Angst, Risiko, Chance


"Chancen multiplizieren sich, wenn man sie ergreift." 

Sunzi - Chinesischer Stratege (500 v. Chr.)


 

Wird ein Mensch aufgefordert, über eine schmale Planke zu laufen, wird er darin keine Herausforderung entdecken, sofern diese auf dem Erdboden liegt. Überspannt die Planke jedoch einen tiefen Abgrund, sieht die Sache ganz anders aus. Obwohl rein physisch nichts zu verändern wäre, wird die Angst vor einem Fehltritt und dessen - ultimative - Folgen, die meisten Menschen vor dem Wagnis zurückschrecken lassen. Winkt aber für das Überschreiten des schmalen Steges ein hoher Gewinn, mag das Abenteurer verlocken, sich der Gefahr auszusetzen. Dennoch wird niemand so locker und sorglos einherschreiten, wie es zu ebener Erde geschieht.

 

Wie das Gedankenexperiment zeigt, beeinflusst allein das Wissen um eine Gefahr, die Geschicklichkeit, mit der wir unsere Handlungen ausführen. Was uns mühelos gelingt, sofern wir nichts damit verbinden, wird schwer, wenn wir es besonders gut machen wollen oder müssen. Starr vor Angst sein, das gibt es wirklich. In Spielen sind aber die Punkte genau da zu holen, wo die Gefahr lauert. Darum lohnt es sich, das Thema genauer in den Blick zu nehmen.

Angst - Häufig irrational und dennoch real
Angst - Häufig irrational und dennoch real

Die Angst

Angst ist jene segensreiche Institution, die uns durch die Evolution antrainiert, vor den größten Eseleien bewahrt. Ihretwegen stammen wir von Vorfahren ab, die nicht als erste die Bärenhöhle betraten, die das Durchschwimmen des Krokodilflusses für eine minder gute Idee hielten und die beim Entdecken des Mammuts noch auf Verstärkung warten wollten. Die furchtlosen anderen gaben zwar ihr Erbgut nicht weiter, machten aber interessante Erfahrungen, die freilich ihre letzten wurden.

 

Nun haben wir also die Fähigkeit geerbt, Angst zu haben und müssen mit ihr umgehen. Anders als im Leben, gibt es in Spielen jedoch immer ein nächstes Mal. So sehr wir auch versagen, im nächsten Spiel haben wir eine neue Chance. Das ist der Grund, warum Angst im Spiel nichts zu suchen hat. Wenn wir Angst empfinden, die uns den Arm lähmt, dann wissen wir, dass etwas elementar falsch läuft. Wir müssen uns damit auseinandersetzen und den Punkt finden, an dem wir den Irrtum begehen, denn einen rationalen Grund für Angst kann es in Spielen nicht geben. Wir können entweder unsere Ambitionen zügeln oder versuchen, uns mit den Spielpartnern auszusprechen. Es ist der Mühe wert, denn angstvoll werden wir niemals gut spielen.[1]

 

Das Risiko

Ist Angst auch fehl am Platze, so besteht doch keine Notwendigkeit, in jede Falle zu tappen, die der Gegner uns stellt. Ein rationales Abwägen, ob sich das Eingehen eines Risikos lohnt, kann zwischen Sieg oder Niederlage entscheiden. Viele Spieler sind jedoch prinzipiell Risikoscheu und nehmen lieber den Spatzen in der Hand, als die Taube auf dem Dach[2]. Sie verschwenden lieber fünf Kugeln als den einen Punkt, den sie bereits am Boden haben, zu gefährden. Tatsächlich handelt es sich bei diesem Verhalten um einen simplen Irrtum. Um dieses zu enthüllen, haben kluge Ökonomen ein Konstrukt erdacht, das den schönen Namen "Opportunitätskosten" trägt. Damit wird ein entgangener Nutzen erfasst, der dadurch ausbleibt, dass verfügbare Ressourcen nicht verwendet werden. Salopp könnte man auch sagen: "Punkte, die man nicht macht, obwohl man es könnte, sind der Gipfel der Verschwendung." Wenn wir also über die Möglichkeit verfügen, noch mehrere Punkte zu machen, indem wir einen sicheren Punkt gefährden, dann sollten wir das besonders dann tun, wenn wir risikoscheu sind. Wir wissen nämlich nicht, ob wir eine solche Chance in diesem Spiel noch ein weiteres Mal bekommen werden. Das Risiko, darauf zu spekulieren, sollten wir lieber nicht eingehen.

 

Die Chance

Damit ist das Zauberwort gefallen: Die Chance. Dieser Silberstreif am Horizont, das Licht in dunkler Nacht, der rettende Hafen in tosender See. Kriege werden nicht in der Defensive gewonnen. Man kann einen Gegner zwar abwehren, muss aber irgendwann selbst aktiv werden, um ihn zu schlagen. Genau deshalb muss auch in Spielen der Sieg regelrecht ergriffen werden. Es ist ein elementarer Unterschied, nur darauf aus zu sein, keine Fehler zu begehen oder eine Chance zu erkennen und sie zu nutzen. Das Denken erfolgreicher Spieler richtet sich immer auf Letzteres. Wie die Angst, so ist das Beutemachen ein mächtiger Instinkt, der seit Urzeiten in uns wohnt. Er lähmt aber nicht, sondern aktiviert und beflügelt. Es deutet alles darauf hin, dass immer dann, wenn wir es vermeiden können zu fürchten und zu bangen, wenn wir die kalkulierende Rationalität abschalten und den Instinkten vertrauen, am besten in der Lage sind zu handeln. Auf der Güte unseres Handelns fußt letztlich jeder Erfolg beim Pétanque.

 

Das Ausspielen von Chancen kann trainiert werden wie anderen Fertigkeiten auch. Dazu muss man sich lediglich vornehmen, Chancen grundsätzlich zu ergreifen, wenn Risiko und Nutzen in einem vertretbaren Verhältnis stehen. Wichtig dabei ist, dass es aus Prinzip geschieht. So gewöhnt man sich mit der Zeit an die besondere Herausforderung und bleibt im entscheidenden Moment kaltblütig.

 

Die Grundsatzentscheidung, Chancen zu suchen und nicht Risiken zu meiden, verändert den Spieler. Hat er sich einmal dazu bekehrt, wird er sich nach und nach die technischen Fertigkeiten aneignen, die es dazu braucht. Er wird sich auch mental an diese Spielweise anpassen und schließlich Freude daran haben. Schon bald ist er dann jenen Spielern voraus, die immer nur Risiken meiden und damit letztlich das größte Risiko eingehen.

 

 

Thorsten


„Das größte Risiko auf Erden laufen die Menschen,

die nie das geringste Risiko eingehen wollen.“

 

Bertrand Russell 


[1] Gibt es auch objektiv in Spielen keinen Grund für ausgeprägte Angstreaktionen, so existiert doch in Wettbewerben das Phänomen der Wettkampfangst. Sportler müssen lernen, damit umzugehen, wollen sie nicht in entscheidenden Momenten hinter ihren Möglichkeiten zurückbleiben. Die folgende Seite bietet einen Guten Überblick über das Themengebiet und zeigt auch Möglichkeiten auf, die Wettkampfangst in den Griff zu bekommen: https://sportpsychology.jimdofree.com/f%C3%BCr-die-sportpraxis/wettkampfangst/ 

[2] Ein wissenschaftlicher Nachweis für besagte Risikoaversion gelang im Zuge der Entwicklung der "Neuen Erwartungstheorie". Sie wird in folgendem Artikel behandelt: Asymmetrie der Neigung zu Chance und Risiko


Bild: Weide am Ölper See bei Braunschweig