Gelesen durch die Brille des Pétanquespielers:

"ZEN IN DER KUNST DES BOGENSCHIESSENs"


Traditioneller Schütze mit asymmetrischem Bogen
Traditioneller Schütze mit asymmetrischem Bogen

Wer sich in Präzisionssportarten wie dem Gewehrschießen, dem Bogenschießen oder dem Werfen von Dartpfeil oder Pétanquekugel versucht, wer also danach trachtet, Fernwirkung und Genauigkeit unter einen Hut zu bringen, der stößt, sofern er um theoretische Unterfütterung seines Strebens bemüht ist, irgendwann auf ein kleines Büchlein mit dem Titel: "Zen in der Kunst des Bogenschießens", von Eugen Herrigel [1]. Erst jüngst (1.4.2018) hatte der Deutschlandfunk in einer Sendung über das Bogenschießen ausgiebig daraus zitiert:

"Bogen. Sehne. Pfeil. - Vom Anspannen und Loslassen

 

Der Autor dieser Schrift hatte in den 20er Jahren eine Philosophieprofessur in Japan angetreten und sich jahrelang darin versucht, die dort gebräuchliche traditionelle Kunst des Bogenschießens zu erlernen. Die Essenz der dabei gewonnenen Erkenntnisse fasste er in besagtem Werk zusammen, das eines der ersten war, die dem deutschsprachigen Leser Einblicke in die Zenkultur zu geben versuchten[2]. Das Buch wurde seither einiger Kritik unterzogen, wozu unter anderem beitrug, dass sein Autor später der NSDAP beitrat und im Dritten Reich Universitätskarriere machte. Ferner enthält das Werk Irrtümer, die auf Übersetzungsprobleme zurückzuführen sind – Herrigel musste sich beim Bogenunterricht die Anweisungen des Meisters ins Deutsche übersetzen lassen. Zudem wurde angeführt, dass besagter Meister das eigentliche Zen niemals praktiziert hatte und die von ihm unterrichtete Art des Bogenschießens möglicherweise weniger traditionell war, als von Herrigel angenommen[3]. Dennoch war das Buch ein Verkaufserfolg im In- und Ausland, es erscheint bis heute in großer Auflage und blieb auch in Japan nicht unbeachtet.

 

Ich möchte hier nicht der Frage nach historischen und sprachlichen Irrtümern nachgehen, wozu ich mich in keiner Weise berufen fühle, noch möchte ich untersuchen, in welchem Grade das von Herrigel Verfasste den Geist des "Zen" trifft oder diesen verfehlt. Vielmehr möchte ich die Schrift als das nehmen, was sie eigentlich ist, als den Bericht eines Mannes, der sich intensiv darum bemüht, eine Kunst zu erlernen und dabei zu Einsichten gelangt, die für Menschen, die ähnliches versuchen, von Interesse sind. Ich selbst habe etliche Jahre damit zugebracht, den Geheimnissen des Pétanque näherzukommen. Die dabei gewonnenen Erkenntnisse wurden im hier vorliegenden Boulelexikon aufgezeichnet. Nach nunmehr 150 verfassten Artikeln suche ich also in "Zen in der Kunst des Bogenschießens" nach parallelen Erkenntnissen, denn es steht zu vermuten, dass sich beim Praktizieren einer Kunst, deren innerstes Wesen irgendwann dem offenbart, der wachen Sinnes Ausschau danach hält. 

 

Der Struktur des Buches folgend, werden die Abschnitte des eigentlichen Berichtes kurz zusammengefasst. Danach wird jeweils in Einschüben ein Bezug zum Pétanque hergestellt.


Den Bogen spannen - schon das eine Herausforderung
Den Bogen spannen - schon das eine Herausforderung

Die Anfänge: Zunächst hat sich Herrigel mit dem Bogen selbst vertraut zu machen, dessen Handhabung etliche Tücken aufweist. Er ist anfangs nicht in der Lage, die Waffe zur Gänze zu spannen, wird aber vom Meister dahingehend belehrt, dass die Lösung nicht im Training der Muskeln liege, sondern in der Gelockertheit des Körpers. "Sie dürfen zum Ziehen der Bogensehne nicht Ihre ganze Körperkraft aufbieten, sondern müssen lernen, nur Ihre beiden Hände die Arbeit tun zu lassen, während die Arm- und Schultermuskeln locker bleiben und wie unbeteiligt zusehen." Unvermeidlich gerät Herrigel jedoch auf den Irrweg, die eigenen Muskeln zu sehr anzustrengen. Die Wende bringt der Hinweis: "Sie können es deshalb nicht...weil Sie nicht richtig atmen." Nach dem Erlernen einer speziellen Atemtechnik, die tiefes Atemschöpfen in den Bauchraum hinein und langsames Ausatmen beinhaltet, gelingt peu a peu mit Leichtigkeit, was vorher misslang, das Spannen auch der stärksten Bögen. Zudem enthüllt sich folgendes Phänomen: Paradoxerweise bereitet das Steben nach Lockerheit eben deshalb Probleme, weil es ein Bemühen ist. Indem der Geist, während der einzelnen Handlungsschritte, die den Schuss ausmachen, sich allein auf die Atmung konzentriert, gewinnt der Körper von ganz allein jene Lockerheit, die als Voraussetzung für alles Weitere unerlässlich ist.

 

Kommentar: Auch im Pétanque begegnet uns die Eigentümlichkeit, dass jeglicher Krafteinsatz, der häufig übermäßigem Bemühen folgt, immer nur zu einer Verschlechterung des Wurfes führt. Das lockere pendelartige Schwingen des Armes ist die Grundvoraussetzung für die Verfeinerung der Technik (Der richtige Schwung). Sich absichtlich zu lockern, hat positive Effekte (Anspannungen Abschütteln); bewusstes Atmen hilft dabei, innere Anspannungen zu lösen, ruhiger und gelassener zu werden (Atmung). Als Nebeneffekt bewirkt die Konzentration auf das Atmen (verstanden als Ritual), dass sich der Geist nicht mit Ablenkendem befasse (Rituale). Anfänger versuchen ein unzulängliches Spielvermögen durch Willenskraft zu kompensieren, sie meinen sich mehr anstrengen zu müssen als die Fortgeschrittenen. Dieses angestrengte Bemühen, sofern es Teil ihres Stils wird, behindert sie dann in ihrem weiteren Fortschreiten. Die Gelockertheit des Körpers sollte daher tatsächlich am Anfang stehen. Der Spieler muss früh die Erfahrung machen, den Wurf ohne sonderliche Anspannung gelingen lassen zu können.


Loslassen - ein magischer Moment
Loslassen - ein magischer Moment

Loslassen: Solcherart ein Jahr lang vorbereitet, wendet man sich nun dem Abschießen des Pfeiles zu. Es geht wohlgemerkt noch nicht um das Treffen eines Zieles, sondern lediglich um das Ausführen der richtigen Bewegung. Der gespannte Bogen erzeugt gewaltige Zugkräfte, die sich beim Lösen des Pfeiles ruckartig entladen. Den Körper des Ungeübten durchfährt dabei eine erhebliche Erschütterung, während es dem Meister gelingt, die Kräfte elastisch abzufangen und auszugleichen. Als für den Vorgang wesentlich erweist sich der Moment des Öffnens der Hand, wodurch die Sehne befreit wird.

 

Herrigel gelingt es trotz intensiven Übens nicht, die angestrebte Leichtigkeit zu erlangen. Er hat sogar den Eindruck, dass der Vorgang ihm nun, da er sich diesem bewusst zuwendet, schlechter gelänge als einst, da er ihn ohne besonderen Anspruch ausführte. "„Denken Sie nicht an das, was Sie zu tun haben, überlegen Sie nicht, wie es auszuführen sei!" riet der Meister. „Der Schuß wird ja nur dann glatt, wenn er den Schützen selbst überrascht. Nach wie vor befindet sich Herrigel jedoch in einem Dilemma zwischen zu fest und zu locker, das rechte Maß will sich nicht einstellen. Der Meister hält das solange für unvermeidlich, wie die Aktion bewusst ausgelöst wird. Erst wenn es gelänge, die Hand unbewusst zu öffnen - also ohne explizit ausgeformten oder gar formulierten Gedanken - sei Besserung zu erwarten. Die Diskussion kommt an einen Punkt, da der Meister erklärt: "Der rechte Schuss im rechten Augenblick bleibt aus, weil Sie nicht von sich selbst loskommen. Sie spannen sich nicht auf die Erfüllung hin, sondern warten auf Ihr Versagen". So wird enthüllt, dass es darum geht, den eigenen Willen zu unterdrücken, den Schuss also nicht zu bewirken, sondern geschehen zu lassen. Das Öffnen der Hand ist nicht Mittel zum Zweck, nämlich dem, einen perfekten Schuss auszuführen, sondern absichtsloses Handeln. Diese Absichtslosigkeit ist das eigentliche Geheimnis perfekten Handelns, ebenso wie ihre Umsetzung eine ungeheure Herausforderung darstellt.

 

Kommentar: Es fällt an dieser Stelle auf, wie die Übungen strukturiert sind. Das vordergründig für wesentlich Erachtete, das Treffen eines Zieles, spielt lange Zeit nicht die geringste Rolle und wird, soviel sei Vorweggenommen, auch gänzlich anders gewichtet, als man es erwarten könnte. Der Artikel "Bewegungs- und Zielorientierung" behandelt diesen Zusammenhang für das Pétanque. Es muss zunächst die richtige Bewegung gefunden werden, was leichter gelingt, wenn man vom Treffen absieht. Diese Bewegung strikt beibehaltend, wartet der Schütze dann auf den Treffer, ohne ihn bewusst zu bewirken. Stellt er sich auf diese Weise "überraschend" ein, wird der Handelnde von Erstaunen ergriffen, wie mühelos und elegant die Lösung aussieht. Es ist das Unterbewusstsein und nicht der wache Verstand, das hier am Werke ist, ein Zusammenhang, der auch in "Das innere Spiel"behandelt wird.

 

Ebenso wie beim Kampf mit der Bogensehne, ist auch im Pétanque das Loslassen die eigentliche Herausforderung. Der ganze Wurf muss auf diesen winzigen Moment hin angelegt sein. Wie kurz die dafür zur Verfügung stehende Zeit ist, geht aus dem Artikel "Der Wurf aus wissenschaftlicher Sicht" hervor. Einmal im Schwung, befindet sich die Hand nur einen Sekundenbruchteil an jenem Ort, von dem aus ein Treffer sich einstellen kann. Ebenso sucht beim Bogenschießen der Schütze jenen rechten Moment abzupassen, da der Bogen zur Gänze gespannt ist und des Schützen Kraft noch ausreicht, die hohe Zugkraft sicher zu meistern.

Das eigentliche Loslassen wird im Aufsatz "Handhaltung" behandelt. Der eigenartige Effekt, dass eine Konzentration auf bestimmte Teilaspekte körperlichen Handelns zu einer Verschlechterung führen kann, wird in "Bewegungen bewirken, Bewegungen erlernen" dargestellt. Auch hier ist die Lösung, den Ball, den Pfeil, die Kugel, "ins Ziel zu denken", also von sich selbst abzusehen und dem WIE des Handelns keinerlei Aufmerksamkeit zu schenken.

 

 


Das "Seelische" der Aufgabe
Das "Seelische" der Aufgabe

Geistige Lockerung: Auch nach besagter Diskussion mit dem Meister mag sich kein erkennbarer Erfolg einstellen: "...dennoch mißriet jeder Schuß: herbeigewünscht, herbeigeführt, verwackelt." Herrigel findet sich damit ab, dass weiteres beharrliches Üben irgendwann die Wende bringen muss, und schließlich: "...wozu auch in Gedanken vorwegnehmen wollen, was nur Erfahrung lehren kann?" Es ist der Meister, der schließlich einen neuen Schritt unternimmt, mit dem er das Geistige der Herausforderung stärker zu betonen trachtet. Dem Ziel des "Ichloswerdens" ist näherzukommen, indem die bereits bekannte körperliche Lockerung in eine geistige Lockerung übergeht. "Damit die rechte Lösung des Schusses gelinge, muß die körperliche Gelockertheit nunmehr in seelischgeistiger Lockerung fortgeführt werden zu dem Ende, den Geist nicht nur beweglich, sondern frei zu machen: beweglich um der Freiheit willen, frei um ursprünglicher Beweglichkeit willen..."

Eine Art Meditation, die darauf beruht, alle Gedanken allein der Atmung zu widmen, soll äußere Einflüsse und Ablenkungen abschirmen und zu immer tieferer Versenkung führen. Dabei erweist es sich, dass die so erzeugte Leere sich schnell wieder mit Gedankenfetzen füllt, der angestrebte Zustand somit anfangs nur von kurzer Dauer ist. Am Ende steht die Erkenntnis, dass: "Bogenschießen kein Sport, keine turnerische Übung sein kann..." dass "... das technisch Erlernbare daran bis zum Überdruß gewissenhaft eingeübt werden muß. Wenn alles davon abhängt, daß man sich völlig selbstvergessen und absichtslos dem Geschehen einfüge, muß sich sein äußerer Vollzug wie von selbst abspielen, keiner lenkenden und kontrollierenden Überlegung bedürftig."

 

Kommentar: Der hier behandelte Abschnitt, aus dem Einzelpunkte herauszugreifen wenig ergiebig wäre, verweist darauf, dass es geistige Zustände sind, durch welche die Qualität unseres Handelns bestimmt wird. Im Pétanque gilt das gleichermaßen, was der Grund dafür ist, dass wir uns mit Phänomenen wie dem "Flow" beschäftigen, uns intensiv um "Konzentration" und "Gelassenheit" bemühen und das persönliche Streben, das uns als "Erwartungen" begegnet, möglichst einzudämmen bemüht sind; warum wir, ringend um "Selbstvertrauen" den Blick von dem abwenden müssen, das wir eigentlich erstreben. Der Beobachtung, dass nichts zu denken nahezu unmöglich ist, wird in "Was denken beim Wurf" nachgegangen. In schwierigen Lagen aufkommende Gedanken werden behandelt in: "Innerer Monolog und Bewusstseinsstrom 

 


Unzählige Pfeile bis zur Meisterschaft
Unzählige Pfeile bis zur Meisterschaft

Unterricht: Herrigel hebt nun zu einer Reflexion der Unterrichtsmethode an, als deren Fundament er die, durch stetes Einüben und Wiederholen erreichte "bedingungslose Beherrschung der Formen" erkennt. Wesentlich ist die Nachahmung des Meisters, also der Versuch, das Gesehene im eigenen Handeln zu wiederholen. Belehrungen und Begründungen spielen hingegen kaum eine Rolle. Abgezielt wird dabei auf die souveräne handwerkliche Könnerschaft des Schülers, aus der, sobald sie einmal zur Reife gelangt ist, jene Freiheit erwächst, derer es zur Erlangung der Meisterschaft bedarf. Erst wenn das Handwerkliche mühelos gelingt, ist der Schüler fähig, seinen Eingebungen zu folgen. Erst dann wird sein Handeln freier und sein Können damit geistiger. Dieses Grundmuster findet Herrigel in vielen traditionellen Künsten und betont an dieser Stelle abermals die Bedeutung des Zeremoniellen, die Wichtigkeit der Rituale. Begünstigt wird hierdurch jener geistige Zustand, in dem sich die jeweilige Kunst zur Gänze entfaltet. Die rechte geistige Verfassung des Künstlers ist dann erreicht, "... wenn die Vorbereitung und das Schaffen, das Handwerkliche und das Künstlerische, das Materielle und das Geistige, das Zuständliche und das Gegenständliche fugenlos ineinander übergehen." Mensch, Künstler und Werk werden eines, Meisterschaft offenbart sich in der Fähigkeit, zu finden, ohne überhaupt gesucht zu haben.

 

Kommentar: Im Pétanque begegnet es uns immer wieder, dass Erklärungen wenig fruchten, ja sogar stören (Bewegungen Bewirken...). Besser gelingt es, die komplexen Bewegungsabläufe aufzufassen, indem man Könner intensiv beobachtet. Das Beobachten und Nachahmen ist die natürlichste Art des Lernens und dem Menschen seit Urzeiten vertraut; über Bilder vermitteln sich Zusammenhänge unmittelbar (Mentales, Training und die Macht der Bilder). Für die Entwicklung ist es daher von großer Bedeutung, einen möglichst umfassenden Bildeindruck zu gewinnen, also eine ideale Beobachterposition zu wählen.

Als Spieler müssen wir danach streben, Standards vielfach zu wiederholen (Zwillinge, Drillinge), wir müssen auch im Wettkampf unserer selbst vollkommen gewiss zu sein, was bedeutet, die Handlungsabläufe nicht mehr zu hinterfragen. Dafür trainieren wir diese wieder und wieder. Es geschieht aber irgendwann, dass wir in dem Moment, da sich unsere Kunst entfaltet, die Freiheit finden, davon abzuweichen und in dieser Abweichung dennoch das augenblicklich Richtige tun, nicht wissend, warum und staunend über das Ergebnis. Phänomene wie der "Flow" sind es, die uns immer wieder vor Augen führen, dass gutes Spielen ein innerer Zustand ist, den wir in uns hervorrufen können. Der Glaube an die eigenen Fähigkeiten – genährt durch handwerkliches Können, Rituale, die Lockerung von Körper und Geist durch bewusstes Atmen, sowie die Schulung des Konzentrationsvermögens tragen dazu bei. Sind wir wach genug, sind wir geduldig genug, dann finden wir im Wechsel von Beobachten und Handeln irgendwann den rechten Pfad; dann entzünden wir unser Licht an der bereits brennenden Flamme eines Meisters, um es fortzutragen und einst hoffentlich weiterzugeben.

 


Geschafft
Geschafft

Krisis und Gelingen: Herrigel gerät nun – er befindet sich bereits im vierten Unterrichtsjahr – in eine ernste Krisis, fragt er sich doch, ob die ihm in Japan verbleibende Zeit überhaupt ausreiche, das Unterrichtsziel zu erreichen und ob denn der investierte Zeitaufwand das Ergebnis überhaupt rechtfertigen könne. Abweichend von der Lehre des Meisters findet er einen technischen Kniff, der, so scheint es ihm zumindest, einen Schuss ähnlich dem des Meisters bewirkt. Anders als die angestrebte Absichtslosigkeit erfordert dieser jedoch volle Konzentration auf die Handhaltung. Der Meister bemerkt sofort die Abkehr von der Lehre und verweist den Schüler des Unterrichtes, dem es dann reumütig gelingt, wieder aufgenommen zu werden. Herrigel glaubt nun nicht mehr daran, das Ziel jemals erreichen zu können und nimmt ohne inneren Antrieb an den Übungen teil. In dieser Phase gelingt ihm plötzlich der perfekte Schuss, den der Meister mit einer Verbeugung würdigt – es ist vollbracht, der Schuss ist vom Schützen abgefallen "wie eine reife Frucht".

 

Kommentar: An dieser Stelle begegnet uns nun eine umstrittene Formulierung. Nach dem perfekten Schuss weist der Meister darauf hin, seine Verbeugung habe nicht dem Schützen gegolten, denn dieser sei, was ja das Ziel der intensiven Bemühungen war, nicht willentlich aktiv geworden; vielmehr habe "ES" geschossen. Dieses "ES" wird nun verschiedentlich für ein Missverständnis gehalten, denn die japanische Sprache gebe solch eine Formulierung nicht her. Mag das auch so sein, so weiß doch der erfahrene Spieler sofort, was damit gemeint ist, er weiß es umso mehr, wenn er das Buch "Tennis – Das Innere Spiel"[4] gelesen hat. Hier war das Unterbewusstsein am Werke, jenes Vermögen in uns, das einzig in der Lage ist, Bewegungen dauerhaft, zielgenau und harmonisch zu koordinieren. Was Herrigel widerfährt, nämlich das Gelingen einer Handlung in dem Moment, da man seine Bemühungen aufgegeben hat, kennt fast jeder Pétanquespieler. Er erfährt es immer dann, wenn nach etlichen fruchtlosen Versuchen, eine Kugel in gewünschter Weise ins Ziel zu bringen, die letzte dann verzweifelnd und resignierend ohne jede Sorgfalt geworfen und damit eigentlich fast weggeworfen wird. Eben diese aber landet dann genau an der richtigen Stelle. Was in Herrigels Buch mystifiziert daherkommt, ist längst anerkanntes Wissen: Automatismen bewirken Präzision im Handeln, willentliches Steuern verdirbt die Würfe.

 


Fechten: Herrigel betrachtet nun zum Abschluss die japanische Fechtkunst, um aus den Gemeinsamkeiten beider Künste das Wesen der von ihm studierten Lehre besser herausarbeiten zu können. Beim Kampf mit dem Schwert ist die Erfahrung des Ringens unmittelbarer, sind die Auswirkungen des Scheiterns gravierender. Der Anfänger, so stellt er fest, wird "mit Beginn des Unterrichtes außer seiner Unbefangenheit auch sein Selbstvertrauen einbüßt. Er lernt jetzt alle technischen Möglichkeiten der Gefährdung des Lebens im Schwertkampf kennen, und obwohl er bald imstande ist, seine Aufmerksamkeit aufs äußerste anzuspannen, den Gegner scharf zu beobachten, seine Hiebe kunstgerecht abzuwehren und wirksame Ausfälle zu machen, ist er dennoch schlechter daran als zuvor, da er noch aufs Geratewohl um sich schlug..."

 

Das Gefühl der Verwundbarkeit zu mildern, bedarf es zunächst eines ausgiebigen Trainings der technischen Fertigkeiten, das zwar zu beeindruckendem Umgang mit der Waffe verhilft, nicht aber zur Meisterschaft. Auf dieser Stufe wird der Kämpfer es nämlich nicht unterlassen können, "den Gegner und dessen Art, das Schwert zu führen, sorgsam zu beobachten;" und überlegen, "wie er ihm am wirksamsten beikommen könne..." Solches Streben nach "Überlegenheit durch Überlegung", nach bewusster Verwertung des Könnens, hemmt jedoch die Unmittelbarkeit des Handelns, derer es zur Erlangung der Meisterschaft bedarf. Damit das Können geistig werde, muss zur souveränen Technik des Lehrlings die "Absichtslosigkeit" und "Ichlosigkeit" des Handelns hinzutreten.

 

Der Weg führt über ein Training, das blitzschnelles Reagieren und instinkthaftes Handeln begünstigt. Die Bemühungen des Schülers werden also darauf gelenkt, von der Betrachtung des Gegners und von den eigenen Absichten abzulassen. Schließlich kommt es dahin, dass Ausweichen und Vorgehen im Kampf eines werden: "Im Augenblick des Ausweichens holt der Kämpfende schon zum Schlage aus, und, noch ehe er sich dessen versieht, ist sein tödlicher Streich schon treffsicher und unwiderstehlich gefallen. Es ist, als ob das Schwert sich selber führe..."

 

Auch in anderen Künsten trägt das unmittelbare Handeln Früchte: "So erweist sich, um ein weiteres Beispiel zu streifen, die Meisterschaft in der Tuschemalerei gerade darin, daß eine die Technik bedingungslos beherrschende Hand in demselben Augenblick, in dem der Geist zu gestalten beginnt, ausführt und sichtbar macht, was ihm vorschwebt, ohne daß ein Haarbreit dazwischen wäre."

Am Ende des Weges steht eine Unbekümmertheit, die den Anfänger ausgezeichnet hat, die nun aber einem unendlich gereiften Menschen innewohnt: "Der vollendete Meister jedenfalls verrät, nicht durch Worte, wohl aber in seinem Gebaren, auf Schritt und Tritt seine Furchtlosigkeit: man sieht sie ihm an und ist durch sie tief betroffen."

 

Kommentar: Das hier Dargelegte ist keinem erfahrenen Pétanquespieler fremd. Wohl bedarf es des technischen Könnens, das sich sicher mit der Zeit einstellen und verfeinern wird, und das, indem es sich mehrt, das Selbstvertrauen gleichermaßen anwachsen lässt. Was ist aber, wenn sich die Umstände gegen einen solcherart präparierten Spieler stellen, was, wenn das Momentum sich gegen ihn wendet, was, wenn er auf technisch gleichstarke oder überlegene Gegner trifft? In solchen Situationen gelingt es dann nicht, das vorhandene technische Können umzusetzen und es wird offenbar, dass Weiteres hinzutreten muss.

 

Obgleich im Pétanque reichlich Zeit zum Nachdenken ist, ist es ratsam, sich in der Kunst der schnellen Entscheidungsfindung zu üben. Die meisten Entscheidungen können im Spiel nahezu augenblicklich gefällt werden und dennoch treffsicher sein. Der Schütze mit Kugelvorteil, um ein Beispiel zu geben, kann sich bereits während sein Gegner eine Kugel legt, innerlich bereit machen, diese zu entfernen, sofern sie eines Angriffes nur irgend wert erscheint, und, sobald er am Zuge ist, umgehend zur Ausführung schreiten. Mit der Zeit wird hierdurch das Handeln immer unmittelbarer, bis der Wurf fast reflexhaft erfolgt. Solches Spielen kennt den Zweifel nicht, es ist ichlos, absichtslos und von unvergleichlicher Präzision.

Der Versuch, durch Überlegungen Überlegenheit zu gewinnen schafft Probleme, die in "Helden und Strategen" diskutiert werden.

 

Meisterliches Spielen ist auch im Pètanque immer Angriff und Verteidigung zugleich, was sich im Carreauschuss manifestiert. Es beschränkt sich nicht auf die Abwehr einer Gefahr, sondern verbindet damit stets den Angriff auf den Kontrahenten. Der Meisterspieler legt nicht Hindernisse aus, um den Lauf des Gegners zu hemmen, er richtet sein Handeln direkt gegen diesen, angreifend und damit ausweichend zugleich.

 

Wenn Furchtlosigkeit die Quintessenz der Meisterschaft ist, dann ist gutes Pétanque mehr ein innerer Zustand denn die Beherrschung bestimmter Techniken. Diesen Zustand zu erreichen, zu fördern, zu bewahren und beliebig hervorrufen zu können, muss Ziel aller fortgeschrittenen Bemühungen sein. Nur wenn wir verstehen, dass die Überwindung jeglicher Furcht gleichbedeutend ist, mit der Überwindung jeglichen Strebens, gewinnen wir die Freiheit derer es bedarf, dass sich unser Spielen vollende.

 


Fazit: Lese ich das Buch "Zen in der Kunst des Bogenschießens" durch die Brille des Pètanquespielers, so zeigen sich Wahrheiten, die bis aufs Haar dem gleichen, was Frucht eigener Bemühungen war. Mögen Herrigel im Detail auch Irrtümer unterlaufen sein, mag er nicht tief genug oder zu naiv in die Geistesgeschichte der ihm fremden Kultur eingedrungen sein, der Kern des Übermittelten ist zweifellos wahr. Herrigel hat Erfahrungen gemacht, die sich vielen offenbaren, die ein Handwerk zur Reife bringen wollen. Dass die Erkenntnisse "fachübergreifend" hervortreten, erklärt nicht nur den bis heute andauernden Erfolg des Buches, ist nicht nur Ausweis ihrer Gültigkeit, sondern hebt auch die Methode hervor, durch die sie erlangt wurden: Durch Handeln selbst tritt, bei minimaler Anleitung und stetem Bemühen, die Wahrheit irgendwann hervor. Nicht durch Anweisungen, sondern durch Handlungen erfahren wir das Wahre.  

 

Thorsten

 


[1] Zen in der Kunst des Bogenschießens

Von: Eugen Herrigel

Verlag: O.W. Barth 

[4] W. Timothy Gallway: Tennis – Das Innere Spiel

Verlag: Goldmann Verlag

Siehe auch: "Das innere Spiel"

Bebilderung: Alle Fotos dienen allein der Illustration und sind sämtlich "Pixabay" entnommen. Es besteht keinerlei Zusammenhang zwischen dem hier besprochenen Buch und den gezeigten Personen.