Dokkōdō

Ein Weg zu innerer Stärke


Im 17. Jahrhundert lebte in Japan ein Mann, der sich als Schwertkämpfer einen legendären Ruf erwarb. Er siegte in 60 Duellen und focht in sechs Kriegen. Ein unorthodoxer Stil, Flexibilität und Pragmatismus zeichneten ihn aus. Miyamoto Musashi gelangte zu tiefen Einsichten in das Wesen seiner Kunst und der Welt. Auch in anderen Bereichen, wie etwa der Malerei, der Metallverarbeitung oder der Kalligrafie tat er sich hervor. Nicht zuletzt gründete er eine Schule für Schwertkampf. Kurz vor seinem Tode verfasste er zwei Schriften, deren eine, das "Buch der fünf Ringe", auch im deutschen Sprachraum recht bekannt ist, während die andere, „Dokkōdō“ nicht einmal einen deutschen Wikipedia-Eintrag besitzt.

Das mag an ihrer Kürze und Sprödigkeit liegen, besteht sie doch nur aus 21 bekenntnishaften Grundsätzen, die zudem schwer zu deuten sind, weil sie implizite Begriffe enthalten, die einem Schüler von Musashis Schule gewiss geläufig waren, dem Außenstehenden jedoch leicht Rätsel aufgeben.

 

Ich mache hier ausdrücklich nicht den Versuch einer allgemeingültigen Deutung, sondern bin neugierig, was der Text mir sagt. Gleichwohl habe ich eine sorgfältige Übersetzung zurate gezogen, die auch Deutungshinweise gibt. Sie wurde von Teruo Mashida angefertigt und ist online verfügbar:(https://core.ac.uk/download/144415055.pdf). Auch das „Buch der fünf Ringe“ habe ich befragt.

Ich möchte mich hier nun mit der Schrift: "Dokkōdō" beschäftigen: In der Hoffnung, das Lebensresümee eines so großen Kämpfers werde Erkenntnisse enthalten, die auch auf das Spiel übertragbar sind, versuche ich die Worte möglichst sinngetreu auf mich wirken zu lassen, um diese an meinen eigenen Erfahrungen zu spiegeln, die ich auf dem "Boule-Weg" gemacht habe.

 

Dokkōdō“ bedeutet: Der Weg, den ich gehe. Das Wort "Weg" hat hier einen besonderen Sinn, den ich vorab kurz skizzieren muss. In der Besprechung der einzelnen Punkte wird dieser immer wieder aufscheinen:

Im historischen Japan existierten verschiedene Künste, die in Schulen gelehrt und tradiert wurden. Diese waren Kampfkünste, aber auch das zeremonielle Bereiten von Tee oder das Blumenstecken. Durch intensive Beschäftigung mit einem eng begrenzten Teilbereich des Lebens versuchte man, auch zu Einsichten über das Große und Ganze zu gelangen, ebenso wie man die Tätigkeiten selbst zu perfektionieren trachtete.

Diese traditionellen Künste, etwa Kyodo, oder Judo, Kendo etc. tragen sämtlich die Endsilbe DO, was in diesem Zusammenhang gewöhnlich mit „Weg“ übersetzt wird: „... „Do“ wurde daher von den Japanern verstanden als Weg oder Straße, der man im Leben zu folgen habe. Dieser Weg ist endlos und tiefgründig. Er ist lang, steil und mit vielerlei technischen Schwierigkeiten angefüllt. Er ist zu gehen als ein Mittel der Selbst-Kultivierung. Es geht dabei also nicht allein darum, sich die zur Ausübung einer Kunst notwendigen Techniken anzueignen, sondern im Ausüben dieser Kunst, im steten Streben nach Verbesserung, selbst ein anderer zu werden. (Dieser Zusammenhang wird in folgendem Artikel des Boulelexikons näher ausgeführt: https://boule-braunschweig.jimdofree.com/boulelexikon/hintergrund/zen-das-konzept-des-do-und-p%C3%A9tanque/)

Anmerkung zur Ansprache im Text: Musashi formuliert alle seine Sätze in der Ich-Form. Das ist für ein Bekenntnis angemessen, denn  „Dokkōdō“ bedeutet schließlich: „Der Weg, den ich gehe“. Um mich davon abzugrenzen, habe ich für meine Kommentare das „du“ gewählt, denn schließlich forsche ich ja hier zunächst Musashis Gedanken nach und breite sie nicht als eigenes Bekenntnis aus. Die so formulierten Sätze sind freilich nicht als Gebote an den Leser zu verstehen, sondern als Ansprache, die ich im Selbstgespräch an mich richte, etwa so, wie es Marc Aurel in seinen Selbstbetrachtungen getan hat. 



1. „Ich will den Wegen in der Welt nicht widerstreben“

Gerade in der Beschränkung auf das Eine wirst du empfänglich für das Ganze.

Sei offen für die Erkenntnisse, die andere auf ihren Wegen gesammelt haben. Auch du wirst auf deinem Weg allgemeine Wahrheiten finden, die ihren Nutzen in vielfältigen Bereichen zeigen.

 

Das ganze Boulelexikon ist nach diesem Gedanken konzipiert, es entlehnt Wissen aus anderen Bereichen, extrahiert Zusammenhänge aus dem Spiel und sucht diese zu verallgemeinern.

So weitet sich des Spielers Blick, obgleich – oder gerade weil – er sich intensiv der einen Sache widmet, dem Pétanque. So erkennst du auf dem Weg der steten Verbesserung immer auch etwas von den Wegen der Welt. [1]


2. "Ich will keinen Vergnügungen Nachstreben"

Glück ist flüchtig, Mühsal und Plagen haben die Übermacht. „Das Leben ist Leiden“, so soll es Buddha gelehrt haben. Sei weise und stell dich darauf ein! Begegnet dir ein glücklicher Moment, so empfinde ihn als Gnade, denn er wird vorüberziehen. Zu glauben, er könne ewig währen, das wäre dumm.

 

Gleichnis: Auf weiter Wanderung begegnet dir unerwartet ein schattiger Ort. Ein munterer Quell entspringt hier; es labt der Blick sich am Gefilde. Gern würdest du verweilen. Gar wäre der Ort es Wert, des Marsches eigentliches Ziel zu sein. Doch dich zieht es fort, Muskeln und Sehnen verlangen ihr Recht, wollen sich üben, auf das sie dich auch künftig tragen, Ungekanntem entgegen. Endigte der Marsch sich hier, wie bald wäre dir fad geworden? Vergnügen kann nicht währen. Ohne Reue ziehe weiter!

 

Askese und hartes Üben passen besser zu den Kampfkünsten als zum Pétanque, dem es an Hedonisten nicht mangelt. Doch ist es der Überlegung wert, das Vergnügen nicht um seiner selbst Willen zu suchen. Was hieße denn das? Stets nur spielen, ohne sich den Mühen des Übens auszusetzen? Wollen wir denn nicht wachsen an unserem Spiel? Dazu heißt es, sich ein wenig quälen, Würfe endlos wieder und wieder ausführen, Gegner finden, die nicht leicht zu schlagen sind – es heißt, Lehrgeld zu entrichten.

So fahren wir stetig fort, den Keim, der in uns wächst, reifen zu lassen. Schönes, das uns begegnet, Siege oder Geselligkeit verschmähen wir nicht. Doch sind sie nicht das wahre Ziel. Den Weg zu gehen, bis zu unserem letzten Schritt, das ist das Ziel.


3. "Ich will unter allen Dingen nichts bevorzugen."

Die Welt ist nicht statisch, alles ändert sich immerfort.

Wie kannst du da bestehen? Pass Dich an!

 

Im Kampf unerschütterlich sein, bedarf es eines beweglichen Geistes. Gehe mit vorgefassten Meinungen hinein und du wirst scheitern. Vertraue Deinem Instinkt! Vertraue Dir selbst! Glaube, dass Du die richtigen Entscheidungen zur rechten Zeit treffen wirst! Lass die Meinung der anderen Dich nicht hindern, wenn Du es besser weißt. Um gut zu spielen, musst Du vor allem in Dir selbst ruhen; musst mit Dir im Reinen sein, dann wird Intuition Dich leiten. Pétanque verträgt keine Dogmen, sie gebären Zweifel und Angst, weil ein Teil von Dir immer spürt, dass du damit Gesetzen folgst, die nicht für diesen Augenblick gemacht sind. Sei offen! Finde selbst heraus, was richtig ist! Folge Dir selbst! [2]


4. "ICh schätze mich unbedeutend, doch die WElt ist so gross und tief."

Dein Schiff tanzt auf wild bewegter See wie eine Nussschale. Und da willst du verzagen, weil du es nicht vermagst, die Wogen zu glätten? Hier hast du ein Ruder, hier hast du Segel, nutze doch das, was dir gegeben!

 

Aus der Demut, der Einsicht, nicht alles lenken zu können, erwächst auch eine Kraft. Sieh die Dinge so, wie sie sind! Erkenne was möglich ist und handele danach! (Im Boulelexikon ist dieser Zusammenhang bereits in einem Artikel über Machiavelli näher ausgeführt.)

 

Du fährst zum Wettkampf, wie willst Du dort bestehen? Wie all die vielen schlagen, mit ihrer Kunst, mit ihrer Stärke? Spiel doch erst mal dieses Spiel! Spiel doch erst mal diese Kugel, die nächste dann und dann die nächste ...


5. "Ich will mein ganzes Leben hindurch frei von Begierden sein."

Wie du dich der Welt ausgeliefert fühlst (Regel 4) so kann auch deine innere Natur zu viel Macht gewinnen. Lerne sie zu zügeln, beherrsche sie, auf dass sie dich nicht beherrsche!

 

Du hast Sehnsüchte, willst anerkannt werden, willst Erfolge sammeln, willst andere bezwingen. Sei gewahr, dass es dich nicht vom Weg abbringe! Du kannst deine Natur nicht verleugnen, aber willst du ihr ausgeliefert sein? (Im Boulelexikon wird ein ähnlicher Gedanke in dem Artikel: "Gelassenheit" diskutiert.)


6. "Ich will meine Taten nicht bereuen."

Bedauern hält dich in der Vergangenheit fest, die du nicht mehr ändern kannst. Du hast eine Chance verpasst und nun willst du mit dir hadern? Der Gegner holt schon aus zum neuen Schlag. Lass Geschehenes einfach geschehen sein! Nimm dir vor, es besser zu machen - jetzt, sofort!

 

Du spielst deine Kugeln und versäumst es, Punkte einzusammeln, die du schon sicher wähntest. Nun glaubst du, hart mit dir ins Gericht gehen zu müssen. Erkenne, dass dich das schwächt. Du hast eine Lektion erhalten, sei dankbar dafür! Niemand klagt dich an, tue du es auch nicht! Geh einfach deinen Weg weiter und lass im Fortschreiten das Versäumte hinter dir zurück! (Im Boulelexikon wird dieser Aspekt bereits in dem Artikel: "Selbstgespräche" aufgegriffen)


7. „Ob gut, ob böse, ich will auf niemanden neidisch sein.“

Jemand besitzt ein Können oder ein Ansehen, das Du nicht hast. Ist das nun ein Grund, dich schlecht zu fühlen? Das hieße zu glauben, alles sei für alle Zeit fest gefügt. Erinnere dich, dass alles sich wandelt und auch du fortschreiten willst. Nutze, was du bereits besitzt und gehe weiter deinen Weg!

 

Im Spiel das Können der anderen zu bewundern, kann produktiv sein, es kann aber auch destruktiv werden. Glaubt man andere zu weit enteilt, so geschieht es leicht, dass man frustriert in seinem Bemühen nachlässt. Spiele gegen Könner sind Lehrstunden, für die man mit Niederlagen einen relativ geringen Preis bezahlt. Es kommt darauf an, was man daraus macht, ob man vom Spielort schlechte Laune oder wertvolle Einsichten mitbringt.

 

Lerne von allen, die dir vorausgeeilt sind!



8. „Ich will nicht traurig seien, wenn ich mich von irgendeinem Weg verabschieden muss.“

Wenn Du in einem Buch liest, so schlägst Du ein Kapitel zu, um ein neues aufzuschlagen. Irgendwann aber ist das Buch ausgelesen, alles kommt an ein Ende. Erinnere Dich an das Gute, das du erfahren hast, und bedauere nicht, dass die Zeit forteilt.

 

Es ist menschlich, dem Schönen nachzutrauern, wenn es entschwindet, doch soll man sich vom Bedauern nicht übermannen lassen. Auf dem Weg zu Neuem lassen wir immer etwas zurück. Wir müssen die Unabänderlichkeit dieser Wahrheit akzeptieren.

 

Es kommt der Tag, da kannst Du deine Kunst nicht mehr so zeigen wie gewohnt. Irgendwann einmal musst Du die Kugeln für immer niederlegen. Bedenke dies!


9. „Ich will keine Ausreden suchen und keinen Groll hegen, weder gegen mich noch gegen andere“

Du hast ein Ziel nicht erreicht und nun willst Du anderen die Schuld daran geben oder gar den Umständen? Wie willst Du Selbstvertrauen gewinnen, wenn Du Verantwortung ablehnst? Mach dich nicht zum Gefangenen der anderen oder des Schicksals. Verschließe nicht die Augen vor dem, was du selbst vermagst.

 

Im Spiel sind Vorwürfe ein Übel. Die einzige Frage sollte lauten, ob man alles getan hat, was gerade in seiner Macht stand. Vielleicht spielt der Partner gewöhnlich besser, ist aber heute von schweren Gedanken belastet und scheitert. Wer bin ich, ihm das vorzuwerfen? Was man zum konkreten Zeitpunkt vermag, das kann man nur selbst erforschen. Es ist daher notwendig, stets davon auszugehen, dass jeder jederzeit sein Bestes versucht. Werden uns aber Vorwürfe gemacht, so sollten wir diese nicht mit Ausreden zudecken, sondern schauen, ob sie nicht berechtigt sind. Wie aber gehen wir dann mit uns selbst ins Gericht? Einen eigenen Fehler zu erkennen, heißt nicht, sich dafür zu geißeln, sich zu beschimpfen oder sich selbst zu erniedrigen. Man nimmt sich einfach vor, es künftig besser zu machen. 

 

Das Vertrauen in dich selbst ist eine große Kraftquelle im Spiel. Du verschüttest sie, wenn du die Schuld immer anderswo suchst, denn gutes Spielen heißt, die eigene Wirksamkeit zu erkennen und dieses Wirken immer weiter auszudehnen.

 

Im Boulelexikon beschäftigen sich die Artikel Erwartungen und Selbstgespräche mit ähnlichen Fragen.


10. „Ich will mich nicht dem Weg der Leidenschaften der Liebe hingeben“

Erkenne, dass es schwer wird, zwei Wegen gleichermaßen zu folgen.

 

Sicherlich das extremste Bekenntnis, zudem im hier diskutierten Kontext irrelevant. Vielleicht aber eine hilfreiche Erinnerung daran, wie sehr sportliche Bemühungen – und Ambitionen überhaupt - dazu in der Lage sind, den Nächsten eine Bürde zu sein.

Menschen, die es in ihrem Metier zu absoluter Exzellenz gebracht haben, zahlten dafür nicht selten einen hohen Preis: Einsamkeit.


11. „Ich will nicht bei jedem Ding elegante Schönheit suchen.“

Du verfügst über eine schöne Technik. Gebrauchst du sie nur, um sie anderen vorzuführen oder um mit ihr etwas zu erreichen?

 

Mit der Schönheit der Dinge ist es so eine Sache: Erst ist ein Gebrauchsgut vielleicht auch schön und wird von jemandem gerade deshalb gesammelt. Irgendwann dann wird es nicht mehr in Gebrauch genommen und sein einziger Daseinszweck ist die Schönheit selbst. Nun will man es vielleicht präsentieren, das eigene Renommee damit zu steigern. Vielleicht kettet man sich ob des angenommenen Wertes auch nur an das Objekt, ohne irgendeinen Nutzen davon zu haben. So ist es dann nur hemmender Ballast.

 

Musashi hatte seine Kampfkunst am Praktischen und Notwendigen orientiert. Er wollte in allem flexibel bleiben und maß der Intuition große Bedeutung zu. Das Prunken mit Kabinettstückchen war seine Sache nicht. In einem Duell muss man den Weg beschreiten, der am Sichersten und wahrscheinlichsten zum Erfolg führt und sollte auch keine Vorlieben haben, um nicht ausrechenbar zu werden. So sehe ich in dieser Regel den Rat, alle Dinge pragmatisch anzugehen.

 

Nicht aber sehe ich eine Verachtung der Schönheit schlechthin. Sie soll nur nicht zum Selbstzweck degenerieren. Ein Spieler ist stets zwei konfligierenden Zielsetzungen ausgesetzt: Will er sein Können verbessern oder will er den gegenwärtigen Kampf gewinnen?

 

Du kannst Spiele als Übung ansehen oder als ernsten Kampf. In der Übung strebe nach Schönheit und Perfektion; im Kampf hingegen mach unterschiedslos von allem Nützlichen Gebrauch! Sonst heißt es vielleicht, in Schönheit zu „sterben“.

 

Im Boulelexikon wird dieser Zusammenhang in den Artikeln Techniker und Chrom weiter ausgeführt.


12. „Ich will mir in meinem Haus keinen Luxus wünschen“

Du willst einen Weg gehen und denkst doch daran, dich bequem niederzulassen? Vielleicht wirst Du später einmal zufrieden auf deine Erfolge zurückblicken, doch jetzt sollst Du nicht daran denken! Pflücke sie beiläufig wie reife Früchte am Wegesrand. Steige ihnen nicht nach, denn so kommst Du aus dem Tritt.

 

Das Denken an Meriten kann fatalerweise dazu führen, sie niemals zu erlangen, lenkt es doch vom gegenwärtigen Tun ab. Die Weichen werden aber immer gerade jetzt gestellt; wohin der Zug dann fährt, das wird sich weisen.

 

Überhaupt, Meriten: Eines Spielers Kraft erweist sich stets nur im nächsten Spiel. Noch so viele Pokale vermögen es nicht, sie zu konservieren. Die Gegner bemerken es schnell, wenn die Flamme flackert und zu erlöschen beginnt. Davor bewahrt dich nur beharrliches Fortschreiten auf dem Weg.


13. „Ich will für mich selbst keine Delikatessen“

Du willst Dich am Ende des Tages für Deine Mühen belohnen. War dir dein Fortschreiten denn nicht allein schon der Mühe wert? 

 

Ausdauersportler, etwa Jogger, erleben irgendwann eine erstaunliche Wandlung an sich selbst. Während sie anfangs mit Seitenstechen die Strecke entlangkeuchen, hoffend, die Tortur möge im Ziel doch bald enden, auf dass man es sich wieder gemütlich mache, mit einem schönen Getränk, kommt irgendwann der Moment, da das Laufen selbst zum Lohn der Mühen wird – mehr noch – der Körper verlangt sogar danach, als sei es eine Sucht.

 

Solange du etwas betreibst, für das du dich belohnen musst, birgt das immer einen Rest von Widerwillen. Darauf läuft es hinaus: Das, was du tust, muss für sich selbst genügen. Im sich Üben liegt nicht nur Mühe und Qual, es findet sich Schönes und Befriedigendes darin; es schenkt innere Ruhe und Selbstvergewisserung.


14. „Ich will nichts altes besitzen, was eines Tages zu einer wertvollen Antiquität wird“

Du willst einen Weg gehen, der dich wandelt. Wie kannst Du da versuchen, alles festzuhalten? Erkenne Ballast und wirf ihn ab!

 

Spieler in ihren Anfängen erliegen leicht dem Irrtum, sie hätten schon irgendetwas erreicht, das zu bewahren wäre. Eine gewisse Technik hat sich herausgebildet und zeitigt gewisse Erfolge. Nun versucht man krampfhaft, daran festzuhalten und versäumt es dabei, fortzuschreiten – man stagniert.

 

Das einzig Beständige ist der Wandel. Sei immer bereit, das Erreichte wieder abzuwerfen, sonst kommst Du irgendwann nicht weiter.



15. „Ich will mir selbst vertrauen und nie abergläubisch sein.“

Wie willst Du an Fäden ziehen, von denen Du glaubst, dass andere sie halten?

 

Im Spiel sind Glück und Pech nie gerecht verteilt. Nur im Ganzen gleicht sich alles aus. Manchmal folgt ein Missgeschick dem anderen. Dann geschieht es, dass du dich ausgeliefert fühlst, ein schädlicher Gedanke, der sich leicht einnistet. „Immer habe ich Pech.“ „Am Ende geht es doch schief.Solches Denken lege ab! Es sucht die Schuld dort, wo sie nicht ist, beim Schicksal, dem Boulegott, notorischem Pech oder was immer du dir vorstellen magst.

Gutes Spielen entsteht einzig im Vertrauen auf dich selbst. Davon, dass du in der Lage bist, alles zum Guten zu wenden, musst du dich immer wieder überzeugen, denn objektiv ist es so. Erkenne diese Wahrheit, lass diese Gewissheit in dir wachsen, verzichte auf Maskottchen!

 

Manche versuchen, am Spielfeldrand zu „hexen“. Wenn der Gegner am Zuge ist, werden die Finger gekreuzt und intensiv gewünscht, sein Wurf solle misslingen. Das Einzige, was dadurch bewirkt wird, ist, dass man sich selbst in Unruhe versetzt. Wer das ganze Turnier über hofft und bangt, der verschwendet seine Ressourcen für nichts. Er redet sich damit auch unnötig schwach. Ganz gleich, was der Gegner auch anstellen mag, es gibt immer einen Zug, der ihm sein Vorhaben vereitelt, nur müssen wir dann auch in der Lage sein, ihn zu spielen.

 

Bleibe Gelassen, warte ab, was sich ereignet, analysiere kühl die Situation, spiele dann in vollkommener Ruhe deine nächste Kugel.


16. „Waffen sind mir das wichtigste, mit anderen Gegenständen will ich mich nicht befassen.“

Vor Dir, hinter Dir und auch seitwärts, ein Gewirr von Pfaden; doch überall erkennst Du deines Weges Spur.

 

Musashi fordert selbst dazu auf, in anderen Künsten nach hilfreichen Erkenntnissen zu schauen. Den Blick vollkommen zu verengen, kann also nicht des Rates Sinn sein. Vielmehr wird der Blick gerade in der intensiven Beschäftigung mit nur einem Gegenstand aufmerksam dafür, was Hilfreiches, fern des eigenen Metiers, noch der Entdeckung harrt. Doch immer ist das Trachten auf das Nützliche gerichtet, nie geht es dabei um Ablenkung oder Zerstreuung.

 

So hat es der Autor des Boulelexikons selbst erlebt. Ob in der Literatur, der Geschichte oder gar der Physik, ganz unvermittelt tauchten bei intensiver Beschäftigung mit einer konkreten Frage überall Hinweise auf, wo man sie nie vermutet hatte.

 

Beschäftige die tief mit den Fragen, die du dir stellst. Wenn du glaubst, am Grunde angelangt zu sein, grabe weiter!


17. „Ich bin immer bereit, auf dem Weg zu sterben“.

Du kannst den Höhepunkt nur dann erreichen, wenn du bereit bist, auch das Letzte einzusetzen. Was aber ist das Letzte?

 

Im Schwertkampf führt die Furcht vor dem Ende zu einer Hemmung der Kräfte, die bewirkt, dass man unterliegt. Ebenso im Spiel, wenn Angst die Hand umfängt und diese dann erstarrt. So erschafft man selbst das, was vermieden werden sollte: Die Niederlage. Besser, sich ihr zu stellen. Wie der Sieg, ist sie Folge jeder unserer Handlungen, ist abgeleitet aus jeder einzelnen Aktion. Jeder einzelnen widme daher deine volle Aufmerksamkeit!

 

Wenn du alles geben willst, musst du auch alles wagen.

 

Im Boulelexikon beschäftigt sich der Artikel: "Niederlagen" mit dieser Thematik. 


18. „Ich will im Alter keinen Schatz und kein Rittergut für mich in Anspruch nehmen.“

Das, was du erworben, ist es gewiss, dass du es brauchst? Ist denn da niemand, der es nötiger hat?

 

In einer Gruppe von Spielern sind irgendwann die Positionen geklärt. Da ist immer jemand, der es besser kann als andere. So kommt es, dass immer nur wenige schießen, die Richtung bestimmen, organisieren. So aber wird das Kommende am werden gehindert. So wird das Anwachsen der Fähigkeiten gehemmt. Positionen, die man selbst bekleidet, kann kein anderer ausfüllen. Der gereifte Spieler soll nicht an seiner Saturiertheit arbeiten!

 

Die Flamme muss weitergegeben werden, muss neue Fackeln entzünden, damit sie nicht verlischt!


19. „Buddhas und Götter sind verehrungswürdig, doch ich will sie um nichts bitten.“

Das Gute, das dir dargebracht wird, nimm es an, doch beanspruche es nicht.

 

In einer Gruppe von Spielern wird einem viel Gutes zuteil: Man wird freundlich aufgenommen, andere widmen einem ihre Zeit, vielleicht wird man gebeten, sie zu Turnieren zu begleiten, Ratschläge und Wissen fließen einem zu. Auf nichts davon gibt es einen Anspruch, das gilt es stets zu bedenken. Auch im Zusammenspiel, im Kampf, gemeinsam mit den anderen, gibt es nichts zu fordern. Viele erwarten zudem, dass man sie etwas lehrt, dabei liegt alles vor ihnen ausgebreitet. Sie brauchen nur zuzugreifen. Es mit den Augen zu stehlen ist kein Unrecht.

 

Das Gute nimm hin; über das Schlechte sieh hinweg! Was du wirklich benötigst, das erwirb dir selbst!


20. „Auch wenn ich mein Leben opfere, will ich meinen Namen nie opfern.“

Du glaubst, der Sieg sei alles? Gib acht, dass er dir nicht zu teuer werde!

 

Zeigst du eine schlechte Seite deines Wesens, wird man sich daran lange erinnern. Dein Ruf als Spieler wird mindestens so sehr durch Fairness und Sportsgeist geprägt, wie durch Erfolge. Eine Niederlage kannst du schon bald wieder wettmachen, einen beschädigten Ruf reparierst du vielleicht nie.

 

Es ist gut, dein ganzes Spielen an bestimmten Werten festzumachen. So hast du ein Fundament, auf dem du stehst. So kommst du nicht so leicht ins Wanken, wenn Emotionen das Gemüt bedrängen.

 

Sieh den Sieg als das an, was er ist: nicht bedeutend genug, dich selbst zu beschämen.

 

Im Boulelexikon wird im Artikel "Fairness" hierzu einiges gesagt.


21. „Ich will niemals vom Weg des Heihō abweichen.“

Wisse, dass du den Weg, den du erwählt hast, bis zu deinem Ende gehen musst. Der Weg selbst aber hat kein Ende.

 

Im Streben, uns jeden Tag ein wenig vollkommener zu finden; jeden Tag ein wenig zu wachsen, zu lernen, Erfahrungen zu sammeln, Zusammenhänge zu erkennen, sind wir ausgefüllt. Während wir das tun, befindet sich die Welt in stetem Wandel. Schon deshalb gelangen wir nie ans Ziel und dürfen das auch nicht erwarten. Für Musashi war das „Heihō“(die Kampfkunst) der Weg, dem er folgte. Das ließ ihn vieles erkennen, das über sein eigentliches Metier hinausgeht. Das Streben nach Meisterschaft in einer der Künste, offenbarte, was beim oberflächlichen Betrachten aller Bereiche nie hätte enthüllt werden können.

 


"Ich erhoffe nichts. Ich fürchte nichts. Ich bin frei."

Nikos Kazantzakis (Alexis Sorbas)

 

 


Thorsten


[1] „Normalerweise sind dem Krieger die Wege des Konfuzianismus, des Buddhismus, der Teezeremonie und des Nō (trad. Theater d.V.) gleichgültig. Wenn aber jemand wirklich einem Weg folgt, wird er Gemeinsamkeiten mit Menschen feststellen, die anderen Wegen folgen. Dabei ist wichtig, dass jeder sich ernsthaft und sorgfältig auf dem Weg seiner Wahl übt.“ (Aus: "Das Buch der fünf Ringe")

[2] "Die Geisteshaltung, welche die Wissenschaft der Kampfeskunst erfordert, ist eine offene; sie ist konzentriert und dennoch unverspannt. Der Geist hält sich im Gleichgewicht und im ständigen, drucklosen Bewusstsein der Entspannung. Auch im Ruhezustand des Körpers bleibt der Geist in Bewegung; selbst wenn der Körper eilt, bleibt der Geist stabil. Der Geist wird vom Körper nicht in Mitleidenschaft gezogen; der Körper ebenfalls nicht vom Geist. Achte auf den Geist, nicht auf den Körper. Lass in deinem Geist weder Mangel noch Überfluss zu. Auch wenn du äußerlich mutlos bist, sei innerlich starken Mutes und lass niemanden in deinen Geist hineinschauen. Lass deinen inneren Geist klar und offen bleiben, breite deinen Intellekt weit aus. Mit deinem Intellekt und deinem Geist musst du ständig und fleißig üben, bis du das Wahre und das Unwahre, das Gute und das Schlechte in der Welt erkennen kannst; wenn du in verschiedenen Lebensbereichen erfahren bist, wird dich niemand übertölpeln können und du wirst mit dem Wissen und der Weisheit der Kriegskunst gewappnet sein." (Aus: "Das Buch der fünf Ringe")