Vom Wert realistischer Einschätzungen

- Schach, Poker, Pétanque -


"Respice post te, hominem te esse memento"

"Sieh dich um; denke daran, dass auch du nur ein Mensch bist“

Dem altrömischen Triumphator zugeflüsterte Mahnung.

 

Wenn Kugeln genau da landen, wo ihr Bestimmungsort war, wenn Schüsse genau dort treffen, wohin sie gezielt waren, wenn es zudem in Serie geschieht, dann sind das die großen Momente in unserem Sport. Dafür trainieren die Spieler, feilen an ihren Bewegungen, schärfen ihre Präzision. Es entsteht ein Gefühl, da angekommen zu sein, wohin die Reise gehen sollte.

 

In diesen Momenten wird aber auch ein Irrtum geboren und beginnt seine schädliche Wirkung zu entfalten. Der Glaube nämlich, es könne immer so weitergehen. Pétanque wird stark durch Strategie und Taktik geprägt. Nicht nur gutes Handeln, sondern auch richtiges Entscheiden bringt Erfolg. Gut spielt derjenige, der eigene und gegnerische Fähigkeiten richtig einzuschätzen weiß. Daher soll einmal betrachtet werden, wie es sich damit verhält.

 

Zwei Spiele sollen hierzu als Beispiele dienen: Schach und Poker sind höchst unterschiedliche und gleichwohl faszinierende Spiele. Zusammen bilden sie unterschiedliche Herangehensweisen ab, die beim Pétanque zur Verfügung stehen. Indem wir erkennen, wann wir als Pétanquespieler eher Schach spielen sollten und wann lieber Poker, können wir unser Spiel verbessern.

Beim Schachspiel steht das unmittelbare Gelingen eines Zuges nicht in Frage. Wenn ein Läufer auf ein bestimmtes Feld gezogen wird, kommt er immer dort an und entfaltet dort stets die erwartete Wirkung. Die intellektuelle Herausforderung besteht darin, die Züge viele Schritte im Voraus zu kalkulieren. Beim hochklassigen Boule findet das in abgeschwächter Form auch statt. Diese Spiele sind dann gut kalkulierbar. Bei Spielern bestimmter Güte kann fast sicher davon ausgegangen werden, dass ihre Schüsse treffen und die gelegten Kugeln ihr Ziel erreichen. Spielern geringerer Güte gelingt das nur zeitweilig. Kann man auch kurzfristig Boule wie Schach spielen, so kann sich doch kein Spieler seiner Würfe vollkommen sicher sein. Immer unterliegen sie einer gewissen Streuung, immer spielt auch der Zufall eine Rolle.

Beim Poker - in seinen moderneren Varianten - ist es den Spielern nicht möglich, Einfluss auf die Güte ihres Blattes zu nehmen. Sie bekommen vom Schicksal bestimmte Karten zugeteilt, was so zufällig geschieht als würfelten sie. Zusätzlich, und darin besteht das eigentliche Spiel, wetten sie Geld auf ihre Siegchancen. Allenfalls können sie entscheiden, ob sie ein Blatt weiter spielen wollen und mehr Geld setzen, oder ob sie aussteigen. Sie operieren also mit Wahrscheinlichkeiten und müssen es ertragen, längere Zeit kein gutes Blatt in die Hand zu bekommen. Wenn es dann aber einmal so weit ist, müssen sie aus dieser Situation das Maximum herausholen. Auch diese Spielelemente finden sich beim Boule wieder. Oft sind viele Aufnahmen abzuwarten, bis sich die Gelegenheit bietet, einen Coup zu landen. Dann gilt es, genau abzuwägen, ob das eigene Vermögen ausreicht, die bloße Möglichkeit in Punkte umzuwandeln. Langfristig setzt sich derjenige durch, der seine Chancen richtig erkennt.

 

 

Boulespielern muss klar sein, dass eine so präzise Wirkung der Aktionen, wie sie beim Schach gegeben ist, immer nur als Ideal angestrebt und allenfalls zeitweise erreicht werden kann. Das Spiel wird auf lange Sicht die Elemente des Poker nie ganz verlieren. Wenn Entscheidungen getroffen werden und wenn es gilt, erfolgte Handlungen zu bewerten, darf dieser Umstand nicht in Vergessenheit geraten. Geschieht es doch, verlieren Spieler die Fähigkeit, ihr Leistungsvermögen realistisch einzuschätzen, kommen zu falschen Erwartungen, die Frust erzeugen und unterliegen glatten Fehlplanungen. Immer dann, wenn wir uns in der Phase der Planung befinden und besonders kurz nach dem Wurf, wenn wir unser Handeln bewerten, sollten wir daher lieber Poker als Schach spielen. Wir sollten die Wahrscheinlichkeiten kühl kalkulieren und uns bewusst sein, dass wir im Grunde würfeln.

 

Beispielsweise brauchen wir uns über einen Fehlschuss nicht zu ärgern, wenn wir üblicherweise nur in einem von drei Fällen treffen. Wir sollten unser Spiel vielmehr an diesem realen Leistungsstand ausrichten. In diesem Falle bedeutet das, bevorzugt in den Situationen zu schießen, in denen es drei oder mehr Punkte zu gewinnen gibt. Wir spielen dann, obwohl wir nicht so gut sind wie andere Spieler, richtig, weil wir gemäß unseres aktuellen Leistungsniveaus handeln. Würden wir Spielzüge versuchen, die unser Handlungsvermögen übersteigen, so spielten wir falsch. Natürlich kann das auch sinnvoll sein und kurzfristig gelingen, man kann auf eine Außenseiterchance setzen oder bluffen. Wichtig ist aber, sich dabei nicht selbst über die erwartbaren Erfolge zu täuschen. Langfristig ist die Statistik unerbittlich.

 

In der Ausrichtung des Handelns an Wahrscheinlichkeiten liegen zwei Vorteile:

1. Eine realistische Beurteilung der eigenen Möglichkeiten führt zu einem entspannteren Spiel. Was kurzfristig nicht zu ändern ist, muss auch nicht beklagt werden. Tragisch sind Spieler, die ständig versuchen, über ihren Möglichkeiten zu spielen, daran scheitern und durch ihre Verzweiflung in einen Abwärtssog gerissen werden, wodurch sie dann letztlich hinter ihren Möglichkeiten zurückbleiben. Bewahrt man sich einen Sinn dafür, wie häufig Kugeln nicht treffen, verspringen oder kontern, wird viel überflüssiger Frust vermieden.

 

2. Eine realistische Kalkulation der Erfolgswahrscheinlichkeiten einzelner Würfe und ein Abgleich mit den erwartbaren Punkten erlaubt es Spielern jeder Leistungsstufe, korrekt zu spielen. Es dauert geraume Zeit, bis in einem Spieler ein gutes technisches Vermögen gereift ist. Die taktische Durchdringung des Spiels kann hingegen viel schneller vonstatten gehen. Sie erlaubt es, aus den begrenzten Mitteln das Beste zu machen, auch wenn das nicht zwangsläufig den Sieg bedeutet.

 

Wir Pétanquespieler müssen langfristig die Präzision der Würfe immer weiter steigern und kurzfristig mit dem gegebenen Leistungsniveau auskommen. Da wir uns mit der Planung beschäftigen sollten bevor wir den Kreis betreten, im Kreis nur die präzise Ausführung im Blick haben dürfen und nach dem Verlassen des Kreises etwaige Misserfolge verdauen müssen, können wir folgende Faustregel formulieren: Wenn wir "Pokern", solange wir uns außerhalb des Kreises aufhalten und Schach spielen, wenn wir uns darin befinden, wählen wir die besten Handlungsmöglichkeiten, schulen langfristig unsere Präzision und wehren Frust ab. Wenn wir Poker spielen, erkennen wir an, dass es Bereiche gibt, die wir nicht vollständig kontrollieren und können unser Handeln danach ausrichten. Wenn wir Schach spielen, versuchen wir die Kontrolle so gut es geht auszuüben. Außerhalb des Kreises sollten wir also ein Zocker sein, innerhalb hingegen ein Kontrollfreak.

 

Poker lehrt uns, die Dinge so zu nehmen wie sie sind, Schach, sie zu unseren Gunsten zu verändern. Ein Spieler, der ständig gegen Widrigkeiten ankämpft, die doch nicht zu ändern sind, verschleudert sinnlos seine Kräfte. Ein Spieler, der sich zu gut mit dem Istzustand arrangiert, wird freilich in seiner Entwicklung stagnieren. Wie man eine Klinge dadurch schärft, indem mal die eine, mal die andere Seite des Stahls gewetzt wird, so gilt es beim Pétanque, beides im Auge zu behalten.  

 

 

 

Thorsten


Anmerkung:

Dieser Artikel wird ergänzt durch: Perfektionismus im Spiel 

 

Ebenfalls ein Zusammenhang besteht zum Artikel : Erfolgszone