Derby


Wenn in Bananenrepubliken ganztägig die Hubschrauber kreisen und Sicherheitskräfte zuhauf die Straßen bevölkern, steht zweifellos ein Staatsstreich an – ein Schurke versucht seinem Vorgänger, der meist auf ähnlichem Wege ins Amt gelangt war, die Präsidentenschärpe zu entreißen. Ereignet sich solch martialischer Aufmarsch hingegen in Hannover oder Braunschweig, kann das nur einen Grund haben: Es ist Derbytag.

 

Zwar hat man bereits in Wilhelminischer Zeit das Wesen des Fußballsportes, dem wir ja die Derbys „verdanken“, erstaunlich luzide erkannt: Da mit den unedleren Körperteilen – also den Füßen – betrieben, wurde diesem griffig das Attribut „Fußlümmelei“ beigelegt. Man traute dem "Ballgetrete" zu, nur das Schlechteste im Menschen hervorzurufen – eine Befürchtung, die sich leider voll und ganz bewahrheiten sollte. An dieser Stelle scheint die Frage angebracht, mit welchem Körperteil denn die edelste aller Tätigkeiten – der Reitsport – zu assoziieren sei, nur um sogleich als Abschweifung wieder fallengelassen zu werden.

 

Seien wir also nicht ungerecht. Der Mensch ist der, der er nun mal ist, und das war er auch, bevor der Fußball erfunden wurde. Im Nachbarn sieht er den dräuenden Barbaren, der sich mit gezücktem Messer anheischig macht, ihm die Butter vom Brot zu nehmen – oder gar Schlimmeres. In der Historie war das immer wieder Anlass, ihm dieses per Kriegszug präventiv auszureden. Reste davon haben sich bis heute als Brauchtum erhalten und werden als bewaffnete Pilgerfahrt in des Gegners Stadion zelebriert.

 

Mit wachsender Entfernung zueinander, schwindet gottlob unter den Menschen die Aggression - erscheinen die Zeitgenossen in immer milderem Lichte. In den Antipoden sah man seit je, jene „edlen Wilden“, deren magische Exotik dazu einlud, diese Bewohner vermeintlich paradiesischer Gefilde einmal persönlich kennenzulernen, was heute unter Einsatz unglaublicher Mengen Kerosins auch geschieht.

Überwiegt mittlerweile auch das friedliche Reisen die Feldzüge, so hält sich das Fußballduell zwischen benachbarten Städten als Refugium atavistischen Treibens erstaunlich wacker. Wenn´s zum Nachbarn geht, wird die Keule geschwungen – Derby eben.

 

Dabei geht das Derby ursprünglich auf einen skurrilen Brauch in einem an Skurrilitäten nicht eben armen Königreich zurück, das sich beharrlich jeglicher Umklammerungsversuche widersetzt, die vom Europäischen Kontinent in seine Richtung hin unternommen werden – und die seit jenen Zeiten, da ein Sven Gabelbart[1] oder gar ein Julius Cäsar[2] ihre Hand nach Britannien ausstreckten, kaum von Erfolg gekrönt waren.

 

Ursprung der Derbys ist das „Shrovetide-Fußballspiel“[3] das in den „Derbyshire Dales“ zwischen benachbarten Orten ausgetragen, seit dem 12. Jahrhundert stattfindet. Einige Regeln sind des Zitierens wert: So darf der Ball keinesfalls auf Friedhöfen, Gräbern oder Gedenkstätten gepielt, niemals in Rucksäcken oder Taschen versteckt, noch mittels motorisierter Fahrzeuge bewegt werden. Man ist aufgerufen, sich jeglicher unnötiger [sic!] Gewalt zu enthalten. Ein Tor wird nur dann als gültig betrachtet, wenn der Spielball dreimal hintereinander eines der Tore – jeweils eine Steinpyramide mit eingelassenem Mühlstein - berührt. Wenn das Tor vor 17:00 Uhr fällt, wird ein neuer Ball ins Spiel gebracht.

 

Trotz des Reglements muss man sich die Veranstaltung als rugbyartigen Tumult vorstellen, der über 3 Meilen hinweg ausgetragen wird. Gewalt ist also seit Anbeginn unverzichtbarer Teil eines Derby, auch wenn diese zunächst mehr Teil des Spiels und weniger Sache der Zuschauer war. So mutet ein Unterfangen als geradezu aberwitzig an, die Brisanz eines Derbys ausgerechnet zu den Boulespielern zu tragen.

 

Zwar sind nach einem vielzitierten Ausspruch Balzacs[4], „Boulespieler die wohl friedfertigsten Menschen der Welt“ - eine Sentenz, die allerdings leider nur belegt, dass Irrümer mit der Häufigkeit ihrer Wiederholung nicht an Wahrheitsgehalt gewinnen. Wer einmal beim Kugelspiel das eruptive Aufwallen um des Kaisers Bart beobachten durfte, der weiß um das Wagnis; das zu tragen wir dennoch in den zurückliegenden Herbsttagen die Kühnheit besaßen.

 

So ist denn die Welt um ein weiteres Derby reicher. Das Oker-Leine-Derby[5] fand bisher unter erstaunlich friedlichen Vorzeichen statt, was auch so bleiben möge, solange sich alle Akteure der weisen Maxime erinnern, welcher die Mutter aller Derbys folgt: Nämlich zumindest der unnötigen Gewalt strikt zu entsagen.

 

Thorsten


[1] Sven Gabelbart war seit dem Jahre 986 n. Chr. König von Dänemark und führte mehrere Überfälle auf die benachbarten Britannischen Inseln durch, die in einer regelrechten Invasion mit Drachenbooten gipfelte, in deren Folge er - der Sohn Harald Blauzahns -  schließlich 1013 n. Chr. zum König von England erklärt wurde. (siehe:  https://de.wikipedia.org/wiki/Sven_Gabelbart)

[2] Julius Cäsar, führte, nachdem er, mit Ausnahme eines kleinen Dorfes Unbeugsamer, fast ganz Gallien erobert hatte, zwei bewaffnete Expeditionen zu den Britischen Inseln durch. (siehe:https://de.wikipedia.org/wiki/Gaius_Iulius_Caesar#Prokonsul_in_Gallien

[4] Eigentlich: "Boule-Spieler sind sowohl die friedliebendsten als auch die verrücktesten Menschen der Welt."

Honoré de Balzac

[5] Siehe: Oker-Leine-Derby