Trennen

- HArt oder Zart?


Manchmal muss man Dinge aufspalten, um sie dann besser bearbeiten zu können.
Manchmal muss man Dinge aufspalten, um sie dann besser bearbeiten zu können.

Es gibt im Pétanque eine Situation, die zum Schwierigsten zählt, was dieser Sport bereithält. Technischtaktisch und psychologischverlangt sie den Spielern einiges ab. Das Problem kann wie folgt skizziert werden:

 

Eine sehr gut gelegte Kugel wird vom Gegner erfolglos angegriffen. Bei der nun erfolgenden Verteidigung gelingt es diesem schließlich, eine Kugel so zu platzieren, dass diese nur entfernt werden kann, indem die eigene Kugel ebenfalls aus dem Spiel genommen wird. Um Gebrauch vom immensen Kugelvorteil machen zu können, muss also die eigene Position geschwächt werden (siehe Bild 1).  


Boule - Petanque / Tipps & Tricks: Trennen 1
Bild 1

Psychologisch ist diese Situation wie folgt zu bewerten: Eine einzige gut gespielte Gegnerkugel hindert ein Team daran, viele Punkte zu erzielen. Bleibt es dabei, so wird des Gegners eigentliches Versagen in einen Erfolg umgemünzt. Es entsteht ein Momentum, das den Unterlegenen begünstigt. Das sollte keinesfalls zugelassen werden.

 

 

Wie fast immer, so gilt auch hier: "SIMPLEX SIGILLUM VERI" - Das Einfache ist des Wahren Siegel. So irgend möglich, sollte daher das Problem mit einer Einzelaktion aus der Welt geschafft werden. Konkret bedeutet das: Der Raum um das Cochonnet in dem Punkte erzielt werden können, ist durch einen Schuss drastisch zu vergrößern - Trennung auf die harte Tour.

 

Hierzu zwei Beispiele:


Boule - Petanque / Tipps & Tricks: Trennen 2
Bild 2

In dieser Konstellation hat Rot noch 5 Kugeln zu spielen während Blau nicht mehr reagieren kann. Hier ist es sinnvoll, durch einen Schuss Raum zu schaffen und möglichst beide Kugeln zu entfernen. Das kann geschehen, wenn die blaue Kugel an der richtigen Stelle getroffen wird (siehe Newtonpendel). Nachschüsse sind ebenfalls möglich. Ist der Weg erst frei, kann gepunktet werden.


Boule - Petanque / Tipps & Tricks: Trennen 3
Bild 3

Gleiches empfiehlt sich in dieser Situation. Hier werden durch einen Schuss vermutlich beide Kugeln entfernt. Sollte das nicht der Fall sein, ist noch genügend "Munition" für Nachschüsse übrig. Der Schuss öffnet den Weg zum Cochonnet. Zusätzlich ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass sich das Schweinchen weiter von den blauen Kugeln entfernt (siehe: Newtonpendel). Ein rustikales Vorgehen hat große Erfolgsaussichten.


Wie gesehen gibt es Fälle, in denen das Entfernen der eigenen Kugel relativ bedenkenlos hingenommen werden kann. Interessant - und der eigentliche Anlass dieses Artikels - sind aber die anderen, bei denen es darauf ankommt, den bereits erzielten Punkt eben doch zu bewahren. Hier gilt ein anderer Grundsatz: "AMAT VICTORIA CURAM - Der Sieg liebt die Vorbereitung."

 

Das erforderliche Vorgehen lässt sich wie folgt skizzieren:

Ein vorbereitender Wurf muss eine Situation schaffen, in der es möglich ist, die störende Kugel allein zu beseitigen. Einander sich berührende Kugeln müssen getrennt werden. Hierzu wird per Hoch-Portée ein Donnée knapp vor dem anzuspielenden Ziel gewählt. Die Aufprallwirkung muss dabei so gut "temperiert" werden, dass beim Trennungsprozess die daran beteiligten eigenen Kugeln noch "im Bild" verbleiben, d.h. durch einen erfolgreichen Schuss wieder zu Punkten werden.

 

Betrachten wir zunächst zwei Situationen:


Boule - Petanque / Tipps & Tricks: Trennen 4
Bild 4

Spielstand 11:11. Rot möchte in dieser Aufnahme das Spiel gewinnen. Es fehlt nur noch ein zusätzlicher Punkt, denn "12" liegt bereits am Boden. Diesen zu Legen wird jedoch aufgrund der blauen Devantkugeln und der Enge des Bildes sehr schwer. Rot spielt nun ein Hoch-Portée vor die blaue Kugel B6. Diese wird mit geringer Energie angespielt, wodurch die rote Kugel R4 etwas nach hinten gestoßen wird. Zwar hat jetzt Blau B6 den Punkt, doch sind die Kugeln nun voneinander getrennt. Der Schütze kann mit einem präzisen Schuss das Spiel erfolgreich beenden.  


Boule - Petanque / Tipps & Tricks: Trennen 5
Bild 5

Hier würde man nur ungern einen Schuss riskieren, ist doch zu befürchten, dass das Cochonnet danach in einem Feld gegnerischer Kugeln liegt. Es wird daher zunächst Hoch-Portée auf die blauen Devantkugeln gespielt. Hierdurch sollten diese sich trennen und sich das Cochonnet leicht nach hinten bewegen. Mit den beiden verbleibenden Kugeln kann dann der entstandene Raum genutzt oder durch zwei Schüsse die eingangs gespielte Kugel noch in einen weiteren Punkt verwandelt werden.


Die "Operation Trennen" ist schwierig, weil mindestens zwei anspruchsvolle Würfe in Folge gelingen müssen. Die "zarte Trennung" gleicht oft einem "Eingriff am offenen Herzen". Gleichwohl ist sie manchmal die einzige Möglichkeit, noch zusätzlich zu punkten. Darauf zu verzichten, um den einen bereits sicheren Punkt zu erhalten, ist fahrlässig, denn die hier verschenkten Punkte könnten jene sein, die in der Endabrechnung fehlen. Der "harten Trennung" ist gleichwohl - wenn irgend möglich - der Vorzug zu geben, denn hier ist es nur ein Wurf, der gelingen muss. Zudem hängt der Erfolg auch nicht von Bodenverhältnissen ab, die beim "zarten Trennen" ein zusätzliches Element der Unsicherheit darstellen.  

 

 

"Trennen" - das ist ein prägnanter Begriff, gut geeignet für schnelle Absprachen. Fällt er, so weiß der Leger, dass seine Kugel nach der Karambolage möglichst zum Stillstand kommen sollte, damit sie - nach erfolgreichen Schüssen - das Punktekonto mehrt. "Trennen" - das signalisiert dem Schützen, dass sogleich hohe Präzision gefragt ist, die er sich zutrauen muss. "Trennen" ist immer ein Wagnis, die Möglichkeit des Misslingens sollte den Spielern von vornherein bewusst sein. Wenn es im Pétanque ein Situation gibt, über die im Vorhinein Konsens erzielt werden sollte, dann ist es diese. Ist das der Mühe wert? Im Erfolgsfalle regnet es Punkte und mehr noch: Die Mannschaft hat anschaulich bewiesen, dass sie als echtes Team agiert und in der Lage ist, auch schwierigste Operationen durchzuführen. Wer es hinnimmt, die eigene Position zunächst zu verschlechtern und Kugeln zu spielen, die erst durch den Erfolg des Mitspielers wieder aufleben können, beweist jenes (Selbst-)Vertrauen, ohne das ab einem bestimmten Level nicht mehr erfolgreich gespielt werden kann.

 

Thorsten


Bild von Bernd Prokop auf Pixabay