Führung im Pétanque

- Eine Verfassungsfrage -


Abwechselnd führen - gemeinsam ankommen
Abwechselnd führen - gemeinsam ankommen

Pétanque ist überwiegend ein Mannschaftssport, was die Spieler vor das Problem stellt, Entscheidungen zu treffen und sich zu einigen. Auf die Notwendigkeit, diesen Entscheidungsprozess möglichst effizient zu gestalten, wurde bereits eingegangen (siehe: Entscheidungen). Wie aber kann man ihn strukturieren?

 

Dieses Problem ist in der Geschichte alles andere als neu. Es beschäftigt die Menschheit schon, seit sie Staaten bildet. Wer soll die Regierungsgewalt ausüben, wer gibt die Richtung vor? Der Historiker Polybios (200 - 120 v. Chr.) hat ein Schema erdacht, dass sechs Staatsformen enthält, die zyklisch aufeinander folgen. Genau genommen enthält es drei Formen und jeweils deren Entartungen. Wir wollen uns dieses Schemas bedienen, um die Möglichkeiten der Entscheidungsfindung im Pétanque zu analysieren. Dabei werden wir sehen, dass jede Form ihre Vorteile hat, aber auch ins Negative abgleiten kann. Die Ursache hierfür zu erkennen ist - neben dem Aufzeigen eines pragmatischen Lösungsansatzes - das Ziel dieser Erörterung.

 

1a) Monarchie:

In der Antike hatte die Monarchie nicht per se ein negatives Ansehen. Sofern ein fähiger Alleinherrscher, möglichst noch durch Konsens ins Amt gelangt, zum Wohle Aller regierte, war dagegen wenig einzuwenden.

Beim Pétanque entspricht die Monarchie der Spielführung durch einen Spieler von großem Ansehen und enormer Erfahrung, dem die Mitspieler die Spielgestaltung gern und in voller Einsicht anvertrauen. Die "Monarchie" hat drei wesentliche Vorteile: Erstens kann ein einzelner Spieler sehr flexibel und effizient einen Strategiewechsel vornehmen, da er diesen nur mit sich selbst auszumachen hat. Nicht umsonst werden Armeen nur von einem verantwortlichen General und nicht durch ein Kollektiv geführt. Zweitens ist in der Monarchie die Hierarchie vollkommen geklärt, da sich die Spieler freiwillig dieser unterworfen haben. Es müssen daher keinerlei Ressourcen in Machtkämpfe und Rechthaberei investiert werden. Drittens findet durch die "Führung des Besten" eine Weitergabe von dessen Erfahrungsschatz statt, was allen Spielern zu gute kommt.

 

1b) Tyrannis:

Leider degeneriert die Monarchie leicht zur Tyrannis, also zur Gewaltherrschaft eines Einzelnen, der gegen den Willen des Volkes die Macht allein zu seinem Vorteil und zum Schaden des Staates ausübt.

Beim Pétanque entspricht dieses Stadium der tyrannischen Spielführung eines Einzelnen, der seine Mitspieler durch Druck dazu zwingt, Dinge zu tun, von denen sie nicht überzeugt sind und die letztlich auch keinen Erfolg bringen. Indem ein dazu nicht befähigter Spieler den Kurs vorgibt, und dabei nicht der Mannschaft, sondern nur seinem Ego dient, erstickt er die Kreativität seiner Mitspieler. Er hemmt deren Entwicklung und verhindert ein erfolgreiches Spiel.

Es sind also die Faktoren Legitimität, Fähigkeit und Gemeinnützigkeit, die darüber entscheiden ob das Verfahren der Entscheidungsfindung gut oder schlecht ist.

 

2a) Aristokratie:

Wird der Tyrann gestürzt, so folgt in der schematischen Darstellung des Polybios die Aristokratie, worunter die "Herrschaft der Besten" zu verstehen ist. Fähige Persönlichkeiten treten hervor und übernehmen Verantwortung für den Staat, wobei sie zu aller Wohl durchaus Opfer bringen.

Beim Petanque ist dieses Stadium dann erreicht, wenn besonders befähigte Spieler, sobald sie die Situation erkennen, freiwillig Verantwortung übernehmen. Sie treten hervor und handeln vollkommen im Interesse der Mannschaft. Bei gut eingespielten Teams bedarf es dazu keiner Worte. Wer zuerst und entschlossen in den Kreis tritt, hat automatisch recht und wird von der Mannschaft unterstützt. Spieler, die so handeln, sind erfolgreich, weil sie selbst von ihrem Tun überzeugt sind, sich gegenseitig vertrauen und keinerlei Ressourcen für die Kommunikation verbrauchen.

 

2b) Oligarchie:

Die Degenerationsform der Aristokratie ist die Oligarchie. Hier wird das Gemeinwesen zwar auch von wenigen Großen geführt, diese handeln jedoch vorwiegend eigennützig und zum Schaden der Mehrheit.

Im Petanque tritt dieser Fall dann ein, wenn Spieler ausschließlich um ihren eigenen Ruf besorgt sind und die Mannschaft so leiten, dass dieser möglichst keinen Schaden nehmen kann. Da lässt dann der renommierte Schütze den Leger so lange legen, bis ein Schuss nicht mehr sinnvoll ist, nur um die eigene Schwäche nicht aufdecken zu müssen. Andere Schützen sind so auf ihr Amt fixiert, dass sie es als unter ihrer Würde empfinden, eine Kugel konzentriert zu legen und diese im Falle eines Falles einfach lieblos verschwenden. Zwei Schützen in einer Mannschaft wetteifern nur um die Krone des "Schützenkönigs" und lassen ihren Leger im Regen stehen. Bestimmte Leger sind dagegen derart versessen selbst den Punkt zu erzielen, dass sie, statt dem Schützen eine gute Schussposition zu verschaffen, lieber durchlegen oder dringend notwendige Angriffe sogar unterbinden. Spieler, die so handeln, sind keine Mannschaft, sondern eine Ansammlung von Egomanen. Strategisches Handeln ist von ihnen nicht zu erwarten, ebenso alles, was über Einzelleistungen hinausgeht.

Wieder sind es Legitimität, Fähigkeit und Gemeinnützigkeit die den Unterschied ausmachen.

 

3a) Demokratie:

Im Modell folgt auf die Oligarchie die Demokratie, in der das Volk nach festen Regeln seinen Wünschen Ausdruck verleiht und so den Staat nach seinem Willen lenkt. Es ist die "Herrschaft der Gleichen" zum Wohle aller.

Beim Pétanque kann dieses Modell der Entscheidungsfindung gut studiert werden, wenn hochklassige Mannschaften spielen. Meist diskutieren die Spieler dann vor jedem Spielzug die genaue Vorgehensweise. Das Verfahren ist dann effizient, wenn sich alle Beteiligten auf einem ähnlichen und möglichst hohen Erfahrungsniveau befinden und auch in ihren Spielvorstellungen nicht zu sehr voneinander abweichen. Dann liegt wirklich eine "Herrschaft der Gleichen" vor. In diesem Falle wäre es auch kaum sinnvoll, würde sich die Mannschaft dem Willen eines Spielers beugen, auch wenn hiervon ein Flexibilitätsvorteil zu erwarten wäre. Es überwiegt der Vorteil, auf die enormen Erfahrungen aller Spieler als Ressource zurückgreifen zu können. Der Konsens verleiht jeder Handlung eine unerreichte Legitimität und somit Sicherheit.

 

3b) Anarchie:

Degeneriert die Demokratie, so ist eine Anarchie die Folge. Ohne geordnete Herrschaft versucht jedes Individuum für sich das Beste herauszuholen, wodurch der Staat, von Ehrgeiz und Eigennutz geschwächt, richtungslos dem Chaos entgegentaumelt.

Beim Pétanque tritt dieser traurige Zustand dann ein, wenn drei Spieler ohne jeden Elan das Pech haben, eine Mannschaft bilden zu müssen und sich zudem niemand überwinden kann, zur Spielführung auch nur das Geringste beizutragen. Meist sind dann Gespräche wichtiger als das Spiel, das dann glücklicherweise auch nicht lang dauert. Es versteht sich von selbst, dass von Entscheidungsfindung in diesem Falle nicht gesprochen werden kann.

 

Auch in der Demokratie sind es die Legitimität des Verfahrens, die Fähigkeit der Akteure und die Gemeinnützigkeit ihres Handelns, die den Erfolg gewährleisten. Unabhängig davon jedoch, ob ein Einzelner, wenige oder alle Spieler die Entscheidungen treffen, gibt es immer Möglichkeiten, dieses effizient zu tun. Sind hingegen Egomanen am Werk und fehlt der Wille oder die Fähigkeit zu strategischem Handeln, ist das Scheitern vorprogrammiert.

 

Mischverfassung:

Nicolo Macchiavelli, Staatsphilosoph und Politiker (1469 - 1527 n. Chr.), arbeitete mit dem Verfassungsschema des Polybios. Beide sahen die jeweils reinen Ausprägungsformen als instabil an. Die Lösung versprachen sie sich von einer Mischverfassung. Wie lässt sich dieser Ansatz im Pétanque verwirklichen?

 

Ein pragmatischer Lösungsansatz:

Um eine effiziente Entscheidungsfindung und kreative Problemlösungen zu ermöglichen, sollten die Spieler zunächst versuchen, gemäß ihrer Spielauffassung und ohne lange Absprachen zu handeln. Erfahrungsgemäß sind die meisten Situationen nicht so strittig, dass sie zu Diskussionen zwingen. Dieses Vorgehen entspricht der Aristokratie. Sofern Probleme sichtbar werden, sollte der erfahrenste Spieler die Führung übernehmen. Es ist sinnvoll, sich vorher auf diesen "Monarchen" zu einigen. Sofern sich niemand für dieses Amt anbietet bzw. alle Spieler gleich qualifiziert sind, sollte in Krisensituationen dazu übergegangen werden, jeden weiteren Schritt und vor allem die einzuschlagende Generallinie, demokratisch zu beraten.

 

Nachwort: Die römische Republik war im Kern eine Aristokratie, denn im federführenden Senat bestimmten relativ wenige Noble über die Geschicke des Staatswesens. In Notzeiten konnte aber ein Diktator auf Zeit ernannt werden, der mit außerordentlichen Befugnissen ausgestattet war. Zusätzlich enthielt die Verfassung noch Institutionen, wie etwa die Volkstribunen, durch die eine Beteiligung des "gemeinen Volkes" an der Willensbildung gewährleistet wurde. Mit Recht kann man hier von einer Mischverfassung sprechen. Ihr Erfolg ist hinlänglich bekannt und wurde in der Antike weithin bewundert. Erst als die Nobilität das Wohl des Gemeinwesens aus dem Blick verlor, sich maßlos bereicherte und Eifersucht und Zwist in Bürgerkriegen gipfelten, ging die Republik unter.  

 

Thorsten


Bild: Bild von Anja auf Pixabay (Ausschnitt)