Konzept: "Fleet in being"

- Die Wirkung hervorragender Spieler - 


"Es gibt keine Sicherheit,

nur verschiedene Grade der Unsicherheit."

                                                     Tschechow

 

Im Jahre 1890 veröffentlichte Konteradmiral Alfred Thayer Mahan sein grundlegendes und wirkmächtiges Werk:“The Influence of Sea Power upon History“, das sich mit dem Einfluss von Seemacht auf den Verlauf der Geschichte beschäftigt. Die Kontrolle der Seewege wird darin für essenziell gehalten. Die darin entwickelten Ideen hatten einen erheblichen Einfluss auf den Aufbau der deutschen Kriegsmarine im Kaiserreich.

Sicher und bereit im Hafen: "Der Schiffe mastenreicher Wald"
Sicher und bereit im Hafen: "Der Schiffe mastenreicher Wald"

Es war in der Geschichte jedoch nicht immer notwendig, die Kontrolle der Seewege durch direkte Konfrontation mit dem Gegner zu erlangen. Das Konzept, das diesem Phänomen zugrunde liegt, ist als „Fleet-in-being“ (Präsenzflotte) bekannt.

 

Nach diesem Konzept übt eine Flotte einen Einfluss auf eine gegnerische Flotte auch dann aus, wenn sie sich nur im sicheren Hafen befindet. Sie zwingt den Gegner, Kräfte für den Fall ihres Auslaufens bereitzuhalten und erzeugt somit ein Element der Unsicherheit, das ihn in der Entfaltung seiner Kräfte beschränkt. Dabei geht sie selbst kein Risiko ein. Es kann also sinnvoller sein, die Flotte (Fleet) in ihrem Bestand (being = Sein) zu erhalten, als sie im Einsatz zu riskieren. 

 

Spielt man gegen eine Mannschaft, in der sich ein Spieler besonders versiert zeigt, sollten daher Aktionen gewählt werden, die diesen Gegner früh zum Handeln zwingen. Sofern es sich um den Schützen handelt, kann beispielsweise versucht werden, ihn durch zwingende Kugeln früh „leerzuspielen“. Hierdurch entsteht der Vorteil einer besseren Planbarkeit der restlichen Aufnahme, denn mit den gespielten Kugeln verringern sich die Möglichkeiten der gegnerischen Mannschaft überproportional. Die Flotte ist dann ausgelaufen.

 

Auch sollte die psychologische Wirkung nicht unterschätzt werden, die ein sehr guter Spieler auf seine Gegner allein aufgrund der Tatsache ausübt, dass er noch Kugeln in Händen hält. Wohl jeder Spieler kennt die Situation, bei einem besonders gefürchteten Gegner auf scheinbar unerklärliche Art und Weise unter seinen Möglichkeiten zu bleiben. Dessen ungespielte Kugeln üben einen negativen Einfluss dadurch aus, dass man ihre angenommene Wirkung ständig in Betracht zieht und somit nicht frei handeln kann. 

 

Sowohl im taktischen als auch im psychologischen Bereich sehen wir hier die Wirkung des Konzeptes: „Fleet-in-being“.

 

Genau aus diesem Grunde sollte es erwogen werden, sofern sich ein herausragender Spieler in der eigenen Mannschaft befindet, aus dem oben beschriebenen Effekt Kapital zu schlagen. Dessen Einsatz ist dann bis zum Ende der Aufnahme hinauszuzögern, sofern nicht eine wirklich zwingende Situation diesen erfordert [1].

 

Ein Spieler mit exzellentem Ruf kann sogar eine eigene Formschwäche abmildern, indem er sein Handeln so lange wie möglich hinauszögert. Wenn er die Karten nicht aufdeckt, zieht er Kapital aus seinen früheren Erfolgen. Der Gegner sieht zwar, dass die "Flotte" im Hafen liegt, bemerkt aber nicht, dass sie nicht unter "Dampf" steht. Das Konzept: „Fleet-in-being“ ist eine elegante Lösung, das eigene Ansehen im Spiel für sich zu nutzen.

 

      "Wenn sie dann etwa einen Mann, ehrwürdig durch Verdienst und Tugend, erblicken, schweigen sie und stehen mit horchenden Ohren."

Vergil

 

 

Thorsten


[1] Das ist der Grund, warum im Pétanque der beste Spieler einer Mannschaft die Position zwischen dem Leger und dem Schützen bekleiden sollte - die "Milieuposition". 


Nachtrag: Im ersten Weltkrieg gelang es der britischen Flotte ihren deutschen Gegner zu neutralisieren, indem sie sich eher passiv verhielt. Es genügte, als „Fleet-in-being“ in den strategisch-günstigen eigenen Häfen in Bereitschaft zu bleiben. Der Gegner, der den Kampf unter ungünstigen Bedingungen vermeiden musste, wurde so an der Entfaltung seiner Kräfte gehindert.


Bild von Mark Martins auf Pixabay