Was denken, beim Wurf?


"Die Freiheit existiert, und auch der Wille existiert; aber die Willensfreiheit existiert nicht, denn ein Wille, der sich auf seine Freiheit richtet, stößt ins Leere."

Thomas Mann - Mario und der Zauberer


Ob es sinnvoll oder gar möglich sei, das Nichts zu denken, mit dieser Frage beschäftigen sich Philosophen seit Anbeginn [1]. Schon schwierig genug ist es, nötigenfalls auch nur bestimmte Gedanken auszuklammern, geschweige denn nicht zu denken. Indizien deuten darauf hin, dass die Unterdrückung eines Gedankens im energetischen Sinne ebenso aufwändig ist, wie die Verfolgung desselben [2]. Der Geist ist an immerwährende Tätigkeit gewöhnt und analysiert auch da, wo es sinnlos oder gar schädlich ist. Der Weg zu Entscheidungen, die mit geringem Aufwand gefällt werden, wird so verbaut. Häufig ist aber das gründlich Durchdachte nicht gleichermaßen auch das Bessere. Routinen [3] können den Ausweg weisen, indem sie den Geist beschäftigen, ohne ihn vom eigentlichen Zweck des Handelns abzulenken.

Schattenkatze - substanzlos und doch nicht nichts.
Schattenkatze - substanzlos und doch nicht nichts.

 

 

Was denkt die Katze, wenn sie den plötzlich vorüberrollenden Ball wie selbstverständlich erhascht? Was denken wir, wenn wir beim Öffnen des Küchenschrankes das herabfallende Glas blitzschnell auffangen? In beiden Fällen sicher wenig – zumindest aber nichts, das die Bewältigung der Aufgabe durch Planung unterstützen könnte. Es sind nicht Überlegungen im intellektuellen Sinne und – das ist wesentlich – auch keine in Worten ausformulierte Gedanken, denn die Katze besitzt keine Sprache und uns fehlt zum Bilden eines sinnvollen Satzes die Zeit.

Offensichtlich ist das sprachlich ausformulierte, verstandesgeleitete Denken nicht notwendig, wenn es gilt, einfache Handlungen zu vollziehen – es ist sogar hinderlich. Die genannten reflexhaften Bewegungen gleichen einem Reiz-Reaktions-MusterEin Reiz löst eine Handlungsabfolge aus, die vom Körper bereits beherrscht wird. Das Unterbewusstsein übernimmt hierbei die Koordination.

Als Spieler müssen wir uns bei der Frage, was beim Wurf zu denken sei, in oben angedeuteter Richtung orientieren, wenn Schüsse in Folge gelingen; wenn Punkt um Punkt gelegt werden soll. Die Kugel neben dem Schwein kann auch als Reiz gedacht werden, der die Schussbewegung zur Folge hat [4]. Nichts daran muss mit dem Intellekt durchdacht werden. Versetzt in einen solchen Zustand, in dem der Zweifel nicht vorkommt, sind wir in der Lage, mit märchenhafter Sicherheit zu schießen – wir alle haben das schon erlebt. Haben wir jemals gezweifelt, das herabfallende Glas noch fangen zu können? Kam uns nicht erst im Nachhinein der Gedanke, dass es beinahe schief gegangen wäre? Warum also im Spiel zweifeln, warum nicht einfach dem Selbst vertrauen und handeln?

 

Sollen wir unser Werfen dann also besser nicht reflektieren? Auf dem Weg zum unbewussten Werfen müssen Fehler in der Wurfbewegung selbstverständlich immer wieder erkannt und korrigiert werden. Das ist eine Aufgabe, die dem bewussten Denken obliegt. Solche Kalibrierungsbemühungen sind ebenso notwendig, wie sie sich zu Lasten der aktuellen Trefferquote auswirken. Langfristig machen sie sich jedoch in der Verbesserung der automatisierten Wurfbewegung bezahlt.

 

Das bewusste Üben ist mithin die Grundlage und eigentliche Voraussetzung für das gewollt unbewusste Werfen.

 

Solange wir aktiv über unseren Wurf nachdenken und beispielsweise kurz vor der Aktion versuchen, erkannte Fehler zu vermeiden, sollten wir das nicht in Sprache tun, sondern Bilder verwenden. Warum? Einiges deutet darauf hin, dass sich Wurfvermögen und Sprachfähigkeit beim Frühmenschen parallel entwickelt haben. Beim Werfen und beim Sprechen verwendet der Mensch ähnliche Hirnareale. Wenn wir also Sprache verwenden, ob passiv hörend, oder aktiv in Worten denkend, rauben wir unserem Wurf Ressourcen. Wir beschränken die Rechenkapazität, die unserem Gehirn hierfür zur Verfügung steht [5].

 

Die Frage, was beim Wurf gedacht werden soll, lässt sich also in zwei Schritten beantworten: Sofern die Wurfbewegung wenig Anlass zur Kritik bietet, soll möglichst wenig gedacht werden – das Unterbewusstsein muss das Kommando ausüben. Es reicht, sich den Flug der Kugel zum Ziel vorzustellen und, wenn man es sehr genau machen will, den exakten Punkt ihres Einschlages. Das gelingt am besten, indem man sich eine Routine erarbeitet, die dann wie von selbst abläuft [6]. Ist die Wurfbewegung hingegen mangelhaft, bedarf sie der Korrektur. Wir stellen uns dann vor, wie wir den Arm besonders gerade nach vorn führen, wie wir im letzten Moment das Handgelenk locker zurückschnappen lassen oder dergleichen mehr. Bei solchen Visualisierungen gibt es eine klare Hierarchie: Das Denken, das sich auf den eigenen Körper und dessen Tätigkeiten ausrichtet, führt überwiegend zu unpräziseren Würfen. Die Vorstellung der fliegenden Kugel, bzw. ihrer Flugbahn ist die deutlich überlegene Art der Vorstellung

 

Ob im Geringen, also bei einfachen Handgriffen und Tätigkeiten, oder bei komplexen Problemen, stets erweist sich die Trennung von Denken und Handeln als Erfolgreich und vor allem als kräfteschonend.

"Bevor wir uns entscheiden, sollten wir eine Weile in Ruhe die Fakten wägen und gewichten (der analytische Part), dann aber tunlichst den Kopf freimachen. Währenddessen formt sich jene Einsicht, die sich dann als Bauchgefühl äußert."[7]

 

Thorsten


Ergänzung I: Unser Denken sollte zudem immer und ausschließlich auf das ausgerichtet sein, was wir erreichen wollen. Das zu Vermeidende muss zwingend aus unserem Denken ausgeklammert werden, wenn wir in Bildern denken. Häufig geschieht es, dass wir bei einem Schuss unsere Kugel angreifen, die dicht neben dem eigentlichen Ziel liegt; oder wir spielen beim Legen genau die Gegnerkugeln an, die wir unbedingt hatten umspielen wollen. Der Grund dafür ist, dass wir beim Denken in Bildern dann eben noch das Bild der Objekte präsent haben, die wir eben nicht anspielen wollen. Beim bildhaften Denken gibt es jedoch keine Verneinung. Ein Bild, wie wir eine bestimmte Kugel nicht treffen, können wir nicht erzeugen. Daher müssen wir diese Objekte ganz aus unserem Denken ausklammern. Beim Schuss denken wir also: "Die mache ich weg!" und sehen vor unserem inneren Auge ausschließlich, wie unsere Kugel auf das Ziel zufliegt und korrekt auftrifft. Beim Legen sehen wir vorab ausschließlich das von uns gewählte Donnée und den Weg, den unsere Kugel gleich nehmen soll.  


Ergänzung II: Leistungseinbruch unter Druck

In einem Artikel der Braunschweiger Zeitung beschäftigte sich der bekannte Hirnforscher Martin Korte mit dem Phänomen des plötzlichen Leistungsabfalls, der Sportler in Drucksituationen ereilt [1]. Ursächlich sollen im wesentlichen folgende Faktoren sein:

 

1: Unter Druck beginnen Sportler vermehrt zu denken, was mit einer Aktivierung des Sprachzentrums einhergeht und sich in vermehrten Selbstgesprächen äußert.

 

2: Unter Druck entsteht Angst zu versagen, die zu einer bewussten Kontrolle zuvor automatisch abgehandelter Bewegungsmuster führt, worunter die effiziente Ausführung der Bewegungen leidet.

 

Im Gehirn entspricht beides einem weniger harmonischen Zusammenspiel zwischen linker und rechter Hirnhälfte. Der Wissenschaftler rät, in entsprechenden Situationen, die Linke Hand für mindestens 15 Sekunden zur Faust zu ballen, was die rechte Gehirnhemisphäre reaktivieren und eine Art „Neustart“ bewirken soll. Der sportpsychologische Trick wird als gut erforscht beschrieben.

 

Der folgende Artikel beschäftigt sich ausführlich mit dieser Thematik:

https://www.dasgehirn.info/entdecken/fussball/nicht-denken-machen


[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Nichts
[2] http://www.wissenschaft.de/home/-/journal_content/56/12054/990155/
[3] http://www.zeit.de/wissen/gesundheit/2016-09/lockerlassen-steve-ayan-weniger-denken
[4] Freilich ist der Mensch nicht so einfach gestrickt, dass ihm dieses gänzlich gelingen könnte. Er kann sich dem aber zumindest tendenziell nähern.

[5] http://williamcalvin.com/1980s/1983JTheoretBiol.htm

In diesem Zusammenhang ebenfalls interessant: https://scholar.harvard.edu/ntroach/evolution-throwing

Fast jeder Spieler kennt das unangenehme Gefühl, welches ihn überkommt, wenn er im Kreis einen wichtigen Wurf auszuführen hat, in dessen Hörweite sich zwei Personen angeregt unterhalten. In solchen Situationen ist es mit Händen zu greifen, wie das unwillentliche Zuhören den Wurf seiner Präzision beraubt.

[6] Dieser Gedanke liegt dem Artikel "Rituale" zugrunde. Ebenso ist er das Erfolgsprinzip, das hinter  dem Artikel "Der Wurf als Sequenz" steht.

[7] ww.zeit.de/wissen/gesundheit/2016-09/lockerlassen-steve-ayan-weniger-denken/seite-4



Bild: Gesehen in Braunschweig