Reserven


"Eine richtige Sparsamkeit vergisst nie, dass nicht immer gespart werden kann;

wer immer sparen will, der ist verloren, auch moralisch."

                          Theodor Fontane


Verschwenderische Pracht - Künderin des Mangels
Verschwenderische Pracht - Künderin des Mangels

Das Sammeln und Zurückhalten von Mitteln und Ressourcen ist ein uralter Trick, um Notzeiten besser überstehen zu können. Hamster, Bienen, Eichhörnchen, die Natur greift immer wieder auf diese Strategie zurück. Ihre grundsätzliche Sinnhaftigkeit muss nicht begründet werden. Wenn jedoch einige von uns morgens in den Badezimmerspiegel schauen, könnte es ihnen dämmern, dass Reserven nicht nur positive Effekte mit sich bringen. Grund genug, Reserven einmal genauer zu betrachten und zu hinterfragen.

 

Aus dem militärischen Bereich kennen wir Reserven in Form des Zurückhaltens eines Teils der verfügbaren Kräfte, um überraschende Notlagen auszugleichen oder im entscheidenden Moment einen Schwerpunkt zu bilden. Beispielsweise verstand es Napoléon meisterlich, diese Reserven genau an der richtigen Stelle und zur rechten Zeit einzusetzen.

 

Der richtige Umgang mit Reserven macht auch einen Teil der Spielkunst beim Pétanque aus. Wir haben bereits in dem Artikel: "Konzept: „Fleet-in-being“ einige der Vorzüge dargestellt, die darin liegen, bestimmte Spieler zunächst nicht zum Einsatz kommen zu lassen. Diese Spieler bilden dann eine Reserve, die zu Vorsichtsmaßnahmen zwingt.

Wenn ein Schütze seine Kugeln so lange zurückhält, bis vom eigenen Team ein Punkt gelegt wurde, der zu verteidigen ist, stellen diese Kugeln eine Reserve dar. Sie können zur Not ebenfalls gelegt werden, wenn das Kugelbild für unzureichend erachtet wird. Andererseits kann durch einen Schuss der Leger davor "bewahrt" werden, seine Kugeln sofort auszuspielen. Diese bleiben als Reserve für einen späteren Zeitpunkt erhalten. Es ist erforderlich, den Begriff der Reserve besser zu durchdringen:

 

Persönliche Reserve - Die falsche Reservebildung

Es ist eine Eigentümlichkeit des Pétanque, dass immer nur ein Spieler agiert, während all anderen Pause haben. Mannschaftskollegen sind dann auf Wohl und Wehe dem handelnden Spieler ausgeliefert - eine Situation, die nicht jedem behagt. Wenn innerhalb einer Mannschaft ein unzulängliches Vertrauen herrscht, versuchen die Spieler instinktiv, ihre Kugeln zurückzuhalten, damit sie es sind, die die letzten Aktionen einer Runde ausführen. Sie wollen erst sehen "was liegt", bevor sie selbst in Aktion treten. Dieses Verhalten ist schädlich, weil es der Mannschaft Ressourcen entzieht, die zu Gunsten nur einer Person angehäuft werden. In Wahrheit werden aber alle Mannschaftsmitglieder gemeinsam verlieren, wenn der Mitteleinsatz nicht optimal verläuft.

 

Folgende Situation soll das verdeutlichen:

Wenn in Spielen grundsätzlich erst geschossen wird, wenn eine Kugel den direkten Weg zum Cochonnet blockiert, so ist das ein sinnvolles und bewährtes Vorgehen. Es kann aber auch dazu führen, dass eine Mannschaft unnötigerweise in die Defensive gerät. Auf schwierigen Böden gelingt es oft nicht, eine Kugel dort zu platzieren. Ob der Gegner es besser vermag, ist durchaus fraglich. Herauszufinden ist das nur mit einem erfolgreichen Schuss. Ein Schütze, der seine Kugel in Reserve hält, kann bald dazu gezwungen sein, diese aufzulösen - nämlich dann, wenn sein Leger "versagt". Mit einem Schuss kann er hingegen bewirken, dass die eigenen Karten erst einmal nicht aufgedeckt werden. Dazu muss der Schütze freilich seinen Mitspielern vertrauen. Er muss seine eigenen Reserven angreifen, um sie dem Team zu erhalten.

 

Teamreserve - Der Kugelvorteil

Beim Pétanque ist die Reserve, die der Mannschaft als Ganzes zur Verfügung steht, als Kugelvorteil bekannt. Mehr Kugeln auf der Hand zu haben als der Gegner, ist eine gute Versicherung. Unglücksfälle und schwierige Situationen können immer noch behoben werden, solange der Kugelvorteil auf der eigenen Seite ist. Zudem können Schwerpunkte gebildet werden, die den Gegner in Bedrängnis bringen. Wenn also sinnvollerweise Reserven angelegt werden sollen, dann müssen Entscheidungen darauf gerichtet sein, diesen Kugelvorteil zu erhalten. Wer - wie im obigen Beispiel - um sich eine persönliche Reserve zu erhalten, die Mannschaftsreserve verspielt, handelt kontraproduktiv.

 

Der Milieu - Die institutionalisierte Reserve

Es hat sich bewährt, dass im "Triplette" ein Spieler als Allrounder fungiert. Dieser Spieler wird als "Milieu" (frz.: Mitte) bezeichnet. Meist ist das der erfahrenste Spieler der Mannschaft, der ebenso gut schießen wie legen kann. Dieser Milieu stellt eine institutionalisierte Reserve dar. Tendenziell wird er die letzten Kugeln einer Aufnahme spielen. Daher ist es erforderlich, dass der Schütze relativ früh in Aktion tritt, nämlich spätestens sobald der Leger eine Kugel "gebracht" hat, die irgend verteidigt werden kann. Häufig ist der Fehler zu beobachten, dass Schützen zu lange warten. Dieses lange Warten, bei dem sie Ihre Kugeln in Reserve halten, bewirkt, dass der Milieu zum zweiten Leger "degradiert" wird. Das ist ein Beispiel für falsche Reservebildung. Der Schütze macht sich auf diese Weise selbst zum Milieu und zwingt sich so, zwischen Legen und Schießen zu wechseln. Damit bricht er selbst seinen Rhythmus.

Im Doublette sollten sich die Spieler vornehmen, ihre jeweils dritte Kugel eher in der Art des Milieus zu spielen und nicht in der Weise ihrer eigentlichen Funktion (Leger/Schütze). Das bedeutet, sie sollen mit ihrer jeweils letzten Kugel das Spiel flexibler angehen.

 

Kondition - Die strategische Reserve

Pétanqueturniere können lange dauern, sofern man nicht vorzeitig ausscheidet. Wer einen ganzen Tag lang Leistungen erbringen will, die eine hohe Konzentration erfordern, teilt sich seine Kräfte besser ein. Wenn nach vier Spielen die Ergebnisse etwa so lauten: 13:11, 13:12, 13:10, 13:11, dann blickt man nicht nur auf einen spannenden Tag zurück, sondern weiß auch, dass, indem ständig über die Maximaldistanz gegangen wurde, ein erheblicher Teil der Kräfte bereits verbraucht ist. Die schwierigen Gegner und die Spiele, die den Tag wirklich erfolgreich machen, kommen aber erst noch. Es ist also aus strategischen Gründen sinnvoll, sich eine Spielweise anzugewöhnen, die darauf abzielt, den Gegner möglichst schnell und effizient zu schlagen. Meist gelingt das, wenn auf "Coups" gespielt wird, also hohe Punktzahlen in einer Aufnahme angestrebt werden. Indem dabei etwas riskiert wird, wenn man so will, die Reserven angegriffen werden, bleiben die strategischen Reserven - Kondition und Konzentration - geschont.

 

In einer unsicheren Welt sind Reserven grundsätzlich notwendig. Sie geben Sicherheit, indem sie vor Überraschungen schützen. Ein Spiel gewinnt man jedoch selten mit Sicherheitsdenken, sondern meist nur, indem Risiken eingegangen werden. 

Dort, wo das Risiko ist, sind auch die Punkte! 

Das Anlegen von Reserven - um ihrer selbst willen - macht träge und unflexibel. Spiele gewinnt, wer sie zum rechten Moment auflöst. Reserven sind letztlich nur zu einem Zwecke da: Sie müssen zum Einsatz kommen.

 

"Der Erfolg bleibt in der Regel dem,

der die letzten Reserven in der Hand hat

und dann entschlossen einsetzt."

                                                                  Helmuth von Moltke d. Ä., 

                                                         Generalfeldmarschall und Chef des Generalstabes

 

Thorsten


Bild: Herbstlaub im Bodetal (Harz)