Enger zielen, besser treffen


"Wenn das Schicksal uns überraschend einen hohen Posten verleiht, ohne uns schrittweise hinaufgeführt zu haben oder ohne dass unsere Hoffnungen uns schon emporgehoben haben, so ist es fast unmöglich, sich auf demselben zu behaupten und seiner würdig zu erscheinen"

                                                     François VI. de La Rochefoucauld

 

Jeder Pétanquespieler startet üblicherweise als Leger. Sind die Grundlagen dieses Amtes erfasst, kommt irgendwann die Herausforderung, auch Schüsse zu meistern. Da diese den Nachteil haben, entweder Treffer oder vollkommen wertlos zu sein, werden sie möglichst gemieden, solange keine gute Trefferquote zu erwarten ist. Die Quote kann aber nur verbessert werden, indem das Schießen praktiziert wird - ein Teufelskreis.

 

Auch Anfänger können erfolgreich schießen und dabei wichtige Dinge einüben, die Ihre Präzision sukzessive verbessern. Dabei sollten sie systematisch vorgehen und die eigenen Fähigkeiten richtig einschätzen. Ziele müssen - dem jeweiligen Entwicklungsstand entsprechend - immer wieder angepasst werden. Die folgende Vorgehensweise lehnt sich an das Prinzip der Evolution an, wonach eine vorhandene Fähigkeit im Einsatz stetig verbessert wird, um schließlich gar in eine höhere Fähigkeit umgeformt werden zu können.

 

Bild 1: Der absolute Anfang

Boule - Pétanque / Schusstraining / Tireurtraining im Spiel 1

Kein Anfänger ist normalerweise in der Lage, ein Donnée exakt zu treffen. Die Kugeln streuen zunächst in einem Bereich, der etwa die Größe eines Tellers aufweist (Bild 1). In der ersten Phase kommt es somit darauf an, die Präzision zu verbessern, indem die seitliche Streuung reduziert wird. Durch seitliches Streuen werden Schüsse wertlos oder gefährlich für die eigenen Punkte. Die Konzentration muss der fundamentalen Verbesserung der Standardbewegung gelten (siehe: Der richtige Schwung). Ist man hier erfolgreich, kann eine Zone angespielt werden, von der eine Kugel direkt zum Ziel rollt und es trifft.

 

Bild 2: Der gerade Wurf und die richtige Bewegung

Boule - Pétanque / Schusstraining / Tireurtraining im Spiel 2

Diese Fähigkeit des geraden Werfens ist eine Kernkompetenz im Pétanque. Sie zu verbessern kann nicht früh genug begonnen werden. Einmal entwickelt und stets verfeinert, erlaubt sie dem Spieler, einen Bereich anzuspielen, der so aussieht wie in Bild 2. Dieser liegt ungefähr in der Mitte zwischen Wurfkreis und Ziel. So können auf leichten Böden schon recht passable Erfolge erzielt werden.

 

Streuen die Kugeln realistischerweise stets in dem orange markierten Bereich, so ist es dennoch sehr wichtig, gleich damit zu beginnen, einen speziellen Punkt - ein Donnée - anzuvisieren und nicht einfach nur in eine bestimmte Richtung zu werfen. Die Fähigkeit, einen bestimmten Punkt zu treffen, ist eine weitere Kernkompetenz. Nach diesem Prinzip sollte in allen künftigen Schritten verfahren werden. Um sich kontinuierlich zu verbessern, sollte immer etwas enger gezielt werden, als es die tatsächliche Fähigkeit erlaubt!

 

Während des gesamten Prozesses soll ein Bewegungsablauf immer weiter verfeinert werden, ohne ihn grundlegend zu verändern. Daher wird ein bestimmter Punkt immer mit einer bogenförmigen Flugbahn angespielt, gleichgültig, ob der Zielbereich weit vor der zu treffenden Kugel liegt, oder mit ihr identisch ist. Genau so geschieht es auch später, bei den professionelleren Schüssen. Den Bewegungsablauf schaut man sich am besten bei Spielern ab, die ihn gut beherrschen. Das Internet bietet reichlich Anschauungsmaterial. Die Fähigkeit ausgeprägte Bögen zu werfen, ist eine weitere Kernkompetenz.

 

Bild 3: Annäherung an das Ziel

Boule - Pétanque / Schusstraining / Tireurtraining im Spiel 3

Fortschritte werden dann sichtbar, wenn regelmäßig ein Bereich getroffen wird, dessen Größe nach vorn oder hinten ungefähr das Doppelte eines Kugeldurchmessers ausmacht. Nun ist es an der Zeit, die Zielzone so nah wie möglich an das eigentliche Ziel zu verlegen. Da die Kugeln nach dem Bodenkontakt wieder aufsteigen, darf das jedoch auch nicht zu nah sein. Es hängt sehr von der Art und der Trockenheit des Bodens ab, wo der richtige Bereich liegt. In dieser Phase kann die Wirkung der Schüsse durch Experimentieren mit dem  Wurfwinkel enorm gesteigert werden.

 

Bild 4: Das Ziel direkt treffen

Boule - Pétanque / Schusstraining / Tireurtraining im Spiel 4

Erst wenn die Einschläge so präzise geworden sind, dass sie nur noch um einen Kugeldurchmesser streuen, kann das Ziel direkt auf der Zielkugel gesucht werden, woraus schöne Eisentreffer resultieren.Trifft die Kugel kurz davor auf, wird sie ihr Ziel beim Aufsteigen dennoch nicht verfehlen.

 

Bild 5: Den Abprall steuern

Boule - Pétanque / Schusstraining / Tireurtraining im Spiel 5

Es ist nun außerordentlich wichtig, an diesem Punkt nicht stehen zu bleiben. Die Kugel ist natürlich ein markantes Ziel und verführt dazu, es damit bewenden zu lassen. Dennoch sollte nun damit begonnen werden, auf jeweils eine Kugelhälfte oder die genaue Mitte zu zielen, um das Kontern zu vermeiden und den Abprall bewusst zu steuern. Das absichtliche Zielen auf eine Kugelhälfte erhöht natürlich die Wahrscheinlichkeit, dass der Schuss sein Ziel seitlich verfehlt. Dieser Effekt kann jedoch andererseits nutzbringend eingesetzt werden, und großen Schaden zu vermeiden helfen (siehe: Konzept der billigenden Inkaufnahme).

 

Bild 6: Der Gipfel der Präzision

Boule - Pétanque / Schusstraining / Tireurtraining im Spiel 6

Schließlich muss der Schütze dazu übergehen, sich einen bestimmten Zielpunkt auf der Kugel zu suchen. Das sollte auch dann erfolgen, wenn es einfach nur darum geht, das Ziel zu beseitigen.

Indem ein bestimmter Punkt anstelle der ganzen Kugel anvisiert wird, schärft sich die Konzentration. Mit diesem psychologischen Kniff geht es nur noch darum, wo man die Kugel trifft und nicht mehr, ob man sie möglicherweise verfehlt. Dieser Trick wird von allen versierten Schützen genutzt, gleichgültig ob sie nun Gewehre, Bögen, Darts oder Pétanquekugeln verwenden.  Schützen machen die Erfahrung, dass irgendwann die schwierigen Schüsse besser gelingen als die leichten. Das liegt am Konzentrationsabfall, der mit der Routine einhergeht. Durch "engeres Zielen" vermeidet man dieses Phänomen.

 

Indem ein Zielpunkt auf der Kugel gesucht wird, schärfen sich zudem die Sinne für daraus resultierende Effekte. Meisterliche Schützen können tatsächlich eine Vielzahl einzelner Zonen auf einer Kugel bewusst treffen, was ihnen zusätzliche taktische Möglichkeiten verschafft.

 

Wer sich die Tireurfähigkeit in einem evolutionären Prozess aneignen möchte, sollte darauf achten, die zentralen Dinge von Anfang an richtig zu machen: Gerade werfen, den richtigen Bewegungsablauf einhalten, saubere Bögen spielen, ein Donnée suchen und so eng wie möglich zielen! So kann man auf Erfolgen aufbauen und sich kontinuierlich steigern. Der Schütze geht einen Weg, bei dem er anfangs ein Donnée auf dem Boden sucht, irgendwann zu Eisenschüssen übergeht und schließlich winzige "Données auf der Zielkugel" anvisiert. So erlangt er höchste Präzision.

 

 

Thorsten


Nachwort: Natürlich kann ein Spieler, anstatt seinen Wurf einer Evolution zu unterziehen, eine Revolution durchführen und beschließen, ab sofort nur noch auf Eisen zu schießen. Durch fleißiges Üben erreicht er dann irgendwann sein Ziel. Im Spiel müssen allerdings lange Durststrecken in Kauf genommen werden, die dazu führen, dass letztlich zu wenig geschossen wird. Besonders Spieler, die weniger dazu neigen, stundenlang allein zu üben, dürften mit der evolutionären Methode besser fahren.


Eine gute Übung: Um sich darin zu üben, in der oben beschriebenen Weise bei Eisenschüssen enger zu zielen, als es eigentlich notwendig ist, kann man eine ausrangierte Kugel mit einigen Markierungen versehen. Man begibt sich dann allein auf den Bouleplatz und beginnt, auf die präparierte Kugel zu schießen, indem man jeweils eine der Markierungen anvisiert. Dabei überlegt man sich, welchen Weg die Zielkugel nehmen wird, wenn der Treffer tatsächlich an der gewünschten Stelle erfolgt. Auf diese Weise gewöhnt man sich daran, die Wirkung eines Schusses auf weitere Kugeln in seine Überlegungen mit einzubeziehen. Sobald ein Treffer erfolgt ist, nimmt die Zielkugel eine andere Lage ein. Eine der kleinen Markierungen sollte aber immer zu sehen sein. Sie dient dann als neues Ziel. Die meisten Treffer werden freilich irgendwo auf der Kugeloberfläche erfolgen und nicht genau die Markierung finden. Immerhin aber sind es Treffer. Viele Schützen werden jedoch die Erfahrung machen, dass sie die kleinen Ziele an guten Tagen eben doch in einer Häufigkeit treffen, die sie selbst überraschen dürfte.


Eine weitere Trainingsmethode, gemäß dem in diesem Artikel dargelegten Effekt, besteht darin, einmal eine Zeit lang auf einen Golfball zu schießen oder auf ein Cochonnet. Hierdurch gewöhnt man sich an kleinere Ziele und hat den schönen Nebeneffekt, dass im eigentlichen Spiel die Aufgabe weniger groß erscheint.