Das Handgelenk


Der Morgenstern - wohin er trifft, da wird es Nacht.
Der Morgenstern - wohin er trifft, da wird es Nacht.

 

Dem "Dreschflegel", jenem landwirtschaftlichen Instrument vergangener Tage, sowie den daraus entwickelten Waffen - seien es "Streitflegel" oder "Morgenstern" - ebenso den Wurfmaschinen [1] selbiger Epoche - allen eignet ein Konstruktionsprinzip: An einem ihrer Enden befindet sich eine frei bewegliche Masse. Mittels Kette, Seil oder Lederriemen befestigt, erlaubt deren freies Schwingen, sowohl präzise als auch wirkungsvoll zu treffen. Das alles ähnelt sehr dem menschlichen Arm, wenn dessen Hand eine Kugel hält. Die Einfachheit der archaischen Instrumente lässt uns im Vergleich erkennen, wie das System Arm-Hand beim Pétanque am besten einzusetzen ist und welcher Bedeutung dabei dem Gelenk zukommt.

Dem Menschen ist es grundsätzlich möglich, sein Handgelenk relativ locker zu belassen, ebenso kann er es vollkommen versteifen oder es, mit Hilfe der Unterarmmuskulatur, aktiv bewegen. Letzteres lernt der Boulespieler relativ früh sich nutzbar zu machen, gerät dabei aber leicht auf ein falsches Gleis: Der Neuling, zunächst als Leger eingesetzt, bemerkt sehr bald, wie er durch aktive Drehung des Handgelenks seine Kugeln derart in Rotation zu versetzen vermag, dass sie mit bremsendem Drall versehen, besser zum Ziel gelangen [2].

 

Ein gerade schwingender Arm, hebelartig nur von einem Ende her in Bewegung gesetzt - eine flexibel aufgehängte Masse - die Parallelen zum Wurf beim Pétanque sind frappierend.
Ein gerade schwingender Arm, hebelartig nur von einem Ende her in Bewegung gesetzt - eine flexibel aufgehängte Masse - die Parallelen zum Wurf beim Pétanque sind frappierend.

Was beim Legen durchaus von Vorteil sein kann, erschwert jedoch die Aufgabe, wenn es ans Schießen geht. Wendet sich nämlich selbiger Neuling dem Metier des Kugelentfernens zu, versucht er also, in der "Zunft der Tireure" Fuß zu fassen, behält er natürlich die ihm vertraute Bewegung bei, wirft also mit Rückdrall. Dadurch fügt er der ohnehin schon recht schwer zu lösenden Gleichung eine weitere Variable hinzu, welche ihm den Blick auf die Parameter vernebelt, die einzig den Treffer bewirken. Diese sind letztlich nur der Armschwung und das rechtzeitige Loslassen durch die Hand [3].

 

Beim Wurf geht es darum, den relativ steifen und stets langgestreckten Arm mit minimaler Kraft durch eine schwingende Bewegung in gerader Linie Richtung Ziel zu bewegen, wodurch der Hand die einzige aber wesentliche Aufgabe bleibt, die Kugel loszulassen. Hierbei das rechte Maß zu finden und zu höchster Präzision zu gelangen, ist bereits eine Aufgabe, die den Menschen an seine Grenzen bringt [4]. Baut man nun mit einer aktiven Handgelenkbewegung eine weitere potenzielle Fehlerquelle ein, kann das dazu führen, dass sich ein Gefühl für den Schuss nie so recht einstellen mag. Typischerweise erleben es die hiervon Betroffenen, dass ihre Kugeln selten die rechte Länge treffen, dass deren Bahnen entweder zu lang, meist aber zu kurz bemessen sind.

 

Um dauerhaft und präzise zu treffen, bedarf es einer aktiven Bewegung des Handgelenks in keiner Weise. Saubere Eisenschüsse und selbst Carreautreffer sind auch so möglich. Es ist daher sinnvoll, solange man die grundsätzliche Wurfbewegung noch sucht, solange man das Wurfgefühl noch schult, das Handgelenk einfach frei schwingen zu lassen, wie es eben bei einem Dreschflegel geschieht, und damit eine optimale Weiterleitung der Kraft und einen störungsfreien Ablauf der Bewegung zu gewährleisten. Hat man später dann verinnerlicht, wie wenig es nur braucht, sicher zu treffen, kann dem Handgelenk eine aktivere Rolle zukommen, was meist bei speziellen Aufgaben erforderlich ist. So kommen beispielsweise die spektakulären "Retrotreffer" ausschließlich durch Schüsse zu Stande, die mit einigem Rückdrall erfolgen; auch Carreaux werden auf diese Weise gefördert.

 

Der Umgang mit dem Handgelenk ist ein weiteres Beispiel dafür, dass weniger oft mehr ist. Beim Pétanque begegnet einem in vielen Bereichen das Phänomen, dass Handlungen besser gelingen, widersteht man der Versuchung, Erfolge zu sehr bewirken zu wollen. Lässt man sie hingegen einfach geschehen, stellt sich das Gewünschte auf wunderbare Weise mit jener Leichtigkeit ein, die zu bewahren uns Spielern so schwer fällt.

 

 

Treib’ den Fluss nicht an,

lass’ ihn strömen.

Lao-Tse

 

 

Thorsten

 


[1] Die als "Blide" bekannte Wurfmaschine, die im Mittelalter dazu diente, Burgmauern zu zermürben oder Gegenstände in Festungen zu schleudern, wurde bereits im Artikel "Fehlschüsse lesen" thematisiert. Einzelelemente des Wurfes lassen sich an ihr modellhaft studieren. Ein Film zeigt sie in Aktion: "https://www.youtube.com/watch?v=pR26RMI9T8c". Der Wikipediaartikel liefert weitere Hintergründe: "https://de.wikipedia.org/wiki/Blide". In der Funktionsskizze "https://de.wikipedia.org/wiki/Blide#/media/File:Trebuchet_Scheme.png" wird deutlich, wie die flexible Befestigung des Geschosses, dieses optimal in Wurfrichtung beschleunigt.

 

[2] Die dem Drall zugehörigen Effekte – positive wie negative – sind im Pétanque essenziell. Sie werden in den Artikeln Drall 1 – 4 behandelt.

 

[3] Das Zusammenspiel von Arm und Hand wird u. a. in den Artikeln "Handhaltung", "Der richtige Schwung" und "Schweizer Taschenmesser" thematisiert.

 

[4] Siehe hierzu: "Der Wurf aus wissenschaftlicher Sicht" und "Vom Steinwurf zum Pétanque"


Bild, Morgenstern: von falco auf Pixabay

Bild, Trebuchet: von Julia Casado auf Pixabay