Drall 2


- Anwendung -


 

Im ersten Teil wurden die Grundlagen des Dralls behandelt und die damit verbundenen Effekte aufgezeigt. Sie sinnvoll einzusetzen, bedarf es einiger Gedanken darüber, wie eine Kugel dahin gelangen kann, wohin sie soll: Grob gesagt, kann beim Legen auf zwei Strategien gesetzt werden: Gasgeben oder Bremsen.

 

 

 

Gasgeben: Kugeln mit hoher Geschwindigkeit hält fast nichts auf – das ist einerseits erfreulich, andererseits aber auch ein Problem. Schnell rollende Kugeln bahnen sich ihren Weg, schieben Geröll beiseite, überwinden Hindernisse und lassen sich nur schwer von dem Weg abbringen, den sie einmal eingeschlagen haben. In vielen Fällen hat man daher Erfolg damit, Kugeln relativ nah am Kreis zu Boden zu bringen und sie dann ein gutes Stück rollen zu lassen. Bemisst man ihre Geschwindigkeit korrekt und ist der Boden nicht zu schwierig, wird auf diese Weise recht solide gelegt. Freilich rollen auch viele zu weit. Im Bestreben, genau dieses „Durchlegen“ zu verhindern, muss dann die Geschwindigkeit so sehr reduziert werden, dass der beschriebene Stabilisierungseffekt ausbleibt und kleinere Hindernisse sich eben doch fatal auswirken.

Bremsen: Dieses zu vermeiden, landet man die Kugel näher am Ziel, wobei sie freilich schnell abgebremst werden muss. Dies geschieht einerseits  und hauptsächlich  durch Abgabe der Bewegungsenergie an den Boden, andererseits – und in weitaus geringerem Maße  durch Rückdrall. Leider kann die Kugel bei beiden Bremsvorgängen „ganz schön ins Schleudern kommen“. Um viel Energie an den Boden abzugeben, muss eine sehr steile Flugbahn gewählt werden. Die Kugel fällt dann mehr von oben nach unten als dass sie sich nach vorn bewegt. Bei der Landung ist sie dadurch verwundbar und kann durch Unebenheiten oder Steine in verschiedene Richtungen abgelenkt werden[1].

Kugeln die nach Bodenkontakt im 90 Grad Winkel verspringen oder sogar zum Werfer zurückrollen, sind bei Hochportéewürfen immer wieder zu beobachten.

 

Auch das zweite Bremssystem – der Rückdrall – hat seine Tücken. Dreht sich die Kugel nicht exakt entgegengesetzt der Armbewegung, wird sie nach der Landung ihre Richtung verändern (siehe Effet). Gleiches geschieht bei seitlich angeschrägtem Untergrund. 

 

Es gibt also grundsätzlich zwei Arten, eine Kugel ans Ziel zu bringen: Entweder man spielt steil und bringt sie schnell zum Stehen (Hochportée), oder man spielt flach, und setzt auf die stabilisierende Wirkung der Vorwärtsbewegung. Zwischen diesen Extremen existiert eine Vielzahl an Zwischenlösungen: Mittle Donéedistanz bei mittlerem Drall, sehr flach mit hohem Drall, sehr steil ganz ohne Drall, kurze Donnéedistanz und rollen lassen etc. Für welche auch immer wir uns entscheiden, sollten wir stets berücksichtigen, dass sich Drall nicht per se stabilisierend bemerkbar macht; meist darf man sich allenfalls erhoffen, er werde sich nicht destabilisierend auswirken. Häufig bewirkt gerade Drall ein heftiges Verspringen[2]. Hat die Kugel also einen weiten Weg zurückzulegen, ist Vorsicht geboten, denn anfangs nur geringe Abweichungen pflegen zum Ende hin fatal anzuwachsen.

 

Das Spiel mit Drall erfordert Augenmaß und Präzision. Wer sein Donnée nicht in unmittelbarer Nähe des Zieles zu wählen vermag, sollte das Folgende beherzigen: Drall dient dazu, einen ansonsten präzise ausgeführten Wurf nicht über das Ziel hinausschießen zu lassen. Ist das nur um den Preis eines weniger präzisen Werfens zu haben, geht es häufig schief.

 

Wir neigen dazu, komplizierte Probleme auch auf komplexe Weise lösen zu wollen. Anstatt aber mit immer mehr Drall den Wurf ungenauer zu machen, oder seine Ergebnisse – bodenbedingt – nicht mehr vorhersehen zu können, ist es zuweilen geboten, einfach weniger Drall einzusetzen. 

Maximales Bremsen mit Drall ist zwar extrem schwierig, gelingt es aber, ist es DIE LÖSUNG. Minimales Bremsen kann aber ebenso erfolgreich sein. Kompromisse beider Ansätze zeugen häufig zusätzliche Probleme. So erweist sich ein Dichterwort als wahr: "In Gefahr und größter Not bringt der Mittelweg den Tod" [3].

 

Thorsten

 


Anmerkung: Wir haben uns hier ganz auf das Legen beschränkt. Bei Schüssen ist es jedoch ebenfalls von Interesse, ob mehr Drall eingesetzt werden soll, oder weniger. Drall fördert sicher das Eintreten von Carreau und Retro. Er ist jedoch eine zusätzliche Fehlerquelle, sodass es überlegenswert ist, ob der nicht gar so sichere Schütze nicht lieber darauf verzichten sollte. Zudem kostet Drall immer Energie, denn die Kugel muss ja an den Fingern abrollen. Schützen, die meinen, sie kämen nicht mit höheren Entfernungen zurecht, sollten möglicherweise einmal testen, ob ihnen die Kugel mit geringerem Drall nicht leichter und besser aus der Hand geht. Wer als Tireuer freilich die zusätzliche Komplikation des Dralls zu beherrschen gelernt hat, dem wird sie gute Dienste leisten.


[1] Ihr fehlt ja der sie stabilisierende Vorwwärtsschub.

[2] Das ist abhängig von den Bodenverhältnissen:

Fall 1 - Stark griffiger Boden (viel Grip): Unter bestimmten Bedingungen kann die Griffigkeit des Bodens sehr stark sein. Nach Regenfällen werden manche Böden lehmig-klebrig. Liegen solche Bedingungen vor, dann wird eine Kugel ihren Drall schnell verlieren und abrupt ihre Drehrichtung ändern. Im günstigsten Falle kommt sie dann schnell zum Stillstand. Liegen aber Unebenheiten des Bodens vor, nehmen Kugeln in diesem kritischen Moment Laufrichtungen an, die schwer vorhersehbar und nicht gewollt sind. Wir bemerken dann, dass sie auch ohne Steine "verspringen". Nach meiner Beobachtung ist insbesondere immer dann Vorsicht geboten, wenn Kugeln gut sichtbare Krater hinterlassen.

 

Fall 2 - Schwach griffiger Boden (wenig Grip): Weisen Böden eine schwache Griffigkeit auf, was meist bei sehr trockenem Wetter eintritt, verhalten sich Kugeln anders. Sie verlieren dann, nach Bodenberührung, ihren Drehimpuls nur allmählich. Die beiden einander entgegengesetzten Kräfte finden auf eine harmonischere Weise zum Ausgleich, die auch leichter zu berechnen ist.

 

[3] Das Zitat geht auf den Barockdichter Friedrich von Logau zurück.


 

Bemerkung: Dieser Artikel setzt die Kenntnis des Artikels Drall I - Grundlagen  voraus. Er findet seine Fortsetzung in Drall III - Ein Fazit


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