Drei Spielphasen


Eine Schachpartie wird in 3 Phasen unterteilt, die unterschiedliche Zielsetzungen beinhalten. In der Eröffnung sollen die Figuren gut entwickelt werden, um eine günstige Basis für das Mittelspiel zu schaffen, in dem eine Materialüberlegenheit erarbeitet wird, die im Endspiel zum Sieg führen soll. 

Auch im Pétanque ist es sinnvoll, das Spiel in ähnlicher Weise zu strukturieren. Unterschiedliche Spielphasen erfordern auch hier eine Anpassung der Herangehensweise. Schauen wir uns drei Spielphasen im Detail an:

 

 

Phase 1 - Die Eröffnung:

Dieser Abschnitt ist durch Unsicherheit gekennzeichnet. Zu Beginn der Partie sind weder die genauen Bodenverhältnisse bekannt, noch besteht Klarheit über die Spielweise des Gegners oder die eigene Form. Mögen auch Platz und Kontrahenten bekannt sein, mag auch die eigene Mannschaft bereits Spiele absolviert haben, so besteht doch nie Gewissheit darüber, wie die Witterung den Boden en dé­tail beeinflusst hat; die gegenwärtige Form des Gegners aussieht oder wie das eigene Team aus der Pause gekommen ist.

 

Es ist also dringend erforderlich, Klarheit über die Situation zu gewinnen. Mit diesem Wissen kann dann eine Strategie für das Mittelspiel entwickelt werden, die zu den erkannten Verhältnissen passt. Keinesfalls möchte man anfangs auf dem falschen Fuß erwischt werden und schnell in hohen Rückstand geraten. Ein solider und verhaltener Beginn bewahrt davor und gibt Zeit zum Beobachten und Analysieren.

 

Natürlich ist es verlockend, einen schwächelnden Gegner gleich Anfangs in wenigen Aufnahmen niederzuringen. Es liegt aber auch eine Gefahr darin: Eine frühe Offensive kann eine Überdehnung der Kräfte bedeuten. Findet der Gegner noch zu seinem Spiel, ist man selbst gezwungen umzustellen und kann aus dem Tritt geraten. In einer Offensive wird viel geschossen, der Aufbau eines guten "Legegefühls" kann dabei auf der Strecke bleiben. Wie bei einem Marathonläufer, der es zu schnell angeht, nach 20 km eindrucksvoll führt, schließlich aber abgeschlagen das Ziel erreicht, kann die frühe Offensive den späteren Zusammenbruch einleiten. Dieser Umstand dürfte der Hintergrund für die angebliche Gesetzmäßigkeit "7 arrête" sein. Boulespieler glauben, dass Mannschaften, die 7 : 0 führen, überdurchschnittlich häufig noch verlieren. Sollte das stimmen und es sich dabei nicht nur um ein "Pfeifen im Walde" handeln, sind die Ursachen sicher ein zu forsches Angehen, das damit verbundene Übersehen wichtiger Details sowie ein trügerisches Gefühl der Sicherheit durch die hohe Führung.

 

Für die Eröffnungsphase wird auch gern die Empfehlung gegeben, ruhig etwas zu riskieren. Das ist insofern richtig, als immer noch genügend Zeit bleibt, einen Schnitzer wieder auszubügeln. Wenn also etwas getestet werden soll, dann jetzt. Andererseits ist es aber genau aus diesem Grunde unwahrscheinlich, den Gegner gleich "erledigen" zu können. Aristoteles wird folgendes Zitat zugeschrieben: "Der Anfang ist die Hälfte vom Ganzen." Das beschreibt das, was hier dargestellt ist, sehr gut. Der Anfang hat eine überragende Bedeutung - was einmal begonnen wurde, das muss nun aber auch folgerichtig fortgesetzt werden.

 

Phase 2 - Das Mittelspiel:

Im mittleren Teil der Partie geht es darum, möglichst vor dem Gegner eine Punktezahl zu erreichen, die einen schnellen Sieg erlaubt. Die aus Phase 1 gewonnenen Erkenntnisse sollen nun in ein starkes Spiel umgemünzt werden. Jetzt findet der eigentliche Kampf statt. Wo liegt die optimale Spieldistanz, wo kommt der Boden der eigenen Mannschaft entgegen, wo liegen eigne und gegnerische Stärken und Schwächen? Solche und andere Fragen müssen beantwortet sein. Durch starkes Spiel müssen sieben oder mehr Punkte erreicht und dem Gegner dabei möglichst der Schneid abgekauft werden. So gelangt man ins Endspiel, in dem die Ernte eingefahren werden soll.

 

Weil damit zu rechnen ist, dass der Gegner sich ebenfalls seine Strategie zurechtgelegt hat, kann nun der Zeitpunkt gekommen sein, etwas elementar zu verändern. Der Kontrahent wird dann einer Situation ausgesetzt, mit der er nicht rechnet. Läuft die Partie nicht wie gewünscht, kann die Mannschaft jetzt umgebaut werden, denn es ist noch Zeit genug, die Früchte zu pflücken (siehe: Das absichtliche und das unbeabsichtigte Drehen)

 

Phase 3 - Das Endspiel:

Nachdem wir solide begonnen und uns dann gesteigert haben, ist nun die Zeit gekommen, die Katze aus dem Sack zu lassen. Wenn sieben Punkte erreicht sind, kann jede Aufnahme die letzte sein. Genau das ist das Ziel. Ein kleiner Fehler des Gegners sollte möglichst in einen Coup mit vielen Punkten verwandelt und das Spiel beendet werden. Wer jetzt noch übervorsichtig auf wenige Punkte aus ist und glaubt, auch noch später gewinnen zu können, spielt falsch, denn er riskiert, dass der Kontrahent die "zweite Luft" bekommt und noch vorbeizieht. Natürlich kann eine Partie, die man vollkommen im Griff hat, auch trocken und unspektakulär zu Ende gespielt werden. Es ist aber besser, sich nicht daran zu gewöhnen. Niemand weiß, ob eine Siegchance wiederkehrt, sie nicht genutzt zu haben, wäre sträflich.

 

In der Endphase des Spiels spielt die Psychologie eine immer größere Rolle und manchem Spieler einen Streich. Hier tritt dann eine zweite angebliche Gesetzmäßigkeit auf. Demnach kommt es relativ häufig vor, dass Mannschaften bei 12 Punkten "hängenbleiben" und der Gegner noch vorbeiziehen kann. Wenn der Sieg nahe ist, kann es leicht geschehen, dass die Konzentration abfällt oder aber die Affekte ins Spiel kommen und die Hand lähmen (siehe: Gelassenheit). Darum lohnt es sich, auch bei hohem Rückstand bis zum letzten Moment hellwach zu bleiben und auf eine Chance zu lauern. Auch ein Gegner, der bisher alles richtig gemacht hat, kann aus den genannten Gründen noch scheitern. Konzentrationsabfall und störende Affekte werden am besten verhindert, indem man es sich zur Gewohnheit macht, das Spiel so früh wie möglich durch einen Coup zu beenden. Wer gewohnheitsmäßig darauf aus ist, bleibt konzentriert und empfindet den Druck in der Endphase als etwas Normales.

 

Die hier skizzierten Spielphasen stellen ein Standardmodell dar, von dem abgewichen werden muss, sofern die Umstände es erfordern. Ein ruhiger und analysierender Beginn, eine wachsende Kraftentfaltung und ein explosives Finale bilden aber sicher eine sinnvolle Spielanlage. Diese begünstigt Teams, die über gute Fähigkeiten und hohe Flexibilität verfügen. Unterlegene und limitierte Mannschaften müssen dagegen darauf setzen, den Gegner auf dem falschen Fuß zu erwischen. Die Zeit wird sonst gegen sie arbeiten. Sie sollten daher schnell den offenen Schlagabtausch suchen. Es ist paradox, dass häufig die limitierten Teams eine langfristige Spielanlage wählen.

 

 

Thorsten


Nachwort:

In vergangenen Zeiten wurden Schlachten an einem Tag und an einem überschaubaren Ort geschlagen. In einer ersten Phase marschierten die Armeen auf und versuchten, sich taktische Vorteile zu sichern, indem sie das Gelände möglichst optimal nutzten und den Gegner ausspähten. In der zweiten Phase - der eigentlichen Schlacht - rangen dann die Truppen so lange, bis eine der Seiten einen Vorteil verbuchen konnte, der vermutlich zum Sieg führen würde. Die unterlegene Seite musste nun reagieren und sich möglichst geordnet aus der Schlacht zurückziehen. Nun begann die dritte Phase, in der es darum ging, die Macht des angeschlagenen Gegners möglichst vollständig zu zerschlagen.

Leicht kann man sowohl beim Schach als auch beim Pétanque und in vielen Wettkampfspielen dieses universelle Grundmuster wiedererkennen. Sich daran auszurichten hilft, das eigene Handeln zu strukturieren.


Ergänzung:

Ein durchgängig aggressives Vorgehen, das geeignet ist, den Gegner früh zu überwältigen, wird behandelt in: Durchschießen. Die damit verbundenen Risiken und Möglichkeiten des Umsteuerns behandelt der Artikel: Strategisches Legen.


Bild von Alois Grundner auf Pixabay