Strategisches Legen

- Legen aus Prinzip - 


Rückzug ausgeschlossen
Rückzug ausgeschlossen

Als Hernán Cortés sich anschickte, das Aztekenreich zu erobern, beging er damit einen Akt der Rebellion gegen seinen Vorgesetzten. Um seinen Männern zu verdeutlichen, dass ein Rückzug ausgeschlossen sei, ließ er die Schiffe verbrennen, die ihn ins Land der Feinde getragen hatten.

 

Bereits im Jahre 310 v.Chr. hatte Agatokles von Syrakus ein ähnliches Manöver durchgeführt. Obwohl seine Stadt von den Karthagern belagert wurde, durchbrach er deren Sperre mit einer Flotte, die er nach Nordafrika führte. Nach der Landung verbrannte er die Schiffe, um den Gegner in seinem Kernland mit äußerster Entschlossenheit - und schließlich erfolgreich - anzugreifen.

 

 

Ein solcher Akt des Abbrechens aller Brücken soll uns nun interessieren: Legen ist das Fundament des Pétanque. Mit Schüssen kann nur verteidigt werden, was am Boden liegt. Beim Legen taktieren - also taktisches Legen - ist das Alltagsgeschäft des Boulespielers. Ob eine Kugel "zwingend" [1] an das Cochonnet gelegt wird, ob man dem Gegner mit einem Bastard zu denken gibt oder mit schönen Devantkugeln die Wege schließt, ob absichtlich "durchgelegt" wird, damit sich das "Sauziehen" nicht lohnt oder eine Kugel "press" [1] und "unschießbar" [2] an die Gegnerkugel andockt, immer ist es die taktische Einschätzung der Lage, auf die sich die Entscheidung zum Legen gründet. Was aber ist strategisches Legen?

 

Zur Unterscheidung von Strategie und Taktik folgt das Boulelexikon der Ansicht von Clausewitz (siehe: Die Bedeutung der Strategie) Folgerichtig ist strategisches Legen etwas, dass aus übergeordneten Gründen erfolgt und nicht aus der konkreten Spielsituation resultiert. Mit strategischem Legen kann unter bestimmten Voraussetzungen auf eine spezielle Notlage reagiert werden: 

Mannschaften in Schwierigkeiten versuchen sich durch "Drehen" zu retten. Die Spieler tauschen untereinander die Positionen. Wenn es aber schlecht läuft, hat das keinen positiven Effekt. Ebenso kann der Positionstausch als von vornherein aussichtslos eingeschätzt werden. In diesen Fällen absoluter Not, bietet es sich als letztes Mittel an, prinzipiell alle Kugeln zu legen, ungeachtet der taktischen Situation. Was sind die Vorteile dieses strategischen Kniffs?

 

Versucht eine Mannschaft durch aggressives Spiel zu dominieren, wird sie häufiger schießen, der Gegner hingegen überwiegend legen. Mit der Zeit ist dann die defensive Mannschaft gut eingespielt, legt also stabil, während ihr Gegner sich überwiegend in Schüssen geübt hat. Es kann nun dazu kommen, dass das aggressive Team spürt [3]: "Wir können nicht so viele Kugeln entfernen, wie sie der Gegner zu legen vermag." Das ist der Moment, da die Erkenntnis reift, dass eigene, gut gelegte Kugeln dringend gebraucht werden, kein Teammitglied aber dazu fähig ist. Entweder es wird erheblich besser geschossen oder man kommt beim Legen wieder in die Spur!

 

Indem nun das anfangs offensive Team konsequent legt, also zum strategischen Legen übergeht, steigt die Chance, dass zumindest einer der Spieler wieder gute Kugeln produziert. Zudem wird Zeit gewonnen, da viele Kugeln platziert werden, die es dem Gegner erschweren, Punkte zu sammeln. Diese Zeit kann genutzt werden, sich durch Minierfolge selbst aus dem Sumpf zu ziehen. Ein weiterer Aspekt ist, dass sich viel Metall in Zielrichtung bewegt. Es steigt mit der höheren Zahl allein schon aus statistischen Gründen die Wahrscheinlichkeit, durch eine zufällig gut gelegte Kugel etwas Luft zu bekommen. Mit einer sehr guten Kugel kann dann getestet werden, ob nicht das Schießen zu den verborgenen Schwächen des Gegners gehört.

 

Dieser Argumente eingedenk, ist dennoch der bewusste Verzicht auf Schüsse der eigentliche psychologische Kniff. Alle Mitspieler wissen dann, dass, gleichgültig wie gut der Gegner vorlegt, sie nur die Möglichkeit haben, die Kugeln selbst zu verbessern. Kein Schütze wird ihnen zur Hilfe eilen. Das diszipliniert und wirkt in etwa so, also würde man die Brücken hinter sich abbrechen oder die Schiffe, mit denen man kam, verbrennen. Es gibt dann nur noch den Weg nach vorn, Sieg oder Untergang.

 

Das strategische Legen ist eine absolute Notmaßnahme, mit der ein Team versucht, Zeit zu gewinnen und sich "zu erden". Es sollen die Grundfähigkeiten rekalibriert werden, indem zum Kern des Spiels - dem Legen - zurückgefunden wird. Strategisches Legen gelingt nur, wenn der Gegner auf keinem zu hohen Niveau spielt, da andernfalls die beschriebene Situation in kürzester Zeit in die Niederlage führt. Es ist eine Maßnahme, Legerteams und Anfängermannschaften, die man unterschätzt hat, dennoch niederzukämpfen.

 

 

Der Entschluss zum strategischen Legen fällt nicht leicht, ist er doch immer ein Eingeständnis, dass momentan nicht die Stunde ist, so smart zu spielen, wie man es sich wünscht. Es ist hart, von den Prinzipien abzurücken, die ein fortgeschrittenes Spiel kennzeichnen. Wenig smart ist es hingegen, aus Dünkelhaftigkeit zu verlieren.

 

Manchmal bleibt leider nur die Wahl: Legen aus Prinzip oder unterliegen aus Prinzip.

 

Thorsten


Ergänzung: Strategisch gelegt - also im Sinne des Strategiebegriffes - wird auch, wenn verhindert werden muss, dass eine Mannschaft überdurchschnittlichen Nutzen aus dem Anwurfrecht zieht. Beständig in Besitz des Cochonnets, wählt sie dann Entfernungen und Bodenbereiche, die ihr massive Vorteile verschaffen. Irgendwann erkennt man dann: "Wenn wir dieses Spiel überhaupt noch gewinnen wollen, brauchen wir zunächst einmal die Sau!" Dann ist es sinnvoll, lieber auf mehrere Punkte, die man risikoreich taktierend sammeln könnte, zu Gunsten des einen, den man sicher macht und der das Anwurfrecht im Gepäck hat, zu verzichten. Die taktische Möglichkeit, viele Punkte zu sammeln, wird der strategischen Notwendigkeit geopfert, das Spiel in andere Bahnen zu lenken.

 

[1] die Ausdrucksweisen "Die Kugel liegt zwingend" bzw. "Sie liegt press", sind bouletypischer Sprachgebrauch. "Zwingend" bedeutet, dass eine Kugel so gelegt wurde, dass es aussichtslos erscheint, durch reines Legen einen Punkt zu erzielen. Man ist also zu besonderen Maßnahmen gezwungen. "Press" bedeutet, dass sich zwei Kugeln bzw. Kugel und Schwein direkt berühren, was einerseits die Vorhersehbarkeit der Laufwege nach einem erfolgreichen Schuss sehr erleichtert, andererseits die Entfernung der "press" liegenden Kugel ohne gravierende Veränderung des Kugelbildes sehr erschwert.

 

[2] Zu diesem Problem siehe: "Das Newtonpendel

 

[3] Wann ist dieser Moment gekommen? dazu findet sich bei Clausewitz: "Oft hängt alles an dem seidenen Faden der Einbildung. Es kommt also alles darauf an, den Kulminationspunkt mit einem feinen Takt des Urteils herauszufühlen."  Im Spiel lässt sich immer wieder erleben, wie mit dem Verlust der Zuversicht, dass die gewählten Aktionen für den letztlichen Erfolg genügen sollten, sogleich auch deren Ausführung scheitert - der vom gegnerischen Leger beeindruckte Schütze trifft nicht mehr, der vom stets treffenden Tireur beeindruckte Pointeur legt sogleich schlechter - der "seidene Faden der Einbildung" ist gerissen.

Siehe: Carl von Clausewitz - Vom Kriege -

Der Angriff: Fünftes Kapitel

- Kulminationspunkt des Angriffs -


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