Handhaltung


Hält jemand erst seit Kurzem seine Pétanquekugeln in Händen, wird ihm meist Rat zuteil, wie das runde Sportgerät zu halten sei [1]. Das ist richtig und wichtig, lenkt aber auch von dem Umstand ab, dass sich im Pétanque die Dinge weniger um das Festhalten drehen. Im Zentrum der Boulewelt steht vielmehr das Loslassen [2]. Dieser an sich simple Vorgang birgt enorme Schwierigkeiten; ist die eigentliche Herausforderung des Spiels und wird den "Boulisten" beschäftigen, solange er nach den Kugeln zu greifen gewillt ist. Das Geschick in dieser Disziplin entscheidet über Sieg oder Niederlage.

 

Wer auf dem Bouleplatz den Sieg festhalten will, der muss loslassen können.

 

Den meisten Spielern ist schon einmal ein Wurf gelungen, dem das "Prädikat perfekt" anzuheften wäre: Ein Schuss, bei dem die Kugel zunächst deutlich aufsteigt, sich sodann nach Art der Parabel gen Boden senkt, worauf sie, ihr Ziel exakt treffend, mit diesem den Platz tauscht: Carreau sur Place - Jubel, Staunen, Begeisterung, Ehrfurcht. Wie soll man die Leichtigkeit beschreiben, mit der die Hand kurz vor einem solchen Ereignis die Kugel entlässt? Ein Schmetterling, sich bei Windstille von einer Blüte in die Lüfte schwingend - beim perfektesten der Würfe erhebt sich die Kugel auf ähnlich schwerelose Weise in den Äther[3].
Ist soweit das Ideal beschrieben, steht damit ebenso fest, dass auch viele Würfe von Erfolg gekrönt sind, die dieses Vorbild verfehlen.

"Je weniger eine Hand verrichtet, desto zarter ist ihr Gefühl."  Hamlet - William Shakespeare
"Je weniger eine Hand verrichtet, desto zarter ist ihr Gefühl." Hamlet - William Shakespeare

Weicht die Bewegung jedoch zu sehr vom Optimum ab, erfolgt sie ruckartig, ist mühevoll und unkoordiniert, hilft die Besinnung auf den Grundsatz: Weniger ist mehr! Die eigentliche Aufgabe des Lenkens obliegt nämlich beim Boule dem Arm - nicht der Hand. Dieser gibt, indem er von hinten nach vorn schwingt, der Kugel die Richtung. Die Hand muss diese lediglich im rechten Moment freigeben. Der Arm ist also dafür verantwortlich, dass ein Ziel nicht links oder rechts verfehlt wird; die Hand sorgt dafür, dass eine Kugel nicht über ihr Ziel hinausschießt oder zu kurz bleibt.

 

Prägnant beschreibt eine goldene Weisheit diesen Zusammenhang:

"Die Kugel führt die Hand, nicht die Hand die Kugel!"

 

Das störungsfreie Entlassen der Kugel wird durch eine bestimmte Handhaltung gefördert. Wichtig ist, dass der Handrücken im Moment des Freigebens nach oben zeigt. Andernfalls erfährt die Kugel einen störenden Effet[4] und kann zudem seitlich abgelenkt werden. Idealerweise verlässt sie die Hand im Bereich der mittleren Finger, wobei zwei Varianten denkbar sind:

 

1. Mittelfinger – Ringfinger

Denkt man sich den Daumen weg, dem in der Tat beim Greifen der Kugel keinerlei Bedeutung zukommt, liegen Mittel- und Ringfinger in der Mitte der Hand. Würfe, die hier ihren Ausgang nehmen, haben eine solide Aussicht auf Erfolg.

 

2. Zeigefinger-Mittelfinger-Ringfinger

Diese drei Finger bilden das Zentrum der ganzen Hand. Über diesen Weg startende Kugeln genießen eine stabile Führung[5]. Ein weiterer Vorteil liegt in der Zusammenarbeit mit dem Arm. Es scheint hier besser möglich, bei der Vorwärtsbewegung den Arm gerade zu halten, während erstgenannte Methode das Einknicken im Ellenbogen leicht begünstigt.

 

Da sich beide Methoden eher in Nuancen unterscheiden, lohnt es sich, individuell zu experimentieren, welche den eigenen Wurfstil besser unterstützt. Dabei ist zu bedenken, dass kein Körper wie der andere ist und letztlich der Wurf als Ganzes funktionieren muss; stellt er doch ein System von Einzelkomponenten dar. Die Verbesserung von Teilbereichen nützt nur dann etwas, wenn das Ganze dabei keine Verschlechterung erfährt. Der Beobachtung Wert sind auch die Ergebnisse beider Methoden bei differierenden Entfernungen.

 

Dem Menschen ist die Hand das Werkzeug, die Welt nach seinen Wünschen zu gestalten. Der Boulespieler dagegen ist gut beraten, den Flug der Kugel nicht im reinen Wortsinne zu "manipulieren". Die geringstnötige Handhabung ist alles, was der Hand obliegt – sie soll nicht tun, sie muss lassen.

 

Thorsten


[1] Wichtig ist es, die Kugel nicht so zu greifen, wie man beispielsweise eine Apfelsine hält, also klauenartig mit gespreizten Fingern. Die Finger liegen vielmehr locker beieinander, der Daumen hat keine Funktion. Die Hand formt sich zu einer Halbschale. Anschaulich erklärt diese grundlegende Handhaltung:
https://franzbroeckl.jimdo.com/techniken/kugelhaltung/

 

[2] Dieser Gedanke, der auf die wunderbare Fähigkeit des Menschen abzielt, jene winzige Zeitspanne exakt zu treffen, in der das Loslassen einzig einen Treffer bewirkt, war Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen: https://boule-braunschweig.jimdo.com/boulelexikon/hintergrund/der-wurf-aus-wissenschaftlicher-sicht/

Die dahinter sich verbergenden Mechanismen ihrem Wesen und Wirken nach zu erkennen, ist grundlegend für das Verständnis des Spiels.

 

[3] Ebenso treffend könnte man sagen: Der Schuss muss sich vom Schützen lösen, wie Schnee, der von einem Blatt rutscht. Auch der folgende Satz trifft es genau: Der Schuss muss vom Schützen abfallen, wie eine reife Frucht, die sich im Herbst vom Baum löst, weil die Zeit einfach gekommen ist. All dies geschieht ohne eigenes Bemühen - man lässt es geschehen.

 

[4] Den aus ungewolltem Effet entstehenden Effekten wird in den Artikeln Drall1 ff. nachgespürt. Sie sind im Pétanque die Ursache vieler verlorener Punkte.

[5] Diese Handhaltung wird auf der Homepage des DPV als richtig empfohlen. http://deutscher-petanque-verband.de/info-center/ip_kugelrundes/rund-um-die-kugel/ (siehe  dort: Wurftechnik)

 


Bild von JavierOK auf Pixabay