36 Strategeme (10 – 18)


10. Hinter dem Lächeln den Dolch verbergen

Hier geht es darum, den Feind in Sicherheit zu wiegen, damit seine Verteidigungsbereitschaft erlahmt. Dem "lächelnden Tiger" traut man den Angriff weniger zu, der genau darum erfolgreich ist.

Bei Turnieren verwickeln manche Teams ihre Gegner in Gespräche, um diese abzulenken. Sie sind unglaublich freundlich und geben sich dabei harmlos und unbedarft. Inwiefern das nur Taktik ist oder ehrlichem Herzen entspringt, findet man meist nicht heraus oder erst dann, wenn es zu spät ist. Man hüte sich also vor lächelnden Boulern mit "dem Dolch im Gewande". Wenn Gegner im Schafspelz daherkommen, wollen sie nur von der simplen Tatsache ablenken, dass sie Wölfe sind und die Punkte selbst zu fressen gedenken.

 

 

11. Opfere den Pflaumenbaum anstelle des Pfirsichbaums

In diesem Strategem wird etwas von minderem Wert geopfert, um etwas Wichtiges zu erreichen. Im übertragenen Sinne stellen auch eingegangene Konzessionen oder das "Springen über den eigenen Schatten" Opfer dar.

Im Pétanque muss manchmal auf das Punkten verzichtet werden, um den Gegner zu hemmen. Geht ein Team in die Defensive, legt es absichtlich Kugeln zu kurz und in den Weg. Diese können zwar zunächst den Punkt nicht erzielen, wirken aber hinderlich. Mit dem Opfern einer Kugel den üppigen Gewinn des Gegners vernichten, das ist weise. Der Verzicht auf das Legen von Punkten hat so schon viele Partien gerettet. Wenn ein Spieler, der eigentlich schießen möchte, das Amt des Legers übernimmt, weil das Teamwohl es gebietet, so bringt er durch diese mannschaftsdienliche Tat ein persönliches Opfer. Indem ein Spieler seine Kugeln nicht bis zum Schluss aufhebt, sondern diese vor dem Partner spielt, opfert er seine Sicherheit, die Dinge selbst in der Hand zu behalten. Schließt sich ein Spieler einer Teamtaktik an, obwohl er es besser weiß, opfert er seinen Stolz zugunsten der mannschaftlichen Geschlossenheit. Kontraproduktiv ist hingegen das "Phänomen des unwilligen Schützen". Das ist jemand, der das Tireuramt zwar formell bekleiden möchte, der dann aber zum Schießen nicht den Mut findet. So wird dann der Leger vorgeschickt - also geopfert - damit er durch sein Versagen eine Situation kreiert, in der nicht mehr geschossen werden kann. Eine eigenartige und keineswegs selten anzutreffende Verhaltensweise, die wohl der Abneigung entspringt, selbst für Misserfolge verantwortlich zu sein. Die hier aufscheinende Zweideutigkeit des Opferbegriffes, im Sinne des Opferbringens einerseits und des Geopfertwerdens andererseits, hat wichtige Auswirkungen auf das Spiel und wird in einem eigenen Artikel behandelt.

 

12. Mit leichter Hand das Schaf wegführen

Hier geht es darum, eine sich bietende Gelegenheit zu ergreifen, um mühelos zu erreichen, was sonst schwerfiele. Auch kleine Gelegenheiten sollten nicht leichtfertig übersehen werden.

Im Pétanque gibt es immer wieder Momente, in denen mit etwas Wagemut und Spielwitz viele Punkte erzielbar sind. Oft werden diese Gelegenheiten aus Unaufmerksamkeit, Risikoscheu oder mangelnder Fantasie nicht genutzt. Später wird dann den verpassten Chancen nachgetrauert oder über Pech und knappe Niederlagen räsoniert. Dieses Thema wird ausführlich in "Vom Umgang mit wechselndem Glück" und auch in "Angst, Risiko, Chance" behandelt.

 

13. Auf das Gras schlagen, um die Schlange aufzuscheuchen

Manchmal ist es erforderlich, den Gegner aus der Reserve zu locken. Er soll zu Aktionen verleitet werden, die Rückschlüsse zulassen. Man weiß dann, woran man ist und kann das weitere Handeln besser wägen. Das Herauslocken aus der sicheren Deckung kann ein Nebeneffekt sein, ist aber Thema eines anderen Strategems.

Beim Spiel gegen unbekannte Gegner ist es unumgänglich, sich über deren Fähigkeiten Klarheit zu verschaffen. Darum findet am Spielanfang meist eine Phase des Abtastens statt, in der das Risiko begrenzt wird. In dieser frühen Phase lassen sich Überraschungen leichter verdauen, als im Endspiel. Stärken und Schwächen sollten genau registriert werden, denn auch beim Boule weiß man lieber, wo die Schlange liegt, als überraschend auf sie zu treten.

 

14. Für die Rückkehr der Seele einen Leichnam ausleihen

Dieses Strategem behandelt eine Begebenheit, die dem letzten Ritt des "Cid" ähnelt. Diesen gefürchteten Ritter und Heerführer band man tot auf sein Pferd und ließ ihn in die Schlacht galoppieren. Sein Ruf sollte die Schlacht entscheiden, was auch gelang. Es wird mit diesem Strategem also Nutzen aus einer längst erledigten Sache gezogen. Man gießt "alten Wein in neue Schläuche".

Pétanquespieler erleben gelegentlich, wie Mitspieler in höchst berechnender Weise an Dinge erinnern, die längst der Vergessenheit anheimgefallen sind. Das Spiel, das trotz 12:0 Führung dennoch verloren wurde; das Turnier, bei dem man - einem Fluche gleich - noch nie etwas erreichen konnte. Solche und ähnliche Gruselgeschichten leben dann wieder auf. Die Aufgabe soll als schwieriger erscheinen, als sie es objektiv ist.

Gute Spieler können zudem von ihrem Ruf profitieren, ohne ihr aktuelles Können zeigen zu müssen, was im Kapitel: "Das Konzept: „Fleet-in-being“ genauer beschrieben wird.

 

15. Den Tiger aus den Bergen locken

In diesem Strategem geht es um den Vorteil, das Schlachtfeld selbst zu wählen. Ein mächtiger Feind wird auf ein Terrain gelockt, auf dem sich seine Fähigkeiten schlecht entfalten. Etwas abstrakter: Es soll jemand von seinen Hilfsquellen getrennt werden, um ihn leichter besiegen zu können.

Mit dem Wurf des Cochonnet besteht die Möglichkeit, den Gegner auf einen Grund zu führen, der ihm nicht behagt (siehe: Der Sauwurf). Das Taktieren mit dem Schweinchen ist im Pétanque ein wichtiges Mittel, das allerdings viele Spieler einfach nicht recht nutzen mögen. So jagen sie den Tiger in den Bergen - wo er stark ist - und wundern sich, dass sie gefressen werden.

Ein starker Spieler wird bekämpft, indem sein Partner ausgeschaltet wird. So wird der Profi seiner Hilfsquelle beraubt. Des unerfahrenen Spielers Schwächen aufzudecken, erleichtert deren große Zahl. Wirft man beispielsweise das Schweinchen auf schwierigen Grund, wo sich des Meisterspielers Leger schwertut, legt aber selbst zwingend, so können die Gegner einander kaum mehr helfen. Sie sind dann faktisch voneinander getrennt. Der Meister muss selbst nachlegen und wir können schießen. Mit nur drei Kugeln gegen sechs, werden viele Tiger zu Bettvorlegern.

In lockeren Spielen wird gern versucht, den Kontrahenten verbal aus der Reserve zu locken, indem man ihn bei der Ehre packt. Zu Schüssen animiert, soll er sein Blatt überreizen. Auch jegliche Art von Aufforderung zu "sauberem Schießen", weil sich das so gehöre, fällt in diese Kategorie. (siehe: "Flach oder auf Eisen?").

 

16. Fange den Fisch, indem du ihn vom Haken lässt

Das 16. Strategem rät zur Geduld. Der Gegner soll sich ruhig austoben. Wenn seine Kraft erlahmt, wird er gepackt. Einer Flut muss beispielsweise ein gewisser Raum geben werden, damit sie etwas von ihrer Gewalt einbüßt. Dann besteht Aussicht, sie dennoch zu bändigen. Wieder ist es die direkte Konfrontation, die es zu meiden gilt und der ökonomische Gebrauch der Kräfte, der gefordert wird.

Im Pétanque ist es nicht anders. Auftrumpfenden Gegnern kann manchmal nur Zähigkeit entgegengesetzt werden. Sich hinziehende Spiele, in deren Aufnahmen immer nur ein Punkt vergeben wird, lassen die Konzentration mancher Spieler schwinden. Ähnlich verhält es sich, wenn ein schnell errungener Vorsprung zu einer übertriebenen Siegeszuversicht führt. Dann lässt die Konzentration nach und plötzlich hat man den Fisch nicht mehr am Haken, sondern hängt selbst an der Angel. Vielen Spielern gelingt es nicht, ein gleichbleibendes Konzentrationsniveau zu bewahren. Das ist eine Hoffnung in aussichtslosen Lagen. Mit guten Nerven wird das andere Team erst einmal von der Leine gelassen und darf davonziehen. Gelassen wird darauf spekuliert, dass es kurz vor Schluss doch noch Nerven zeigt oder Sorglosigkeit sich seiner bemächtigt.

 

17. Einen Ziegel werfen und Jade erlangen 

Hier geht es um die Kunst des Köderns. Man trennt sich von etwas, das einen gewissen Wert besitzt, um, etwas Höherwertiges zu erlangen. Das kann geschehen, weil das Gegenüber die wahren Wertverhältnisse nicht kennt oder weil es diese anders einschätzt.

Mit Speck fängt man Mäuse. Diese haben ihr Ableben der eigenen Gier oder Sorglosigkeit zu verdanken, was auch den Unterschied zu Strategem 11 ausmacht. Dort gibt man etwas auf, um den Gegner zu hindern, hier trennt man sich von etwas, um ihn ins Verderben zu locken. Beim Pétanque ist der "Mäusespeck" eine Lücke, die so wirkt, als könne sie leicht mit Kugeln gefüllt werden (siehe: Der Bastard). Schluckt der Gegner den Köder und spielt nach der unausrottbaren Methode: "Da können wir auch noch legen!", ergibt sich ein Kugelvorteil, den es in schöne Punkte zu tauschen gilt.

Eine honorige Variante des "Ziegelwurfes" ist das leidenschaftliche Spielen. Intensive Spiele, konzentriert geführt, inspirieren und ködern Mitspieler. Gute Spiele sind die wahre Jade des Pétanque.

 

18. Den Anführer fangen und siegen

Das Strategem geht von der Überlegung aus, dass es letztlich die gegnerische Führung ist, die sich unserem Handeln entgegenstellt. Hinter allen zu bekämpfenden Kräften steht ein Kopf, der die Quelle des Widerstandes ist. Ihn zu neutralisieren bedeutet siegen.

Da das Stören des gegnerischen Entscheidungsprozesses nicht mit den Geboten der Fairness vereinbar ist (siehe: "Guerilleros auf dem Bouleplatz"), empfiehlt sich Folgendes: Pétanqueteams bestehen oft aus unterschiedlich starken Spielern. Da sind dann zwei Spieler, die einige Techniken beherrschen und einer, der alles kann. Eine Aufnahme kann nicht als gewonnen angesehen werden, solange dieser Meister seine Kugeln noch nicht gespielt hat. Faktisch ist er der Anführer des Teams, den auszuschalten eine wesentliche Vorbedingung des Sieges ist. Da solche Spieler meist keine angreifbaren Schwächen haben, geht es darum, sie ihre Karten möglichst bald aufdecken zu lassen. So verringert sich die Komplexität der Partie und die Flexibilität des Gegners sinkt deutlich. Zwingend gelegte Kugeln, die einen starken Spieler zum "leerzuspielen" zwingen, sind dazu geeignet.

 

Angriffe aus dem Nichts, Opfer bringen, aufbauschen und ködern, Gegnerstudium, Geduld, Gelegenheiten ergreifen, Kampfplatz und Angriffsziel klug wählen, all das sind auch im Pétanque Mittel zum Erfolg

 

 

Thorsten


Dieser Artikel setzt den Artikel: Die 36 Strategeme und das Pétanque (Teil 1) fort.

 

Er findet seine Fortsetzung in: Die 36 Strategeme und das Pétanque (Teil 3)


Bild von OpenClipart-Vectors auf Pixabay

Zum Bild: Die Chinesische Mauer steht für China wie kein anderes Bauwerk. In ihrer Funktion findet sie ihre Entsprechung im "Limes"  des Imperium Romanum. Die Konkurrenz zwischen den beiden Zielsetzungen, das einmal Errungene zu bewahren, oder weitere Eroberungen ins Werk zu setzen, prägt auch das Pétanque.