Unglücksboten


Wenn uns auf dem Weg zum Bouleplatz eine schwarze Katze begegnet, der Spieltag auf einen "Freitag den 13." fällt, wir unter einer Leiter hindurchgehen oder einen Spiegel zerbrechen, beschleicht uns schnell ein mulmiges Gefühl. Im Falle des Spiegels berechtigterweise, denn Einparkunfälle können durchaus teuer werden.

 

Doch auch die anderen Omen lassen uns Kinder der Aufklärung Schlimmes wähnen.

Wir sollten uns solch infantilen Denkens schämen, denn die wahren Unglücksboten lauern niemals am Wegesrand zum Boulodrome. Nein, nein, es sind die Mitspieler selbst, die von kommendem Unheil künden. Allegorisch, wie die Apokalyptischen Reiter, so personifizieren sie all die Schrecken, die der Boulesport bereithält. Doch Rettung ist nah, denn leicht kann man sie erkennen:

 

 

Der Wanderbursche

Ein sicherer Bote kommenden Unheils ist der "Wanderbursche". Man erkennt ihn leicht an seinen strammen Waden und den abgelaufenen Schuhen. Sobald ein Spieler sich innerlich sammelnd, andächtig den Kreis betritt und gerade anhebt zum Wurfe, da kribbelt es den munteren Gesellen in den Beinen, worauf er dem Drang nachgibt, sich sogleich auf die "Walz" zu begeben, also jenen langen Marsch zu beginnen, der ihn aus des Kreises Nähe aufbrechen lässt gen Cochonnet, welches er gemächlichen aber steten Schrittes umrundet, um schließlich, nach gefühlter Ewigkeit, irgendwo diesen seinen Schritt zu hemmen. Dem völlig entnervten Kreisinsassen, der fiebrig auf einen Moment des Verharrens warten musste, um endlich in Ruhe werfen zu können, wird dieser menschliche Zugvogel zum Pechvogel, denn natürlich kann nicht gut werden, was so lang währte.

 

Das Unheimliche Orakel

Ein sicherer Künder baldigen Ungemaches ist jener Nachfahre der Auguren, den die Boulegötter zwar mit dem zweiten Gesicht segneten, des Sehertum – oh unerfindliches Geschick – jedoch nur Negatives fasst. Solch ein ominöses Orakel lässt nicht ab, des Wurfes denkbare Gefahren in düsteren Farben auszumalen oder sie als Menetekel in den Sand des Boulodromes zu scharren. Die geweissagten Katastrophen treten denn auch prompt ein, sobald der Seher sie verkündet. Wem zitterte auch nicht die Hand, den man so plastisch das Fürchten lehrte?

 

Der Unwillige Schütze

Ein sicheres Zeichen heraufziehenden Übels ist jener Spieler, der forsch die Kugeln in den Ring wirft, sobald es gilt, das Amt des Schützen zu besetzen, es sodann jedoch als schwere Bürde trägt. Oh ihr Unglücklichen, die ihr spielen müsst, wenn der "Unwillige Schütze" erscheint, denn ihr seid verloren. Nie wird eine eurer Kugeln der Verteidigung wert sein, nie wird des Gegners Punkt zum Angriff locken. Der "Unwillige Schütze", jene Schreckensgestalt, dieser Alb des Abwartens, dieser Cunctator am Cochonnet, wird sich nicht eher rühren, bis sämtliche Chancen im Orkus gelandet sind und mit ihnen das Spiel.

 

Der Krude Kommentator

Schlimmes widerfährt bald auch jenem, dem der "Krude Kommentator" begegnet. Kein Ereignis ist banal genug, um nicht von diesem Übelwesen der Bouleplätze erläutert zu werden. Seine Lieblingsvokabeln sind "durch", "knapp" und "schade". Gern erhellt er auch den Anwesenden, dass alles anders gekommen wäre, hätte man es nur anders angefangen. Spieler, magst du dich auch unbeobachtet wähnen, des "Kruden Kommentators" Worte werden dich stets erreichen um dir in Mark und Bein zu fahren. Erschauere, wenn du ihn siehst, denn es wird fürchterlich.

 

Der Mitteilsame Meister

Viel Elend haben die zu gewärtigen, denen der "Mitteilsame Meister" sich zeigt, diese Geißel der Einfältigen, die – Krönung unfassbarer Schlichtheit – einfach nur in Ruhe spielen wollen. Jener ist ein gar kluger Gesell oder hält sich für einen solchen, mit allen Wassern gewaschenen Spieler, dem nichts auf dem Erdenrund fremd ist. Ihm selbst bereitet es Höllenqualen, nicht alle sechs Kugeln selbst spielen zu dürfen, weshalb er um fremde Kugeln einen Mantel aus Ratschlägen webt, diese gleichsam ins Ziel zu sprechen. Einmal gespielt, wird jeder noch ein Schwall Erklärungen nachgesandt, der den unkundigen Umstehenden – also ausnahmslos allen übrigen Spielern – darlegt, welch verborgene Effekte den runden Spielgeräten innewohnen, bis diesen entweder Kopf oder Kragen platzen.

 

Der Ungläubige Blinde

Heulen und Zähneklappern befällt all jene, die der "Ungläubige Blinde" heimsucht, dieser Spuk der Spielplätze. Selbst weder geneigt noch in der Lage, der Kugeln Abstand zu erkennen, ist es ihm Passion, die faulen Früchte des Zweifels unter die arglose Spielerschar zu streuen. Wann immer jemand eine Situation erkennt, erscheint als Fluch sogleich der "Ungläubige Blinde", stellt das Gegenteil fest und rastet nicht, bis messende Hand mühsam Klarheit schafft.

      

Der Ohrenkau

Wo immer ein Boulespieler um innere Sammlung ringt, da droht ihm der „Ohrenkau“aufzulauern. Gleich den Vampiren, diesen spitzzahnigen Kreaturen der Nacht, hat es der "Ohrenkau" auf die Lebensenergie seiner Opfer abgesehen. Ist einmal eines erwählt, so weicht er nicht von dessen

Seite, in plätscherndem Flusse parlierend und es gleichsam mit Belanglosigkeiten impfend, bis dieses, im Rauschen des einströmenden Geplappers, die eigenen Gedanken nicht mehr wahrzunehmen vermag. Als leere Hülle in vollkommener Agonie versunken, bleibt es zurück, ein Schatten seiner selbst. Spieler, seid auf der Hut vor diesem Gräuelwesen, das von euren Kräften zehrt.

 

Der Trampelnde Troll

In dieser Figur begegnet uns der Grobmotoriker unter den Übelnaturen, leicht erkennbar an den übergroßen Scheuklappen, durch welche alle Mitspieler zuverlässig ausgeblendet werden. Ohnehin von jeglicher Empathie unbeleckt, wird, wann immer ein bestimmter Ort aufgesucht werden muss, der "Trampelnde Troll" sein Ziel auf direktem Wege ansteuern, die Spielfelder querend, nicht achtend der fluchenden Mitspieler oder der ihn nur knapp verfehlenden Kugeln. Spielt der Troll selbst, so verfügt er über weitere Fähigkeiten, die Boulegemeinde zu erschüttern: Jeden seiner Spielzüge begleitet dieser Vandale des Werfens nämlich mit einem markerschütternden Schrei, sei es des Bedauerns, oder des Triumphes, dem die übernatürliche Macht innewohnt, den Mitspielern sowohl das Blut in den Adern, also auch die Kugel in der Hand gefrieren zu lassen. Nicht am Zuge, beobachtet der Troll das eigene Spiel, des besseren Überblickes wegen, stets aus dem Spielfeld der Nachbarmannschaft heraus, wobei er sich genau zwischen Kreis und Cochonnet am wohlsten fühlt. Schrecklich ist das Wüten dieses Banausen der Boulodrome.

 

Der Freche Fledderer

An eine düstere Gestalt aus klassischen Schauerromanen – nämlich den Friedhofsdieb – gemahnt uns jener Dunkelmann, der als "Frecher Fledderer" bekannt, auf jedem Turnier den Besiegten und Geschlagenen, den Niedergeworfenen und Zerschmetterten auflauert. Wenn diese sich, unfähig jeder Regung, einfach nur der Melancholie hinzugeben trachten, überfällt sie der ghoulische Geselle um die Gestrauchelten mit prahlerischer Schilderung eigener Großtaten vollends zu vernichten. Diese Erfolge sind freilich – als reine Kinder des Zufalls geboren – so sehr nicht

der Rede wert, dass der Fledderer, um überhaupt eine Zuhörerschaft zu gewinnen, einzig den vollends Paralysierten aufzulauern vermag, denn alle Übrigen fliehen solches boulistische Bramarbasieren schnellsten Schrittes oder setzen ein Mittel ein, dass den Unhold zuverlässig bannt: Das ostentative Gähnen.

 

Der Teuflische Telefonierer

Es eignet den Wesen des Schattenreiches, dass sie als Teile sowohl dieser, als auch einer anderen Welt, beiden nicht recht zugehören können. Diese Zwienatur zeigt auch der "Teuflische Telefonierer", der, zwar immer irgendwie am Spiel beteiligt, dann aber plappernd und chattend doch nicht so recht an ihm teilnimmt. In einer Hand die Kugel, in der anderen den Kommunikator, versteht es der "Teuflische Telefonierer" die Aufmerksamkeit der Mitspieler vollends in jener Zwischenwelt, die nicht mehr Spiel und noch nicht Gespräch ist, gefangen zu halten, in der Spielfreude und Konzentration zu Schatten herabsinken. Ihr, die ihr euer Spiel retten wollt, zieht diesem plappernden Pétanquer, diesem brabbelnden Boulisten den Stecker.

 

Der Unholde wären noch viele zu nennen, die „Tolle Talkerin“, der „Manische Messer“, der „Zappelnde Zausel“ aber, genug davon. Wir sind gewarnt. Leicht können wir das Unheil von uns abwenden, wenn wir nur rechtzeitig die Beine in die Hand nehmen, sobald sich einer der Schrecken zeigt. Oder aber, wir geben der Verlockung des Bösen nach und wechseln hinüber, in das Schattenreich der boulistischen Ballastexistenzen, diese Vorhölle der Verhaltensoriginalität und werden selbst ein Teil von ihr, der dunklen Seite der Macht.

 

 

 

Thorsten