Beim Pétanque kommt es immer wieder vor, dass nach einer Aktion eine Mannschaft plötzlich zwei Punkte am Boden hat. Mit ziemlicher Sicherheit ist dann sogleich folgende Weisheit zu hören: "Zwei beim Gegner, wir müssen legen!" Es scheint sich dabei um eine ähnlich "unumstößliche" Gewissheit zu handeln, wie die, wonach man mit der letzten Kugel nicht schießen dürfe. Die Erfahrung lehrt, dass absolute Gewissheiten im Wettkampf keinen Bestand haben. Es lohnt sich daher, diese Situation einmal genauer zu durchdenken:
Jeder Spieler beginnt seine Boulekarriere als Leger. Schüsse betrachtet er als Notlösung. Die Möglichkeit, zwei Kugeln nacheinander zu treffen, erscheint geradezu verwegen. Tatsächlich hat ein Spieler, der eine Kugel mit einer fünfzig prozentigen Wahrscheinlichkeit trifft, nur eine Chance von 25% beide Kugeln zu entfernen. Dabei muss allerdings bedacht werden, dass nach dem ersten Treffer die Wahrscheinlichkeit für einen weiteren Erfolg wiederum 50% beträgt. Warum also ein Schütze, der ungerührt eine gut gelegte Kugel angreift und auch deren ebenso gute Nachfolgerin nicht schont, plötzlich davor zurückschreckt, zweimal aktiv zu werden, bedarf zumindest der Erklärung.
Ein plausibler Grund ist gegeben, wenn es keine gut platzierte eigene Kugel gibt, die erfolgreich zu verteidigen wäre. Muss der Schütze befürchten, dass immer wieder gute Kugeln gelegt werden, so ist es tatsächlich geboten, dieses lieber sogleich die eigene Mannschaft ausführen zu lassen und gute Wege zu blockieren. Diese Situation ist aber keineswegs immer gegeben. Manchmal ist das Legen sehr schwierig und es besteht keine gute Chance, die liegenden Kugeln zu verbessern. Dann ist es geboten, sie anzugreifen und sei es auch nur, um die Punkteausbeute des Gegners zu reduzieren. Legt man hingegen eine Kugel, so ist damit dem Gegner die Möglichkeit gegeben, seine beiden Punkte durch einen Schuss zu verteidigen. Zudem besteht immer die Chance, durch "Carreau" oder "Retro" noch Kugeln in die Nähe des Cochonnet zu bekommen. Schlecht, wenn es der Gegner tut; besser, wenn es uns gelingt. Die Option, sich mit Schüssen zu retten, sollte also nicht grundsätzlich ausgeschlossen werden.
Wenn wir dabei den zweiten Schuss als schwieriger empfinden, beruht das sicher auf Erfahrungswerten. Wir müssen die Ursachen aber in uns selbst suchen. Nach dem ersten Treffer können sich Aufwallungen und Anspannungen einstellen, die einem zweiten Erfolg im Wege stehen. Der zweite Schuss trifft deshalb nicht, weil er nicht mit derselben Konzentration und Gemütsruhe ausgeführt wird. Genau dieses Feld muss der Schütze beackern. Er muss lernen, vor jedem Schuss vollkommen zur Ruhe zu kommen, um immer möglichst identische Ausgangsbedingungen zu schaffen. Im meistern dieser Herausforderung liegt der Unterschied zwischen jemandem, der gelegentlich mal trifft und jemandem, der als wirklicher Schütze spielt.
Beginnt man so zu spielen, also Situationen durch mehrfaches Schießen zu lösen, stellt sich die Frage, in welcher Reihenfolge die Ziele angegriffen werden sollen. Hierbei kommt es regelmäßig zu Kontroversen, ob zuerst der "gefährliche" Schuss erfolgen soll oder man lieber mit dem "leichten" Angriff beginnt.
Hierbei sollte die Entscheidung von dem gegebenen Risiko abhängig gemacht werden. Zwei Beispiele, in denen der Gegner jeweils keine Kugeln mehr hat, sollen das illustrieren.:
1. Eine Katastrophe droht:
In diesem Beispiel hat Blau keine Kugeln mehr. Rot hat noch 2 Kugeln und kann durch Schüsse zumindest einen Punkt erzielen. Wird Kugel A angegriffen, könnte das Schwein getroffen werden und nach hinten fliegen. Blau hätte dann 3 Punkte. In diesem Falle sollte man zuerst den schwierigen Schuss auf A machen, um dann ggf. mit der letzten Kugel reparieren zu können. Gelingt die Aktion, kann man B für einen eignen Punkt entfernen. Trifft man nur A, ist der Gegner zumindest eines Punktes beraubt.
2. Es geht nur um einen Punkt
In diesem Beispiel hat Rot den Punkt und noch 2 Kugeln auf der Hand. Blau hat keine Kugeln mehr. Für Rot geht es nur noch darum, durch Schüsse mehr Punkte zu machen, aber dabei kein unnötiges Risiko einzugehen. Hier ist es besser, zunächst den "leichten" Schuss auf C zu versuchen. Gelingt dieser, kann man beruhigt auf A schießen. Sofern A und B entfernt werden, behält man immer noch D als Punkt, hat aber die Möglichkeit dass B bleibt und somit zwei Punkte auf das eigene Konto wandern. Schießt man zunächst auf A und entfernt A und B, dann hat Blau einen Punkt am Boden. Rot hat sich dann unnötig unter Druck gesetzt und muss unbedingt C treffen, was nicht angenehm ist.
Bei der Entscheidung, ob zwei aufeinander folgende Schüsse eingesetzt werden, kommt es darauf an, genau zu erkennen, wie die zu ändernde Situation entstanden ist, damit eingeschätzt werden kann, ob es sich tatsächlich lohnt. Kleinmut ist aber fehl am Platze. Wer den eigenen Schützen aus Angst als Leger "missbraucht", bringt ihn aus dem Rhythmus, was sich später noch bitter rächen kann. Ein Schütze, der noch zwei Kugeln in Händen hält, sollte also auch aus diesem Grunde vorrangig versuchen, die Situation durch Schüsse zu lösen.
Thorsten
Bild / Boxhandschuhe: von OpenClipart-Vectors auf Pixabay
Bild Kette: von Piotr Albanowicz auf Pixabay
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