Nützlicher Pessimismus


 

Aufforderungen zu positivem Denken umgeben uns allenthalben. In der Bouleliteratur und diversen Ratgebern sind sie Legion. Beispielsweise zeigt der Bouletrainer Sönke Backens in seinem Video: "Mentaltraining - Konzentration auf das Positive" anschaulich auf, wie sich Pétanquespieler unsinnigerweise über kleinste Fehler ärgern und dabei ihre Erfolge vollkommen ignorieren. Der Einwand, Spiele könnten so leicht einen negativen Verlauf nehmen, ist natürlich vollkommen berechtigt. Leider ist aber der Mensch ein kompliziertes Wesen. Es gibt Personen, die mit einer negativen Erwartungshaltung bestens auskommen, die ihren Pessimismus strategisch einsetzen und deren Leistungsvermögen durch herkömmliche Motivationstechniken negativ beeinflusst wird. Es liegt auf der Hand, dass hierdurch die Interaktion in Pétanqueteams nicht leichter wird. Ein Grund, sich mit dem Phänomen, das als "Defensiver Pessimismus" bekannt ist, zu befassen.

 

Was hier beschrieben werden soll, ist im Sport durchaus üblich. Vor wichtigen Spielen und Meisterschaften sind Trainer und Spieler bemüht, "den Ball flach zu halten". Die Favoritrenrolle wird strikt abgelehnt. Damit soll natürlich der Druck vom eigenen Team genommen werden. Ebenso verfahren die sogenannten "Defensiven Pessimisten". Stehen sie vor Herausforderungen, dann schrauben sie ihre Leistungserwartungen systematisch herunter, bis diese unterhalb des objektiv Möglichen liegen. Dieses geschieht allein zur Verminderung von Angst und Druck und lässt diese Personen dann tatsächlich ihre verminderten Erwartungen meist übertreffen. Untersuchungen haben gezeigt, dass es geradezu schädlich ist, einen "Defensiven Pessimisten" positiv zu motivieren. Zeigt man ihm sein wahres Leistungsvermögen auf, oder formuliert offensive Zielsetzungen, dann wird genau jener Druck erzeugt, der abgebaut werden sollte. Die Leistungen verschlechtern sich.

 

Das gilt es zu beachten, wenn im Pétanque Teams aus Menschen mit unterschiedlicher Disposition gebildet werden, wenn also Optimisten und Pessimisten an einem Strang ziehen sollen. Optimisten sollten daher nicht versuchen, Pessimisten umzuprogrammieren, sofern sie erkennen, dass diese ihren Pessimismus nur strategisch einsetzen. Sie vergeuden dadurch ihre Ressourcen und erreichen das genaue Gegenteil des Gewollten. Ebenso sollten sich Optimisten durch die Tiefstapelei nicht aus der Ruhe bringen lassen, sondern sie als das nehmen, was sie ist: Ein Ritual zur Leistungsverbesserung.

 

Gegen die Grundannahme, dass Zuversicht zu Erfolgen führt, ist nichts einzuwenden [1]. Sie ist hinreichend belegt. Jeder Boulespieler wird wissen, dass ein Wurf dann gelingt, wenn man von seinem Handeln vollständig überzeugt ist. Je größer jedoch die Zusammenhänge werden - vom Wurf, über die Aufnahme, zum Spiel , über das Turnier bis hin zum Tabellenplatz nach Jahresfrist - desto mehr Faktoren werden relevant, die objektiv nicht beeinflusst werden können. Eine zu offensive Zielsetzung ist dann nur etwas für Spieler, die jedem Druck standhalten und die auch durch Misserfolge nicht aus der Ruhe zu bringen sind. Die anderen erleichtern sich die Aufgabe durch defensive Zielsetzung, lassen sich dann aber gern positiv überraschen.

 

 

 

"Pessimisten sind die wahren Lebenskünstler, sie erleben dauernd angenehme Überraschungen."

 

Marcel Proust

 

Thorsten


[1] Es liegt dennoch auf der Hand, dass Optimismus und Realität zwangsläufig kollidieren müssen. Mögen bei einem Turnier auch die Hälfte der Teilnehmer Optimisten sein, so wird sich im Finale nur für ein Team die positive Selbsteinschätzung auch bewahrheiten. Viele der dann bereits Ausgeschiedenen hatten ihre Fähigkeiten schlichtweg überschätzt. Dennoch werden sie, aller Voraussicht nach, auch beim nächsten Mal positiv eingestellt antreten, denn Optimismus ist zu großen Teilen angeboren. So triumphiert die Hoffnung über die Erfahrung. Der Wert des Optimismus liegt nicht darin, die Realität exakt zu beschreiben. Vielmehr stattet er Individuen mit dem nötigen Rüstzeug aus, Erfolg haben zu können. Im manischen Glauben an eine höhere Macht, die man selber ist, spielen sich einzelne Kugeln einfach mit mehr Erfolg. Dieser stellt sich freilich auch auf Dauer nur ein, wenn dabei nicht zu sehr über das Ziel hinausgeschossen wird; wenn nicht die rosarote Brille blind macht, für wesentliche Gefahren, die am Wegesrand lauern. Es geht darum, „...das Positive zu akzentuieren, ohne die Wirklichkeit aus den Augen zu verlieren (D. Kahneman).“


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Bild: Klosterkirche bei Riddagshausen