Überambitioniertes Legen

- Wie man den eigenen Schützen kaltstellt -


"Der Handwerker, der´s allzu gut will machen,

verdirbt aus Ehrgeiz die Geschicklichkeit"

 

                                                   Shakespeare - The Life and Death of King John


Unbesiegbar durch Disziplin
Unbesiegbar durch Disziplin

In der Antike galten Römische Legionen lange Zeit als unbesiegbar. Doch worauf fußte diese Überlegenheit? Auf herausragender Körperkraft der Legionäre oder besonderem Furor einzelner Kämpfer? Wohl kaum! Die Erfolge basierten ganz überwiegend auf der fabelhaften Disziplin, die beim Manövrieren zum Tragen kam. Solange die Schlachtreihen geschlossen blieben, waren Gegner chancenlos. Effizientes Handeln in der Gemeinschaft war demnach der entscheidende Faktor - die Römer trieben es zur Perfektion, ihre Gegner vermochten nicht schrittzuhalten.

 

Erfolge werden auch beim Pétanque selten durch "kopfloses Vorstürmen" und Fixierung auf das Punkten errungen. Vielversprechender ist es, mit kühlem Kopf die Ordnung zu bewahren und als wirkliches Team zu spielen.

 

Hierzu ein Beispiel:

In Bild 1 hat ROT eine Kugel gelegt, die zwar davor liegt, aber nicht zwingend geschossen werden muss. BLAU beweist die Richtigkeit dieser Analyse und legt sogleich einen Punkt.

ROT könnte nun auf die blaue Kugel schießen, hält aber die eigene für schwer zu verteidigen und entschließt sich daher (im Bild 2) zum Legen einer weiteren Kugel. Hierbei wird nun ein typischer Fehler begangen: Im Bestreben, nun wirklich zu punkten, spielt der rote Leger viel zu ambitioniert, was dazu führt, dass seine Kugel durchläuft. ROT hat nun eine Kugel davor, die für nicht besonders stark gehalten wird und eine dahinter, die faktisch schwach ist. Natürlich ist ROT gezwungen, nun weiter zu legen und gerät immer mehr in Kugelnachteil.

Sofern für ROT ein Tireur spielt, der häufiger trifft, wird er sich an dieser Stelle fragen, warum er überhaupt auf dieser Position spielt. ROT hat durch taktische Fehler seinen eigenen Schützen kaltgestellt.

Selbst wenn es ROT (wie in Bild 3) gelungen wäre, den Punkt zu legen, könnte BLAU nun entweder schießen oder versuchen, die rote Kugel durch Legen zu verdrängen. Sobald dieses gelingt, hat BLAU einen oder zwei Punkte am Boden und ROT wird dadurch gezwungen sein, weiter zu legen.

Eine richtige Variante für ROT wäre es, der ersten schwächeren Kugel einer stärkere hinzuzufügen, die ebenfalls davor liegt, aber nicht den Punkt hat. Beide Kugeln bilden nun eine Barriere und stärken sich gegenseitig. Sie schirmen die Punktzone ab. Der rote Schütze kann nun schießen und auch noch weitere Kugeln angreifen, sofern diese durch die Barriere dringen. ROT hat somit das Zentrum besetzt, ohne das BLAU eingreifen konnte. ROT bleibt weiterhin die Option, die eigenen Kugeln näher heranzuspielen oder diese Arbeit vom Gegner verrichten zu lassen. Da das Spiel nicht zu eng geworden ist, bleibt auch die Möglichkeit erhalten, mehrere Punkte zu machen.

Indem der rote Leger auch beim zweiten Anlauf kaltblütig darauf verzichtete, den Punkt zu legen, bringt er seinen Schützen ins Spiel. Dieser lebt von der Wiederholung seiner Bewegungsabläufe und möchte nur ungern gezwungen sein, zwischendurch Kugeln zu legen. Da er nun schießen darf, kann er durch "Carreaux" oder "Retro" die Stellung seiner Mannschaft noch zusätzlich verbessern.

 

In einer antiken Schlachtreihe war es der Schild des Nebenmannes, der einen Teil der Deckung bot. Das setzte Vertrauen voraus. Solange dieses Vertrauen bestand, blieb die Ordnung erhalten und jeder war geschützt. Beim Pétanque ist es auch das Vertrauen in den Mitspieler, dass die Mannschaft stärkt. Oft muß zunächst ein Spieler einer bestimmte Situation schaffen, die es dann seinem Mitspieler ermöglicht, die Ernte einzufahren.

  

Thorsten


Nachtrag: Eine der unsinnigsten Varianten, den Schützen kaltzustellen, ist das beliebte:"Jetzt legen wir erst noch eine", wenn der Gegner "leergespielt" ist und man selbst die Hände noch "voll" hat. Liegt in einem solchen Falle noch eine Kugel des Gegners relativ gut, so sollte lieber gleich geschossen werden. Legt man nämlich einen weiteren Punkt, ist der Schütze praktisch gezwungen, ebenfalls zu legen, weil er nun die liegenden Punkte nicht mehr "hinauskontern" möchte. Ob es ihm aber gelingt, genauso gut zu legen, wie der Leger es vermochte, der sich ja schließlich eigens darauf spezialisiert hat, ist keineswegs sicher. Im schlechtesten Falle ist so der Rhythmus des Schützen unterbrochen, und dennoch wird nicht weiter gepunktet. Man darf diese Entscheidung nicht daran festmachen, ob der beste Leger der Mannschaft noch einen weiteren Punkt legen kann. Vielmehr muss man sich fragen, wieviel Platz der Schütze schaffen muss, damit eine maximale Punktezahl gelegt werden kann.


Bild von István Károly Bőcs auf Pixabay