Selbstgespräche

- Mentale Stärke im Pétanque -


"Ich freue mich, wenn es regnet.

Denn wenn ich mich nicht freue, regnet es auch."

Karl Valentin


Welche Gesprächskultur pflegen wir beim Dialog mit uns selbst?
Welche Gesprächskultur pflegen wir beim Dialog mit uns selbst?

Haben Boulespieler „einen an der Murmel“? Wer stundenlang Kugeln beim Rollen beobachtet, kann bei Außenstehenden leicht schon einmal für etwas schräg gelten. Das ist aber nicht der Grund, warum es in diesem Artikel um Selbstgespräche gehen wird. Anders als vielleicht vermutet, führt jeder sie – wenn auch nicht laut, so doch zumindest in Gedanken.

 

Wie es bei Eberspächer[1] heißt – viel zitierter Doyen der Sportpsychologie –, erfolgt die Verarbeitung aufgenommener Informationen „…in Gedanken, die dem Handeln vorausgehen, es begleiten und ihm folgen“. Diese Gedanken manifestieren sich als Selbstgespräche, die jedoch nicht mit Lautäußerungen verbunden sein müssen. In diesen „ … formuliert man Pläne für sein Handeln, gibt sich selbst Anweisungen, ordnet seine Gedanken oder kommentiert das eigene Handeln“[2], was bewusst, aber auch unbewusst geschehen kann.

Flapsig formuliert, quasseln wir also ständig auf uns selbst ein und könnten das nun einfach als Kuriosum zur Kenntnis nehmen, wenn damit nicht Folgen verbunden wären, die unser sportliches Handeln beeinflussen. Die Art und Weise des Selbstgespräches hat nämlich Auswirkungen auf die Qualität unserer Würfe als Pétanquespieler; auf unser Durchhaltevermögen in schwierigen Situationen und auf vieles mehr. Gehen Selbstgespräche in die falsche Richtung, so mag es dahin kommen, dass Tränen unser Lager netzen, weil immer dann ein Zittern unsere Hand umflog als es gerade darauf ankam.

Wenn wir uns mit dem Sportler-Selbstgespräch befassen, dürfen wir freilich nicht erwarten, hierdurch sogleich zu einem zweiten Philippe Quintais zu werden. Es wäre schon ein Erfolg, das eigene Leistungsvermögen in entscheidenden Situationen häufiger ausspielen zu können – gerade das ist aber leider nicht immer der Fall und gelingt keineswegs jedem.

Seit Jahrzehnten ist es Stand der Forschung, dass die Aufrechterhaltung eines positiven und zuversichtlichen Selbstgespräches sich günstig auf die erbrachte Leistung auswirkt. Man kann sogar sagen, dass immer zunächst das Selbstgespräch ins Negative umschlägt, bevor man unter einer Belastung aufgibt[2]. Zwar zeigen neuere Forschungen, dass bestimmte Sportler durchaus in der Lage sind, einen negativen inneren Kommentar als Weckruf zu deuten und sich aufzuraffen, doch scheint es dennoch grundsätzlich ratsam zu versuchen, positiv und zuversichtlich mit sich selbst zu parlieren. [3] 

Gewiss kommen uns viele Gedanken ganz unwillkürlich, werden also nicht bewusst erzeugt, doch sind wir natürlich ebenso in der Lage, den Gedankenstrom willentlich zu formen. Bei steter Wiederholung bestimmter Inhalte können diese sich dann tatsächlich auch spontan einstellen. Genau hier liegt der Ansatzpunkt für ein Training des Selbstgespräches. Wir können uns in gewissem Umfang eine neue Programmierung geben, wenn wir beharrlich daran arbeiten. Freilich ist es schwierig, von Gewohntem zu lassen, und es bedarf geraumer Zeit und gewiss erheblicher Mühen, das Wesensfremde so anzunehmen, dass man es schließlich aus dem Grunde des eigenen Lebens zu billigen vermag.

Wie sollte man es angehen? Vielleicht mit einer Analyse des Istzustandes. Beobachten wir uns doch einmal kritisch während des Spiels: Wie oft folgt, wenn wir die falsche Kugel beseitigt haben, der Kommentar: „Natürlich, das habe ich doch gleich gewusst.“ - Wirklich? Wir haben also schon vorher geglaubt, zu scheitern? Oder wir befinden: „Heute geht alles schief, es ist einfach nicht mein Tag.“ - Mag sein, aber was soll diese Erkenntnis jetzt bringen? Ist sie wirklich hilfreich, die offensichtliche Misere zu endigen? Auch glauben wir zu wissen: „Wir liegen hoch zurück, das schaffen wir gegen diese starken Gegner nicht mehr“. - Gewiss, wenn wir innerlich aufgeben, werden wir ganz sicher damit Recht behalten. Auch lässt sich beobachten, wie wenig pfleglich wir mit uns selbst umgehen. Wir kritisieren uns in einer Weise, wie wir es uns (hoffentlich) bei einer anderen Person niemals erlauben würden. Nach Fehlwürfen wird sich da an die Stirn geschlagen, gewürzt mit derben Ausrufen wie „Du Trottel“ oder Schlimmerem.

Das alles ist nicht nur nicht gut, es ist unprofessionell. Da brauchen wir uns nicht erst die Mühe machen, an unserer Technik zu feilen, Videostudien zu betreiben, einen Trainer zu besuchen, oder was auch immer wir noch unternehmen mögen, wenn wir dann im entscheidenden Moment eine mentale Position einnehmen, aus der heraus wir nicht mehr in der Lage sind, das Können auch zur Anwendung zu bringen. 

Haben wir also einige unserer schlimmsten Selbstgespräche durch Beobachtung isoliert, sind uns somit ihrer bewusst geworden, können wir dazu übergehen, etwas dagegen zu unternehmen:  

Wir können unsere Kommentare, die wir bei wiederkehrenden Situationen absondern, umformulieren und das neue „Selbstsprech“ hinfort fleißig einüben. Dabei müssen wir uns bei den gewählten Formulierungen um Kürze und Prägnanz bemühen, und – man liest es allenthalben – negative Wendungen strikt vermeiden.

 

Ich möchte das an einigen Beispielen demonstrieren:

„Ach Mist, ich schieße immer zu kurz.”

Mit diesem Schwung treffe ich.“ oder „Schön ausschwingen!“

 

„Auf glattem Boden war ich noch nie gut.“

„Auch auf Rotasche werde ich besser." oder "Heute geht es los

oder „Ich komme überall klar“ oder „Der Boden ist für alle gleich“

 

„Heute lege ich alles durch.“ 

„Konzentrieren!“ oder„Spiel den Boden!“ oder Pass dich an!“

 

„Ich habe heute kein Gespür für die Kugel.“ 

Ganz ruhig! Zeit lassen! Atmen! Kugel hin und her schwingen. Ganz locker werfen!

 

 „Oh Gott! Quintais und Rocher, die können wir nie besiegen!" 

„Spiel einfach die nächste Kugel“

 

Unsere Kugel liegt direkt neben dem Ziel. Die darf ich keinesfalls treffen!" 

„Das Ding treffe ich!“ oder „Die haue ich weg!“

 

„Das gibt’s doch nicht, ich treffe nur Steine“ 

„Gib Dir Mühe! Boden lesen!“

 

Immer habe ich Pech“ 

„Die schwarze Serie endet jetzt“

 

„Oh nein, 12:12 und die legen ausgerechnet jetzt direkt an die Sau“ 

„Solche Dinger habe ich schon oft getroffen“ oder „Prima, Sau liegt gleich im Aus.“

 

„Oh nein, die holen auf. Das wird eng.“ 

„Du kommst nicht vorbei!“ (Für Tolkin-Fans) oder Wir kriegen jetzt die Kurve!“

 

Wieder vorbeigesemmelt, du Idiot!" 

„Kommt vor“ oder „Abhaken!“ oder „Nächste trifft“


 

Ein mächtiger Gedanke ist der folgende:

 

Das kann ich, das habe ich schon einmal geschafft.“

 

 

Beispiel: Als Schütze beginnt man eine Partie. Das Cochonnet wird auf 9,75m ausgeworfen. Wenig später liegt die erste Kugel knapp daneben. Obwohl es nicht die eigene Lieblingsentfernung ist, trifft der obligatorische Schuss. Der Gegner legt jedoch seine nächste Kugel fast genau an dieselbe Stelle. Was denkt man nun?Ich hatte beim ersten Schuss schon Glück, ein zweites Mal gelingt mir das bestimmt nicht“. Oder denkt man vielleicht: „Mist, die kommen immer wieder hin, wir müssen legen.“ Natürlich nicht, denn dann braucht man es wirklich nicht noch einmal zu versuchen. Der einzig richtige Gedanke ist: "Das kann ich, gerade eben habe ich es geschafft und gleich schaffe ich es wieder.“

 

So sollte man es mit allem halten. Gelingen einem schwierige Aktionen, so gilt es, diese unbedingt in der Erinnerung zu bewahren. Man sollte einen Moment innehalten und das Gefühl in sich aufnehmen. Auch nach dem Spiel kann man sich gerne daran erinnern und vielleicht am selben Tag, kurz vor dem Einschlafen erneut. Auch an kommenden Tagen und auch künftig immer mal wieder, kann man so verfahren. Dabei wollen wir uns nicht über unser eigenes Leistungsvermögen belügen. Wir wollen uns lediglich von unseren Erfolgen beflügeln lassen. Misserfolge hingegen, sollen uns nicht hemmen.

 

Wenn die Herausforderung nächstens wieder auftritt, muss man ein wenig mehr davon überzeugt sein:

Ich kann das. Ich habe es bereits vermocht.

Ich werde es jetzt wieder tun.“

 

Bei Goethe findet man den Satz:

"Man tadelt den, der seine Taten wägt. (Iphigenie auf Tauris)

Kurz vor der eigentlichen "Tat" des Werfens gilt das ganz gewiss. Wenn wir gleich in Aktion treten, gilt es, nicht mehr zu wägen, dann heißt es wagen!


Instruktionale Selbstgespräche: Bislang ging es hier überwiegend um die motivationale Seite von Selbstgesprächen. Jüngere Forschungen zeigen jedoch auch die Möglichkeit auf, diese instruktional zu nutzen. Instruktionale Selbstgespräche zielen u.a. auf "...bewegungsrelevante Anweisungen ab."[4]

Wir können das Verfahren also auch dazu nutzen, bestimmte Bewegungsabfolgen zu unterstützen.

 

Beispielsweise kommt es beim Schuss darauf an, mit dem Arm hinter dem Körper Schwung zu holen, den Schwung dann locker auszuführen und die Hand spät und sauber zu öffnen, sodass die Kugel einen ausgeprägten Bogen beschreibt und ihr Ziel direkt trifft. Man kann nun bestimmte Worte gedanklich mit dem verbinden, was man als richtig erkannt hat. Dieses geschieht beim Einüben, nach gelungenen Aktionen und später dann bei der geistigen Vergegenwärtigung der Bewegungsabfolge. Hat man Worte gefunden, die das gewollte Bewegungselement symbolisieren, so kann man sie sich vor der eigentlichen Aktion ins Bewusstsein rufen, um die Handlung erfolgreicher auszuführen. Man spricht sich dann Worte vor, die etwa so lauten könnten: „Durchschwingen!“; „Gerade bleiben!“; „Hoch raus!“; „Locker!“ etc.

 

Gedankenstopp: Wenn wir uns in einer Krise befinden und eine nicht endende Flut schädlicher Gedanken uns quält, dann brauchen wir eine Technik, diese abrupt und vollständig zu unterbrechen. Wir müssen ein Stoppschild für diese Gedanken aufstellen. Dieses Schild können wir uns tatsächlich vorstellen. Wir können das Wort "STOP"[5] aussprechen, uns kneifen oder eine andere symbolische Handlung ausführen, mit der wir uns zwingen, den Gedankenstrom zu unterbrechen. Auf diese Weise wollen wir uns den nötigen geistigen Freiraum verschaffen, die anstehenden Aufgaben zu bewältigen.[6](in den Fußnoten findet sich hierzu noch eine Ergänzung)

Die Veränderbarkeit der mentalen Voraussetzungen eines Spielers ist etwas, das leicht übersehen wird. Hier ging es mir darum, etwas aufzuzeigen, dem vielleicht nicht genügend Aufmerksamkeit gewidmet wird. Ich habe mich dabei bemüht, alles möglichst konkret zu halten. Es finden sich nämlich Ratgeberartikel zum Thema in Fülle. Diesen gelingt es auch recht gut, die Krankheit zu beschreiben, doch wenn es daran geht, die Medizin zu nennen, dann bleiben sie seltsam vage. Doch, erwarten wir uns auch nicht zu viel davon. Seien wir geduldig. Die wesentlichen Veränderungen sind die allmählichen - sagt man. In stetem Ringen um besseres Spielen ändern wir unser Spiel und auf diesem Wege, peu à peu, ändert das Spiel auch uns selbst. Wer kann nach einer Dekade des Spielens behaupten, er sei derselbe, der er einst gewesen? Mit dem Bewusstsein für diesen mählichen Prozess gewinnen wir nicht nur Spiele, wir spielen vielmehr mit Gewinn.

 

Thorsten  


Hinweis: Dieser Artikel steht in inhaltlichem Zusammenhang zu dem Text: "Innerer Monolog und Bewusstseinsstrom". Dort ging es mir darum, das Phänomen des inneren Sprechens darzustellen und unterschiedliche Intensitäten und Inhalte voneinander zu unterscheiden. Insofern bildet er eine Art Einleitung zu diesem Artikel.


[1] Hans Eberspächer, Mentales Training - ‎ Copress Sport; 8. Auflage 2012 S. 20f.

[2] Hans Eberspächer, Mentales Training - ‎ Copress Sport; 8. Auflage 2012 S. 21

[3] https://www.spowi.uni-leipzig.de/fileadmin/Fakult%C3%A4t_Spowi/Sport-_und_Bewegungspsychologie/Sportpsychologie/Dokumente/Forschung/Alfermann-Walter_2018_S4WIN_Leitfaden.pdf S8f 

Anmerkung: Ich empfehle interessierten Lesern zur ersten Vertiefung die oben angeführte Schrift. Sie gibt einen guten Überblick über das Themenfeld und wird konkret genug, eine Ahnung davon zu bekommen, welche Dimension ein Mentaltraining, wie es hier nur angerissen wurde, eigentlich haben kann.

[4]https://www.spowi.uni-leipzig.de/fileadmin/Fakult%C3%A4t_Spowi/Sport-_und_Bewegungspsychologie/Sportpsychologie/Dokumente/Forschung/Alfermann-Walter_2018_S4WIN_Leitfaden.pdf S9f 

Excalibur
Excalibur

[6] Ergänzung zum Gedankenstopp: Manchmal reicht ein einfaches Stoppschild nicht aus, unsere Gedanken eine neue Richtung nehmen zu lassen. Was wir dann brauchen, sind intensive Eindrücke, die uns ablenken - starke Gedanken, mittels derer wir das Negative in unserem Kopf augenblicklich überschreiben und somit tilgen können. Vielleicht finden wir ein Wort, das uns an etwas erinnert, mit dem wir günstige Emotionen verbinden; vielleicht kombinieren wir damit auch eine Musik, die den gewünschten Effekt zu fördern vermag. Eine solche Szene bereiten wir Gedanklich und systematisch vor und vergegenwärtigen sie uns dann im Spiel, wenn wir einen wirklichen Umschwung benötigen. (In der Sportpsychologie werden solche Techniken unter dem Begriff: "Visualisierung" besprochen. Dabei geht es immer darum, vor dem inneren Auge einen Film ablaufen zu lassen, der bestimmte Emotionen erweckt oder die Elemente einer Bewegung klar im Bewusstsein verankert. Mit den Grundlagen der Visualisierung befasst sich bereits ein weiterer Artikel: Mentales, Training und die macht der Bilder

 

Ich will mich an einem Beispiel versuchen: 1981 drehte John Borman seine eindrucksvolle Interpretation der Artuslegende: „Excalibur - Das Schwert des Königs“ In einer Schlüsselszene zieht Artus -noch Knappe- das heilige Schwert aus dem Stein. Nur der wahre König vermag dieses zu tun. In einem einzigen Moment tritt dieser somit hervor. Zwist und Hader, die das Land schwer plagten, werden weggewischt. Unterlegt ist dieser Moment mit einer Sequenz aus Richard Wagners „Ring des Nibelungen“ - genauer, aus „Siegfrieds Tod“. Eine eindrucksvolle Szene, die auf mich immer eine große Wirkung hat. Wir haben hier alle Elemente beisammen: Ein starkes und symbolträchtiges Wort: „Excalibur“ - der Name des Schwertes. Eine emotionale Szene von hohem Symbolgehalt – überraschend und augenblicklich wird alles zum Guten gewendet. Eine dramatische Musik, die den Gehalt des Augenblicks unterstützt und verstärkt.

 

Sprechen wir „EXCALIBUR“, lassen wir die Szene vor unserem inneren Auge ablaufen.

Wie können wir jetzt noch verzagt sein?

 

Die Filmszene: https://www.youtube.com/watch?v=O-tJOodieIU Die eigentliche Sequenz beginnt bei 1:20 Min. In der „Bearbeitung“ für das Kopfkino des geplagten Boulespielers wird daraus: Das gesprochen Wort „Excalibur“, die Befreiung des Schwertes, Wagners imposantes Thema und die zunehmende Euphorie der Umstehenden – eine beflügelnde Szene.

Wollen wir noch eins draufsetzen? In einer späteren Szene reiten die Ritter der Tafelrunde aus, das Böse zu vernichten. Das verwüstete Land wird fruchtbar, Pferde und gepanzerte Reiter preschen durch einen blühenden Hain, weiße Apfelblüten wirbeln wie Schnee; dazu erklingt Carl Orffs Musik „Carmina Burana“. Jetzt glauben wir aber wirklich an unseren Sieg, oder? ;-)

https://www.youtube.com/watch?v=nthojvLZoNY 

Selbstverständlich muss jeder seine eigenen Bilder finden. Diese müssen auch nicht zwingend einem Film entlehnt sein. Vielleicht erinnert man sich einfach an ein selbst erlebtes Ereignis von besonderem Stellenwert und fügt seine Lieblingsmusik hinzu.

 


Bild 1 von Gerd Altmann auf Pixabay 

Bild 2 von Alan Choong auf Pixabay