Entlastung


Filigran und doch Fest - Brücke bei Ioannina (Griechenland)
Filigran und doch Fest - Brücke bei Ioannina (Griechenland)

Die architektonische Aufgabe, eine längere Strecke zu überbrücken, wird ebenso elegant wie effizient durch den Einsatz von Bogenkonstruktionen gelöst. Dieses geniale Bauprinzip ermöglicht es, die Wirkung der Schwerkraft seitlich abzuleiten, also dorthin, wo die Struktur Standfestigkeit besitzt. Stabilisierende Pfeiler erübrigen sich. Zöge man den Mittelstein eines Bogens heraus, wäre ein sofortiger Zusammenbruch die Folge, denn nun könnten dessen Hälften einander nicht mehr stützen. Die Last der im Bild gezeigten Brücke wird also einzig durch beider Hälften gegenseitiges Anlehnen getragen.

Beim Pétanque sind es die Spieler, die, zum Team vereint, eine möglichst tragfähige Struktur bilden. Sie müssen effizient ein harmonisches Gefüge errichten, stabil genug, über die Länge einer Partie zu tragen. Bürdet sich einer der Spieler die größere Last auf, verzichtet also auf die Entlastung, die das Anlehnen an den Compagnon bietet, kann der ungleich verteilte Druck Mannschaft und Erfolg sprengen.

 

Genauso geschieht es in unzähligen Partien, wenn sich ein Spieler prinzipiell das "Recht der letzten Kugel" vorbehält, also erst dann aktiv wird, wenn sich offenbart hat, was sein Mitspieler zustande bringt. Dieses Verfahren nach der Methode: "Wir legen mal eine", steht der Entwicklung eines fortgeschrittenen Spiels im Wege und limitiert die taktischen Möglichkeiten derart, dass der Sieg häufig außer Reichweite gerät.

 

Wovon ist konkret die Rede? In einem Spiel wartet der Partner, der die Rolle des Schützen bekleidet, im Falle gut positionierter Gegnerkugeln dennoch jeweils ab, bis sein Leger eine ebenfalls gute "Devantkugel" produziert oder den Punkt legt. Hierdurch treten mehrerlei negative Effekte ein:

 

In vielen Fällen wird ein größerer Kugelnachteil die Folge sein, denn es ist schwierig, eine gut platzierte Kugel legend zu übertreffen. Dieser Kugelnachteil gibt dann dem gegnerischen Schützen "Carte blanche" aktiv zu werden.

 

Legeversuche werden zudem häufig in der Nähe der Gegnerkugel enden, was Schüsse meist schwieriger macht.

 

Enden sie nicht dort, versagt also der Leger, ist der Schütze meist gezwungen, ebenfalls zu legen, denn es ist offenbar geworden: "Wir haben nichts liegen!". So beraubt sich der Tireur durch Abwarten selbst der Schüsse und stört den eigenen Rhythmus.

 

Der Leger könnte bei günstigem Spielverlauf durch "Nachschießen" manch zusätzlichen Punkt einsammeln, bekommt aber niemals die Gelegenheit dazu, wenn er seine Kugeln stets "vorauseilend" platziert. Spiele, in denen der Leger niemals einen Nachschuss auszuführen hat, sind ein Indikator dafür, dass etwas nicht stimmt.

 

Solcherart einseitig gefordert, fällt es dem Leger dann tatsächlich schwer, einen der wenigen lukrativen Schüsse tatsächlich ins Ziel zu bringen.

 

Der Gegner hingegen, wird durch solch statisches Spiel erheblich begünstigt, denn es fällt leicht, sich darauf einzustellen, dass eigene Kugeln nur wenige Male pro Aufnahme angegriffen werden.

 

Bei solch zahlreichen Nachteilen stellt sich die Frage, warum überhaupt so gespielt wird? Die Antwort lautet selbstverständlich: Weil es häufig nicht anders geht: Solange nicht beide Akteure in ihrem Spielvermögen als etwa gleichstark anzusehen sind; solange nicht beide die Fähigkeit besitzen, aussichtsreich zu schießen; solange zudem bei den Spielern nicht davon ausgegangen werden kann, fähig zu sein, mit wenigen gut gelegten Kugeln eine effektive Defensive aufzubauen; solange muss wohl erst die Devantkugel sichtbar sein, um Weiteres in Gang zu setzen.

 

Dieses Vorgehen ist in sich derart stimmig, dass leicht übersehen wird, wie sehr es die Entfaltung der Spieler einengt, wie sehr es die Entwicklung des ganzen Spieles hemmt. Nicht Nachgefragtes wird nicht geübt. Nicht Geübtes bleibt unbeherrscht. Unbeherrschtes wird nicht nachgefragt - so schließt sich ein Teufelskreis.

Spendete schon zur Römerzeit Wasser und war bis 1974 in Betrieb, der Aquädukt von Segovia (Spanien).
Spendete schon zur Römerzeit Wasser und war bis 1974 in Betrieb, der Aquädukt von Segovia (Spanien).

Der Fehler besteht nicht darin, ein Verfahren anzuwenden, das unter bestimmten Voraussetzungen durchaus erfolgreich und angemessen ist, wodurch aus einer misslichen Lage das Beste gemacht wird; er liegt vielmehr im Festhalten an eben diesem Verfahren, wo keine Notwendigkeit dazu besteht. Eben hierdurch wird das Erreichbare systematisch verfehlt.

 

 

 

Um den Teufelskreis aufzubrechen, müssen Spieler das Vertrauen besitzen, der jeweils andere werde in der Lage sein, eine Aktion folgerichtig fortzuführen. So spielt man aneinander gelehnt, aufeinander gestützt, ohne "Sicherungsleine" – einfach überragend.

 

Thorsten 


Ergänzung: Das hier propagierte Vorgehen ist das genaue Gegenteil der in Bildpunkte dargestellten Verfahrensweise. Diese kann durchaus erfolgreich sein, sollte aber nicht als generelles Vorbild für die Spielanlage dienen.


Anmerkung: Das hier behandelte Thema wird auch im Strategieteil abgehandelt, freilich dort unter etwas anderen Vorzeichen. Es lässt sich nicht immer eindeutig ergründen, ob die Zögerlichkeit strategischer Natur ist, also als Spielanlage für die komplette Partie dient; oder ob sie eher der Taktik zugehörig, nur eine oder wenige Aufnahmen betrifft. Siehe: Fatales Zögern 


Bild / Brücke: von DanaTentis auf Pixabay

Bild / Aquädukt: von Renislava auf Pixabay