36 Strategeme (19 – 27)


19. Das Brennholz unter dem Kessel stehlen

Die Stärke des Gegners ist an konkrete Hilfsquellen und Gegebenheiten geknüpft. Ihre Fortnahme erleichtert den Kampf und ist Ziel strategischen Handelns. Das Strategem beschreibt daher eine Kernaufgabe der Strategie.

Beim Pétanque wird von allen Spielern nur mit Wasser gekocht - nur ist es bei den einen bereits heiß, während es bei anderen noch kalt ist. Das zu ändern, wird in diesem Strategem empfohlen. Einige Spieler lieben das Spiel in der Weite, andere den Nahbereich; manche schätzen lange Abnutzungsspiele, andere suchen den schnellen Sieg in spektakulären Aufnahmen und verlieren die Konzentration beim "Klein-klein"; diese suchen die Unterhaltung, um locker zu werden, jene die Stille zur Konzentration; manche brauchen den Druck, andere scheitern daran. Was es auch immer sei, Gegner müssen aus ihrer "Komfortzone" geholt werden. Machen wir es ihnen schwer und unbequem auf das es uns leichter falle. (siehe: Strategie, das unbekannte Wesen)

 

 

20. Im trüben Wasser Fische fangen

Dieses Strategem empfiehlt, aus der Orientierungslosigkeit des Gegners Gewinn zu ziehen. Ob man die Trübung des Wassers selbst herbeiführt oder sie sich einfach ereignet, es gilt, den günstigen Moment zu nutzen.

Im Spiel geschieht es, dass der Gegner nicht auf dem Posten ist, dass die Mannschaft sich noch nicht gefunden hat; nicht geführt wird; nicht so funktioniert, wie es geplant war. Diese Momente gilt es auszunutzen. Jetzt muss forciert und die Gelegenheit beim Schopfe gepackt werden (siehe: Vom Umgang mit wechselndem Glück). Was das Herbeiführen der "Gewässertrübung" anbelangt, stehen freilich nur faire Mittel zur Verfügung. Das beste Mittel, dem Gegner den Durchblick zu nehmen, ist die eigene Flexibilität. Wer viele Techniken beherrscht und davon kreativen Gebraucht macht, ist schwer zu durchschauen.

 

21. Die Zikade streift ihren goldenen Panzer ab

Hier geht es um den Schein, sich als ein anderer zu präsentieren. Eine ihres Panzers sich entledigende Zikade ist lang schon entschwunden, wenn dieser noch auffällig im Sonnenlicht funkelt. Wenn der Gegner Illusionen erliegt, dann ist das vorteilhaft.

Ein guter Spieler kann einer Formschwäche kaschieren, indem er seine Kugeln aufspart. Bemerkt ein Gegner davon nichts, spielt er unnötig verhalten, weil er die "Papierform" erwartet (siehe: Das Konzept: „Fleet-in-being“). Lukrativ kann es auch sein, sich bei einem Gegner harmlos und unbedarft zu geben, um ihn aus der Reserve zu locken oder ihn glauben zu lassen, nicht alles geben zu müssen.

 

22. Die Türe schließen und den Dieb fangen

In diesem Strategem wird das Verhalten gegenüber schwächeren Kontrahenten behandelt. Diese sollen in eine ausweglose Lage gebracht werden. Durch die Umzingelung tritt deren Niederlage dann desto schneller ein. Eine mögliche Erholung wird vermieden.

Eine "Umzingelung" ist im Pétanque gegeben, wenn ein Team sowohl im Legen, als auch im Schießen überlegen ist. Daraus muss man in rechter Weise Nutzen ziehen. Beispielsweise ist es dann ein unnötiges Risiko, jede halbwegs gute Kugel sogleich anzugreifen und somit Raum zum Legen zu lassen. Was gegen einen starken Widersacher richtig ist, ist gegen einen schwachen "Dieb" falsch. Damit erweist man einem mäßig schießenden Gegner - der ja ohnehin legen will - nur einen Gefallen. Besser ist es, selbst zwingend zu legen und so den einzigen Fluchtweg gleich zu verbauen. So muss sich das andere Team leerspielen und sitzt wirklich in der Falle. 

 

23. Sich mit fernen Nachbarn verbünden, um benachbarte Feinde anzugreifen

Um es gleich vorwegzunehmen, am Ende sollen natürlich beide besiegt werden. Das kann nach den bisher behandelten Strategemen natürlich nicht überraschen. Es geht also um Zweckbündnisse, die auf Zeit geschlossen werden und uns in die günstige Lage versetzen, am Ende den ganzen Kuchen zu verspeisen. Wozu wir anfangs zu schwach waren, gelingt uns durch Bündnisse. (siehe: Mannschaftsversagen)

Das zeitweilige Packtieren mit eigentlichen Gegnern ist im Pétanque der Alltag im Super-Mêlée. Hier sieht man sich oft zweimal, eben noch als Partner und später als Gegner. Es ist hier jedoch weniger eine List denn ein Spielmodus, weshalb wir uns schnell dem nächsten Strategem zuwenden, mit dem es sich freilich ähnlich verhält.

 

24. Die Durchreise zum Angriff auf Guo nutzen

Im Kampf mit mehreren Gegnern soll man sich einige (zunächst) zu Verbündeten machen und danach trachten, möglichst einen nach dem anderen zu bekämpfen.

Auch hier ergibt sich dieses sinnvolle Vorgehen aus dem Turniermodus und so können wir gleich zum nächsten Strategem weitergehen.

 

25. Die Firstbalken stehlen und Stützpfeiler ersetzen

Hiermit ist die Infiltration des Gegners gemeint. Indem dessen Innerstes unterminiert wird, kann das ganze Gebäude zum Einsturz gebracht werden. Wenn wir einen Spion in der Schaltzentrale haben, kennen wir jeden Schritt und können sogar sabotieren.

Zugegeben, wir können schlecht einen Gegenspieler als Agenten für uns arbeiten lassen. Das Strategem passt also nicht so recht zum Pétanque. Weniger wörtlich genommen ergibt sich allerdings schon ein Zusammenhang: Nicht selten besteht zwischen Kontrahenten eine Lehrer-Schüler-Beziehung. Einer hat dem anderen das Spiel von Grund auf beigebracht. Aus alter Gewohnheit regiert dann der "Lehrer" immer noch in das Spiel des "Schülers" hinein, indem er in entscheidenden Momenten andeutet, was seiner Meinung nach zu tun sei. Ob stets uneigennützig, sei dahingestellt. Das funktioniert auch über Blicke und ist fast unvermeidlich. Ein fremder Wille verhindert jedoch die Entwicklung und Entfaltung der Spielerpersönlichkeit (siehe: Die 3 Entwicklungsstufen des Spielers). Abgesehen davon weiß der Lehrer natürlich genau, wie der Schüler tickt. Es ist dann tatsächlich, als hätte er einen Spion im Hauptquartier. Er kann daraus immensen Gewinn ziehen. Um das zu verhindern, empfiehlt es sich, bewusst autonom zu handeln und auf überraschende, unkonventionelle Schritte zu setzen. Beispielsweise kann man in einem solchen Falle des Durchschautseins, die Positionen nach jeder Aufnahme tauschen, wobei jeder Spieler erst sämtliche eigene Kugeln spielt, bevor sein Partner an der Reihe ist. Jeder tut dann jeweils das, was er für erforderlich hält. Ein interessanter Modus, der für den Gegner schwer zu durchdringen ist.

 

26. Auf den Maulbeeraum zeigen und die Akazie schelten

Bei Shakespeare führt Hamlet auf raffinierte Weise Anklage gegen die Mörder seines Vaters, die sich dessen Thron bemächtigt haben. Er lässt vor dem Hofstaat ein Theaterstück aufführen, dessen Handlung der anzuklagenden Tat sehr ähnlich ist. Natürlich weiß jeder sofort, was gemeint ist, ohne dass es direkt ausgesprochen wurde.

Ein solches Verhalten beschreibt das 26. Strategem. Kritik wird indirekt geäußert, indem vordergründig über andere Personen gesprochen wird. Der Gemeinte kann dann selbst Analogien bilden, die direkte Konfrontation wird vermieden.

Unter Boulespielern ist es oft heikel, Ratschläge zu erteilen. Schnell fühlt sich jemand zurückgesetzt, oder abgekanzelt. Der Ratgeber steht hinfort unter dem Druck, es besser machen zu müssen, was gründlich schiefgehen kann. Er steht als anmaßende Person da, die andere schulmeistert. Gleichwohl ist es notwendig, notorische Fehler abzustellen, will man langfristig erfolgreich sein. Schlau ist es, zu warten, bis dritte die Fehler begehen, die angesprochen werden sollen. In aller Stille kann dann mit der eigentlich gemeinten Person zu Rate gegangen werden. Die Fehler werden indirekt aufgezeigt und das Ganze als Strategiediskussion bemäntelt. Tenor: "Wir zwei wissen Bescheid, aber es ist unfassbar, was unsere Gegner sich wieder für Fehler erlauben".

 

27. Verrücktheit mimen, ohne das Gleichgewicht zu verlieren

Hier soll dem Gegner Schwäche bis hin zur Narretei vorgegaukelt werden. Bezweckt wird, ihn in Sicherheit zu wiegen, ihn die wirkliche Lage nicht erkennen zu lassen, mithin, ihn zu verwirren.

Die Vorteile der vermeintlichen Harmlosigkeit wurden schon behandelt. Gegner werden davon abgehalten, ihre letzten Reserven zu aktivieren. Ein weiterer Aspekt des Tausches von Generalsuniform und Narrenkostüm liegt darin, schlicht nicht ausrechenbar zu sein. Das ist oft die einzige Siegchance, wenn der Gegner das Spiel vollkommen dominiert. Dabei wird ausgenutzt, dass Pétanque immer auch ein Glücksspiel ist (siehe: Vom Wert realistischer Einschätzungen). Auch eine Außenseiterchance kann einmal den Hauptgewinn einbringen. Es ist nicht falsch, darauf zu setzten, wenn konventionelle Lösungen erfolglos bleiben. Ein im Schießen wenig bewandertes Team, dass dennoch schießt und mit ein oder zwei sagenhaften Glücksschüssen viele Punkte macht, kann manchen Profi aus der Fassung bringen und gegen alle Wahrscheinlichkeit siegen. Ausrechenbarkeit ist immer von Nachteil. Sein Spiel mit ein wenig Narrheit zu würzen ist weise.

 

Den Gegner strategisch schwächen, ihn in jeder Beziehung verwirren und täuschen, den "Sack zumachen", solange es geht, Bündnisse nutzen, die Zweischneidigkeit von Kritik bedenken und nie vergessen, dass Pétanque ein Spiel und die Kugel rund ist, darum ging es in diesem Teil der Strategeme. 

 

Thorsten

 


Dieser Artikel ist eine Fortsetzung von: Die 36 Strategeme und das Pétanque (Teil 2)

 

Dieser Artikel wird fortgesetzt mit: Die 36 Strategeme und das Pétanque (Teil 4)


Bild von Ritesh Tamrakar auf Pixabay

Zum Bild: Schöner Schein und explosive Waffe , die Zwienatur des Schwarzpulvers - eine Erfindung aus dem Reich der Mitte.