Fehlschüsse lesen


Mittelalterliche Belagerungsgeschütze - die sog. "Bliden" oder "Trebuchets" - waren Maschinen, die schwere Steine mehrere hundert Meter weit werfen konnten. Ihre Mechanik bestand aus einem starren Wurfarm, der mit einer flexiblen Schlaufe versehen war, die den Stein hielt. Durch ein Gewicht angetrieben, schwang der Arm um eine zentrale Achse. Wem käme da nicht die Kombination Schultergelenk-Arm-Hand der Pétanquespieler in den Sinn?

 

Folgendes Video zeigt nach ca. 2 Min. einige schöne Einstellungen der Funktionsweise einer Wurfmaschine: https://www.youtube.com/watch?v=pR26RMI9T8c

 

Wollte man mit diesen Geräten treffen, so mussten zunächst einige Steine verschossen und deren Flugbahnen genau beobachtet werden. Die Geschützmannschaft hatte dann die Maschine so nachzujustieren, bis Treffer erzielt wurden. Bis auf den heutigen Tag werden auf diese Weise Artilleriegeschütze mit Hilfe von Beobachtern eingerichtet.

 

Wenn beim Pétanque Fehlschüsse auftreten, kann das Erkennen etwaiger Muster Rückschlüsse auf die Fehlerquelle zulassen und eine schnelle Abhilfe ermöglichen:

 


1. Die Einschläge streuen grob und unsystematisch um das Ziel

 

Ursache A: Der Schütze hat seinen Bewegungsablauf noch nicht gefunden und führt jeden Wurf auf eine andere Weise aus.

 

Abhilfe: Der Schütze muss allein trainieren und einen Bewegungsablauf finden, den er stets beibehält. Er versucht dann, ein Gefühl für den Ablauf aufzubauen, was immer Geduld erfordert. Siehe hierzu auch: "Bewegungs- und Zielorientierung"

 

Ursache B: Der Schütze ist zu unkonzentriert. Es klingt banal, aber manchmal bringt man einfach nicht die nötige Konzentration auf, die komplexe Aufgabe richtig Auszuführen.

 

Abhilfe: Ein Mitspieler soll schießen.

 

 


2. Die Einschläge liegen seitlich versetzt

 

Ursache A: Der Schütze steht mit seinem Körper falsch zum Ziel.

 

Abhilfe: Eine leichte Drehung des Körpers bringt bereits Abhilfe. Der Körper sollte immer auf die selbe Weise zum Ziel ausgerichtet werden. Das kann man sehr einfach erreichen, indem die große Zehe des Fußes der Wurfarmseite genau Richtung Ziel weist.

 

Ursache B: Der Schütze zieht seinen Arm nicht genau von hinten nach vorn. Er führt ihn schräg und bewirkt so die Abweichung. Typischerweise liegen solche Fehlschüsse bei Rechtshändern links und bei Linkshändern rechts vom Ziel.

 

Abhilfe: Der Schütze muss sich darauf konzentrieren, den Arm wirklich nur nach vorn um das Schultergelenk schwingen zu lassen. Meist genügt es schon, sich bewusst aufzulockern. Das ist auch deshalb wichtig, weil es bei einem sehr geraden Wurf immer "Abstaubertreffer" gibt, indem Kugeln, die eigentlich zu kurz sind, noch ins Ziel rutschen. Schräge Schüsse, die zu kurz sind, gehen ins Leere.

 

 


3. Die Einschläge liegen hinter dem Ziel

 

Ursache A: Der Schütze steht höher als das Ziel. Ist ein Schütze gut eingeschossen und muss plötzlich bergab schießen, übersieht er leicht, dass das Ziel nun auf einer anderen Ebene liegt, er die Flugbahn also anpassen muss. Die leichte Abweichung bewirkt häufig, dass der Schuss knapp über das Ziel fliegt.

 

Abhilfe: Der Schütze zielt - entgegen seinem Gefühl - absichtlich etwas zu kurz ... und ... trifft.

 

Ursache B: Der Schütze hält die Kugel etwas zu lang in der Hand. Manchmal bewirkt Kälte, dass die Handkoordination nachlässt oder Regen erzeugt einen ungewohnten "Grip" und die Kugel bleibt förmlich kleben. Schließlich kann auch die Kugelgröße nicht zur Hand passen. Meist ist aber in einem solchen Falle der Griff zu fest.

 

Abhilfe: Der Schütze muss sich innerlich lockern und einen Griff finden, bei dem die Kugel zwar kontrolliert aber dennoch sehr leicht und harmonisch die Hand verlässt. 

 

 


4: Die Einschläge liegen vor dem Ziel

 

Ursache A: Die Schüsse erfolgen mit zu viel Rückdrall. Gibt man einer Kugel zu viel Rückdrall, kostet das immer Länge, denn die Energie, die beim Abrollen an der Hand den Rückdrall bewirkt, fehlt für die Vorwärtsbewegung. Das spielt auf kurze Distanzen kaum eine Rolle, wirkt sich aber aus, wenn man entferntere Ziele treffen will.

 

Abhilfe: Die Kugel muss die Hand leichter verlassen. Die Hand darf der Kugel nicht so viel Drall geben, wie man es vom Legen her gewohnt ist.

 

Ursache B: Die Kugel ist zu glatt und rutscht schon vorzeitig aus der Hand, wodurch sie eine zu flache Flugbahn bekommt.

 

Abhilfe: Kugeln mit einem hohen Härtegrad behalten immer eine relativ glatte Oberfläche. Wer damit Probleme hat, kann auf weichere Kugeln umsteigen. Manchmal, besonders bei sinkenden Temperaturen werden die Handflächen trockener und ermöglichen nicht mehr den gewohnt sicheren Griff. Hier kann eine glycerinhaltige Creme schnell Abhilfe schaffen.

 

Ursache C: Aufgrund einer Drucksituation wirft man mit einer zu starken Anspannung der Armmuskeln. Hierdurch wird der Schwung nicht optimal auf die Kugel übertragen.

 

Abhilfe: Vor dem Wurf sollte man sich bewusst auflockern und ins Gedächtnis rufen, dass es gilt, mit dem Gewicht der Kugel zu arbeiten. Der Arm muss wieder mehr wie ein Pendel schwingen.

 

 


5. Die Einschläge liegen mal knapp links, mal knapp rechts vom Ziel

 

Ursache: Die Kugel verlässt die Hand unsauber - d.h. nicht mittig - oder das Handgelenk neigt sich beim Wurf mal nach links, mal nach rechts.

 

Abhilfe: Es ist wichtig darauf zu achten, dass die Kugel die Hand immer im Bereich von Mittel- und Ringfinger verlässt [1], da nur so der Richtungsimpuls des Armes sauber übertragen werden kann. Aus selbigem Grunde soll auch der Handrücken beim Wurf immer nach oben zeigen und nicht seitlich geneigt werden.

 


6. Die Einschläge liegen mal knapp davor, mal knapp dahinter:

 

Ursache: Es handelt sich in beiden Fällen um Schüsse, die nahezu Treffer waren. Diejenigen, die zu kurz waren, hätten auf bestimmten Böden Treffer erzielt, diejenigen, die zu lang waren, wären fast Carreaux gewesen. Die Streuung, als Ausdruck der individuellen Präzision, hat es aber anders gewollt.

 

Abhilfe: Ruhig bleiben und keinen Frust aufkommen lassen. Der größte Fehler wäre es, jetzt Änderungen vorzunehmen oder zu verkrampfen. Lieber warten wir, bis es die Streuung wieder gut mit uns meint.

 

Eine mittelalterliche Wurfmaschine wurde in Einzelteilen transportiert, von Zimmerleuten stationär aufgebaut und dann von der Geschützmannschaft bedient, die nur sehr wenige Möglichkeiten der Justage hatte. Diese musste sie nutzen, sich an das Ziel heranzutasten. Genau nach diesem "Rezept" sollte das Schießen erlernt werden:

Man lege sich ein Grundgerüst von standardisierten Bewegungen zu und arbeite beständig damit. Dabei beobachte man stets die Resultate der Bemühungen und suche nach Gründen für Fehlwürfe. Diese abzustellen, ändere man stets nur einen der Parameter und niemals mehrere gleichzeitig.

 

In diesem Prozess lernt man die Wirkungsweise der ausgeführten Teilbewegungen immer besser kennen, bis sie vollkommen automatisch ablaufen. Bei diesem Übergang von bewusstem zu unbewusstem Handeln schleichen sich immer wieder kleine Ungenauigkeiten ein, die man erkennen und abstellen muss. So kann dieser Lernprozess als eine endlose Kette von Kalibrierungen und Rekalibrierungen verstanden werden, die zu einer zunehmenden Verfeinerung der Zielgenauigkeit führen.

 

Wer es anders versucht, wer also keinen festen Bewegungsablauf findet, wer versucht - aus dem Bauch heraus - mal auf diese, mal auf jene Weise zu treffen, der wird letztlich immer nur ein Stück Metall in die Richtung des Zieles werfen. Er wird an bestimmten Tagen damit Erfolg haben, an anderen wird er scheitern und niemals wissen, woran es liegt und was zu ändern wäre.

 

"Wenn die Reise lang wird, ist es weise, beizeiten den richtigen Kurs zu setzen!"

 

Thorsten

 


Nachtrag: Der Vergleich zwischen Pétanquespieler und Wurfmaschine ist auch aus folgendem Grund interessant: Kurz vor dem Schuss, wenn sie eingerichtet und gespannt ist, steht die Maschine da und "wartet" darauf, dass der Schütze den Bolzen zieht. Alles, was den Schuss beeinflussen wird, ist bereits getan. Diese saubere Trennung zwischen Vorbereitung und Aktion spielt auch beim Pétanque eine wichtige Rolle, weswegen wir uns im nächsten Artikel genauer damit beschäftigen müssen.

Dieser Artikel wird fortgesetzt in: Rituale

 

Ergänzung: Mit der erstaunlich komplexen Physik eines Tebuchets beschäftigt sich folgende Seite:

https://www.real-world-physics-problems.com/trebuchet-physics.html


[1] Nach einer anderen Auffassung soll die Kugel die Hand so verlassen, dass sie genau von Zeige- Mittel- und Ringfinger geführt wird, was der Handmitte entspricht. Siehe hierzu: Handhaltung