 

"Jede Meisterschaft der Welt hat sowohl die Demut vor dem Unerreichbaren als auch das Unbehagen vor dem Erreichten zur Voraussetzung.

 

Auch wenn wir nicht seit Jugendtagen in der Provence Pétanque spielen; auch wenn wir wissen, dass wir nie an Meisterschaften teilnehmen werden; ja selbst wenn wir uns eingestehen müssen, dass die Mehrzahl der Spieler uns überlegen ist, so können wir dennoch, indem wir uns mit wachem Geist redlich bemühen, den Anforderungen gerecht werden, die der „KUGELWEG“ an uns stellt. Zuversicht, nicht Zufriedenheit, ist es, nach der wir streben sollen. Zuversicht, die richtige Richtung gewählt zu haben, Zuversicht, mit dem vorhandenen Rüstzeug bestehen zu können, Zuversicht, beständig stärker zu werden. Ist denn das hoffnungsvolle Reisen nicht überhaupt dem Ankommen vorzuziehen?

 

„Hoffnung ist nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgeht, sondern die Gewissheit, dass etwas Sinn hat, egal wie es ausgeht.“   

Václav Havel

 

Thorsten 


Ergänzung I: Den Sinn seines Tuns findet der Mensch allein in sich selbst. Das Erreichen bestimmter Zielmarken, meist in Wettbewerben ermittelt, kann lediglich als Indiz gelten. Zum Spiel geht der Mensch letztlich, weil er zumindest ahnt, das dabei Erlebte werde gut für ihn sein, werde sich positiv auf ihn auswirken, oder besser noch, werde ihn in gewünschter Weise verändern. Siehe hierzu den Artikel: Das Spiel, die Sinnhaftigkeit des Nutzlosen 

Die Weide - Wachstum und Erneuerung bis zum letzten Augenblick
Die Weide - Wachstum und Erneuerung bis zum letzten Augenblick

Ergänzung II: Auch Michel de Montaigne sah den Wert beständigen Strebens nach Erkenntnis:

"Ein Geist, den das Erreichte zufriedenstellt, beweist damit nur Enge und Kleinmut... Von sich aus erhitzen, zeugen und beerben die Gedanken einer den anderen.

So rollt im ruhelosen Bach dem Wasser endlos Wasser nach,

und jede Welle folgt im Wandern der einen und enteilt der andern:

Sieh dort, wie diese jene scheucht und selber dann der nächsten weicht!

Sieh Flut in Flut sich fortergießen: Der Bach bleibt gleich, doch nie das Fließen."

Montaigne, Les Essais, Buch III,


[1] Dieser Aspekt wird in dem Artikel "Zen; die Konzeption des "DO" und Pétanque" vertieft und eingeordnet. Die "Konzeption" des "DO" ist für das Verständnis vieler Aussagen im Boulelexikon von Bedeutung. Mindestens unterschwellig hat sie Eingang in viele seiner Artikel gefunden. 

[2] Das Hagakure ist auch als „Kodex der Samurai“ bekannt und wurde zwischen 1710 und 1716 in Japan verfasst. Der Autor wollte seinen Lesern den Wert beharrlichen Bemühens aufzeigen. (Es ist nicht möglich, an dieser Stelle auf die Hintergründe des Werkes einzugehen. Wer sich näher damit befassen möchte findet hier einen Einstieg : http://de.wikipedia.org/wiki/Hagakure 

 

Bild: Weide in der Okerniederung bei Veltenhof