Innerer Monolog und Bewusstseinsstrom

- Mentale Stärke und die Bedeutung der Worte -


In Literatur und Film werden zwei Erzähltechniken eingesetzt, die dem Publikum die Gedankenwelt handelnder Personen erschließen. Diese werden als "Innerer Monolog" bzw. als "Bewusstseinsstrom" bezeichnet. Interessanterweise ähneln sie der Art, wie Boulespieler ihre Aktionen innerlich verarbeiten und zu kommentieren pflegen, denn in Selbstgesprächen erklären sich die Spieler das Geschehene; hadern mit ihrem Schicksal; sprechen Befürchtungen oder Hoffnungen aus; oder stellen Prognosen an. Man sollte diesen unwillkürlich ablaufenden Prozessen große Beachtung schenken, denn in ihrer Beeinflussung liegt der Schlüssel für ein gelingendes Spiel.

 

Ein "Bewusstseinsstrom" stellt eine Abfolge von Worten dar, die einer Person unvermittelt in den Sinn kommen. Er unterliegt keinerlei Form und besteht lediglich aus einzelnen Worten, die kurz in der Wahrnehmung aufscheinen, nur um sogleich wieder zu verblassen. Bei Boulespielern könnte ein solcher Bewusstseinsstrom in unterschiedlichen Situationen folgende Elemente beinhalten: "Toll" / "Gut gemacht" / "Läuft" / "Jetzt aufpassen!" / "Wieder durch" / "Nicht drücken" / "Schief" / "Wieder Glück" / "Hab´s gewusst" / "Wie immer" / "So nicht" / "Oh nein" etc. Spieler haben das Bedürfnis, das Geschehen zu kommentieren. Häufig geschieht das innerlich und im Stillen in der beschriebenen Weise.

 

Dagegen beinhaltet ein "Innerer Monolog" ganze Sätze und komplexere Gedanken, die vom Denkenden wie gesprochene Sprache strukturiert werden. Einige Beispiele aus der Boulewelt sehen wie folgt aus: "Warum habe ich das jetzt wieder gemacht?"; "Schuss für fünf, wahrscheinlich geht es wieder schief"; "Das Spiel haben wir schon verloren, aber an mir hat es wirklich nicht gelegen"; "Mit diesen Leuten kann man nicht gewinnen"; "Konzentriere dich, damit du die Letzte auch noch bringst"; "Wieder daneben, ich habe aber auch wirklich niemals Glück".

Er blickt in Zukunft und Vergangenheit, der Januskopf. Spieler beschränken sich besser auf das Gegenwärtige.
Er blickt in Zukunft und Vergangenheit, der Januskopf. Spieler beschränken sich besser auf das Gegenwärtige.

 

Es ist auffällig, dass, wenn eine Krise heraufzieht, wenn Gefahren am Horizont aufscheinen, der stets vorhandene "Bewusstseinsstrom" in den "Inneren Monolog" umschlägt. Offensichtlich empfindet der Geist angesichts drohender Gefahr Gesprächsbedarf.

 

An dieser Stelle befindet sich eine wichtige Wegscheide. Je nach eingeschlagener Richtung kann ein Spiel, und letztlich eine ganze Spielerkarriere, einen anderen Verlauf nehmen. Grundsätzlich ist es nämlich möglich, den Selbstgesprächen eine eher negative Richtung zu geben oder eine positive Ausprägung anzustreben. Es darf als sicher angenommen werden, dass Spieler, die auffällig häufig gewinnen, in engen Situationen einen optimistischen und konstruktiven Weg einschlagen. Negative Gedanken limitieren hingegen einen Spieler mehr noch als ein unzureichender Wurfstil.

 

Negativ sind Selbstgespräche etwa dann, wenn sie Gründe für die befürchtete Niederlage suche; mit Schuldzuweisungen beginnen; oder den möglichen Erfolg eigener Handlungen in Abrede stellen. Ein Spiel ist jedoch erst dann verloren, wenn der Gegner den dreizehnten Punkt erzielt hat. Durch destruktive "Innere Monologe" werden wichtige Ressourcen gebunden, die der Problemlösung dienen könnten. Man beraubt sich so der essentiellen Zutat für gutes Spielen: Zuversicht. So fehlt dann im entscheidenden Moment die nötige Konzentration und negative Gedanken werden zur sich selbst erfüllenden Prophezeiung.

 

Konstruktiv ist ein "Innerer Monolog" dann, wenn er auf folgende vier Bereiche ausgerichtet wird:

 

1. Anfeuerung: Spieler können sich selbst so anfeuern, wie es Fans täten, die das Spiel beobachten. Der 16-malige Dartsweltmeister "Phil Taylor" feuerte sich in Krisen beispielsweise mit einem schlichten "Come on Philip" an. Sicher eine Art Weckruf, der aber zumindest negative Gedanken verdrängt. Anfeuerungen stärken den Kampfgeist

 

2. Beruhigung: Ein Spieler kann den inneren Monolog so gestalten, dass er Klarheit darüber erlangt, dass die gegenwärtige Situation nicht der wichtigste Moment seines Lebens ist. "Nächstens ist wieder ein Spiel"; "Wenn wir verlieren, ist das kein Weltuntergang"; "Gleichgültig wie es ausgeht, die Erfahrung wird mich stärken"; "Die Gegner sind mindestens so angespannt wie wir selbst". Der Erhalt von Ruhe und Gelassenheit ermöglicht ein Abrufen des vorhandenen Leistungsvermögens.

 

3. Selektives Denken: Ein Spieler kann sich zwingen, bewusst an etwas Positives zu denken, wobei er sich Teilaspekte des Spielgeschehens herausgreift. "Es sind die engen Spiele, die wir häufig noch gewonnen haben"; "Es macht Spaß, mit den anderen zu spielen"; "Unter Druck spiele ich meist besser."; "Die schwierigen Schüsse treffen!"; "Wenn wir den Rückstand noch aufholen, ist die Freude desto größer"; "Wir wollen es ihnen so schwer machen, wie nur möglich"; "Ihr Vorsprung ist groß aber ein wenig grillen können wir sie schon noch". Das Gefühl der Selbstwirksamkeit - also der Glaube, etwas bewirken zu können - muss in einem Spiel zwingend erhalten bleiben.

 

4. Beschäftigung des Geistes: Kann es etwas Konstruktiveres geben, als die Suche nach der Lösung für aktuelle Probleme? Sie liefert Optionen und lenkt von negativen Gedanken ab. Solange wir noch suchen, haben wir uns nicht aufgegeben.

Zusätzlich besteht immer die Möglichkeit, selbst in die Beobachterposition zu wechseln: Anstatt krampfhaft zu versuchen, sein "A-game" zu erreichen, was momentan vielleicht nicht gelingt, wird die Situation als gegeben akzeptiert und stattdessen versucht, das Beste aus dem "B-game" zu machen. Der Spieler tritt ein wenig zurück und beobachtet sich, wie er schwierigsten Umständen heroisch trotzt. Es geht nicht mehr darum, wie gewohnt zu funktionieren, sondern eine Metapositon einzunehmen, von der aus es möglich ist, den eigenen "heldenhaften" Kampf zu bestaunen. "Obwohl es wirklich nicht so läuft wie sonst, müssen die Gegner sich richtig reinknien." "Es ist nicht mein Boden und trotzdem kommen die nur im Schneckentempo voran." Die Fähigkeit, sich im entscheidenden Moment auf seinen Wurf konzentrieren zu können, ist eng daran geknüpft, sich nicht zuvor vollkommen zu zermürben. Konzentration ist alles!

 

Man sollte sich allerdings nicht erst weismachen, es sei leicht, sich in oben skizzierter Weise umzuprogrammieren. Spieler, die Probleme mit negativen Gedanken haben, leiden darunter, weil diese aus ihrem tiefsten Inneren kommen. Wenn man so will: Was da zu Tage tritt, sind sie selbst. Es nützt auch nichts, sich oberflächlich etwas einzureden, das dann bei der ersten Krise sofort unglaubwürdig wird und wie billige Propaganda klingt. "Innere Monologe" zu ändern, erfordert Hartnäckigkeit. Die Pflege der inneren Verfasstheit muss daher Teil des üblichen Trainings werden. In Spielen muss man sich immer wieder zwingen, die richtige Richtung einzuschlagen und sich jeweils bewusst machen, wo falsch abgebogen wird. Sobald sich negatives Denken einstellt, wird dieses als unprofessionelle Einstellung verworfen. Die Effekte positiven Denkens werden sich im Spiel bald zeigen. Sie motivieren, den einmal eingeschlagenen Weg weiter zu beschreiten.

 

Der "Innere Monolog" ist vermutlich eine Einrichtung der Evolution. Ihr Zweck ist es, dem Individuum ein rechtzeitiges Entkommen aus Gefahrenzonen zu ermöglichen. Was im wahren Leben ein Vorteil ist, entbehrt im Spiel jeden Sinnes. Flucht bedeutet hier: Aufgabe des Widerstandes, also Niederlage. Der stoische Umgang mit aufziehenden Gefahren rettet hingegen so manchen Sieg. Ist das also ein Plädoyer für die rosarote Brille? Jein! Alles zu seiner Zeit. Wer es schafft, sich im Spiel seiner Erfolge zu erinnern und es unternimmt, nach dem Spiel sein Scheitern zu analysieren, wird langfristig mehr Grund zum Feiern haben als jemand, der im Spiel bangt und hadert und danach sogleich zur Tagesordnung übergeht.

 

 

 

Es gibt Menschen, die Fische fangen und solche, die nur das Wasser trüben.

Chinesisches Sprichwort

 

 

Thorsten


Anmerkung 1: Dieser Artikel steht in Zusammenhang mit dem Artikel: Selbstgespräche. Dort werden u. A. Beispiele genannt, wie innere Monologe positiv zu gestalten sind. Auch in dem Artikel  Mentales, Training und die Macht der Bilder finden sich Anknüpfungspunkte zum hier Gesagten.

 

Anmerkung 2: Dieser Artikel wurde von Darts1.de - Deutschlands größter Dartsseite - für eine Kolumnenreihe übernommen:  https://www.darts1.de/kolumnen/darts-und-petanque.php

 

Interessante Ergänzung:  http://www.faz.net/aktuell/wissen/geist-soziales/selbstgespraeche-wortschwall-im-gehirn-15006540.html


Ergänzung: Leistungseinbruch unter Druck

In einem Artikel der Braunschweiger Zeitung beschäftigte sich der bekannte Hirnforscher Martin Korte mit dem Phänomen des plötzlichen Leistungsabfalls, der Sportler in Drucksituationen ereilt [1]. Ursächlich sollen im wesentlichen folgende Faktoren sein:

 

1: Unter Druck beginnen Sportler vermehrt zu denken, was mit einer Aktivierung des Sprachzentrums einhergeht und sich in vermehrten Selbstgesprächen äußert.

 

2: Unter Druck entsteht Angst zu versagen, die zu einer bewussten Kontrolle zuvor automatisch abgehandelter Bewegungsmuster führt, worunter die effiziente Ausführung der Bewegungen leidet.

 

Im Gehirn entspricht beides einem weniger harmonischen Zusammenspiel zwischen linker und rechter Hirnhälfte. Der Wissenschaftler rät, in entsprechenden Situationen, die Linke Hand für mindestens 15 Sekunden zur Faust zu ballen, was die rechte Gehirnhemisphäre reaktivieren und eine Art „Neustart“ bewirken soll. Der sportpsychologische Trick wird als gut erforscht beschrieben.

 

Der folgende Artikel beschäftigt sich ausführlich mit dieser Thematik:

https://www.dasgehirn.info/entdecken/fussball/nicht-denken-machen

[1] Siehe hierzu: Braunschweiger Zeitung vom 23. Juni 2018 - "Nachdenken übers Denken beim Fußball" von Martin Korte

Anmerkung 3: Im Lichte dieser Ergänzung steht obiger Artikel in Zusammenhang mit folgendem Beitrag im Boulelexikon: Bewegungen bewirken, Bewegungen erlernen


Bild: Januskopf im Querumer Forst. Skulptur von Magnus Kleine-Tebbe